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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

791–793

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heckel, Ulrich

Titel/Untertitel:

Der Segen im Neuen Testament. Begriff, Formeln, Gesten. Mit einem praktisch-theologischen Ausblick.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XII, 431 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 150. Kart. Euro 39,00. ISBN 3-16-147855-X.

Rezensent:

Roland Gebauer

"Segen" ist ein vernachlässigtes Thema der neutestamentlichen Forschung. An diesbezüglichen neueren monographischen Untersuchungen sind lediglich diejenige von W. Schenk (1967) zu nennen, die allerdings den Segen als eigenständige und im Urchristentum relevante Größe bestreitet, sowie die Abhandlung von A. Obermann (1998), die zwar die theologische Bedeutung des Segens im Neuen Testament herausarbeitet, aber insgesamt zu knapp und zu sehr auf die Wortfamilie eulogein fixiert ist. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass Ulrich Heckel jetzt eine ausführliche Studie vorgelegt hat, die das Thema exegetisch wie theologisch umfassend erarbeitet. Das ist kaum auf den literarischen "Boom" zurückzuführen, den die Segensthematik 1998 erfuhr (neben Obermanns Untersuchung erschienen in diesem Jahr noch die systematisch-theologischen Arbeiten von M. L. Frettlöh und D. Greiner), denn H. begann seine Studien bereits 1995. Vielmehr ist das Thema in der kirchlichen wie theologischen Landschaft im vergangenen Jahrzehnt zunehmend aktuell geworden - wie H. in der Einführung seines Werkes darlegt (1-11). Die damit verbundene Leistung ist umso stärker zu würdigen, hat H. doch die als Habilitationsschrift angenommene Untersuchung innerhalb von fünf Jahren neben einer vollen pfarramtlichen Tätigkeit angefertigt.

Die Arbeit besteht aus fünf Hauptteilen. Im ersten (12-52) geht H. dem Wortfeld "segnen" nach. Damit ist - sachgemäß - eine Konzentration auf die Wortfamilie eulogein gegeben. Gleichwohl unterschiedet sich H.s Untersuchung schon rein methodisch von der Obermanns durch den Einbezug weiterer wichtiger Aspekte über die genannte Begrifflichkeit hinaus, was vor allem im dritten und vierten Hauptteil zum Tragen kommt. Als Ergebnis der Untersuchung von eulogein ktl im Griechentum und Alten Testament notiert H. zunächst die feste Verwurzelung des neutestamentlichen Segensmotivs in der jüdischen Tradition. Der damit gegebene kreatürliche Aspekt des Segens wird im Neuen Testament jedoch durch "eine soteriologische und eine spirituell-ekklesiologische Seite" (24) erweitert, so dass die Wortfamilie im Neuen Testament insgesamt einen neuen, vom Christusheil geprägten Schwerpunkt erhält. Formgeschichtlich schlägt H. zu Recht vor, "den Segen als Gattungsbegriff ausschließlich für solche Formeln zu gebrauchen, in denen Gott als Urheber erscheint" (30), und nicht, wie vielfach üblich, auch auf eulogein als Ausdruck für Lobpreis und Danksagung zu beziehen. Kritisch zu hinterfragen bleibt allerdings die Qualifizierung des Seg(n)ens als eines Wortgeschehens, das "im Zusprechen von Gottes heilvoller Zuwendung" besteht (41). Hier wirkt sich m. E. die Fixierung auf die eulogein -Begrifflichkeit negativ aus, denn durch sie wird bereits in der Septuaginta der im Alten Testament bislang dominierende Tataspekt des Segens in Richtung des menschlich vermittelten Segenswortes abgeschwächt. Wird hier nicht das Eigentliche des Segens (als göttliches Handeln) zu Gunsten des (performativen) Zuspruchs solchen Handelns verlagert - auch wenn es sachlich richtig ist, in Bezug auf eulogein zwischen "Segnungsvorgang" und "Segenswirkung" (41; Hervorhebung durch H.) zu unterscheiden? Könnte hier das pastorale Interesse an der kirchlichen Segenspraxis (vgl. 349 ff.) zu sehr dominieren, zumal sich der Aspekt des Wortgeschehens nicht an allen Texten verifizieren lässt?

Der zweite Hauptteil (53-247) bildet mit Exegesen der Stellen, an denen eulogein "für den Segen im eigentlichen Wortsinn gebraucht wird" (53), das Zentrum der Untersuchung. Das Segnen Jesu bei den Synoptikern (53-93) bringt zum einen als prophetische Zeichenhandlung die Zugehörigkeit der Kinder zur Gottesherrschaft zum Ausdruck (Mk 10,13-16par; ergänzt durch zwei kirchengeschichtliche bzw. praktisch-theologische Exkurse zu Säuglingstaufe und Kindersegnung). Zum anderen wird der Auferstandene nach Lk 24,50 f. in göttlicher Vollmacht selbst zum Urheber des Segens und überbietet damit das priesterlich-vermittelnde Segenshandeln (vgl. Sir 50,20; Lev 9,22; Num 6,22-27) ebenso wie mit der Gabe des Geistes als Segenswirkung. Im Anschluss an die Segensverheißung an Abraham in Apg 3,25 f. (94-99) wendet sich H. sodann dem Corpus Paulinum zu (100-166). Dabei wird deutlich, dass Paulus an die kreatürliche Dimension des alttestamentlichen Segens anknüpft, ihn jedoch zugleich christologisch-soteriologisch neu interpretiert. Aber auch in diesem eschatologischen Segensverständnis bleibt die bereits für das Alte Testament charakteristische Wechselbeziehung von Segen und Lobpreis gewahrt (2Kor 9,5-15). Den Schwerpunkt des Paulusteils bildet eine ausführliche Exegese von Gal 3,6-4,7 - zu Recht, gilt doch hier die Segensverheißung an Abraham als heilsgeschichtliche Grundlage des eschatologischen Segens für die Völker, der im Empfang von Rechtfertigung und Gerechtigkeit sowie der Gabe des Geistes besteht.

Sehr schön sieht H. hier die Priorität der Rechtfertigungsthematik, so dass er das theologische Verständnis des Segens bei Paulus aus dessen Rechtfertigungslehre erschließt. Steht der Segensbegriff beim Apostel somit als soteriologische Terminologie nicht an erster Stelle, so wird er im deuteropaulinischen Epheserbrief "zum Leitmotiv für das göttliche Heilshandeln in Christus" überhaupt (Eph 1,3 ff.; 160). Im Hebräerbrief überwiegt schließlich ein eschatologisches Segensverständnis, das im Segen die göttliche Verheißung des ewigen Heils erblickt (167- 179). Großen Wert legt H. des Weiteren auf die ethischen Konsequenzen des Segens, die in der "Segensparänese" (hier wäre eine formgeschichtliche Präzisierung hilfreich gewesen) benannt werden (Lk 6,27 f.; Röm 12,14; 1Kor 4,12; 1Petr 3,9; Jak 3,9 f.; 180-190). Es folgen sodann Ausführungen zum Fluch als Gegenstück des Segens (191-236; unter intensiver Heranziehung von Qumrantexten), wobei man sich eine stärkere Zuordnung und Profilierung des Segens vor dem Hintergrund des Fluches gewünscht hätte. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse schließt diesen Teil ab (237-247).

Im dritten Hauptteil (248-318) geht H. den Formeln nach, die als Segensworte fungieren. Hier kommen auch Wendungen in Betracht, die ohne die Wortfamilie eulogein gebildet sind, sich aber dem Inhalt nach als Segenszuspruch erweisen. Das Hauptinteresse H.s gilt in diesem Zusammenhang den brieflichen Gruß- und Segensformeln, die mit Hilfe der Sprechaktanalyse als illokutionäre und performative Rede qualifiziert werden. Der vierte Hauptteil (319-348) ist den Segensgesten (= Segenshandlungen, die mit einer körperlichen Geste verbunden sind) gewidmet, wobei die Handauflegung durch ihren effektiven Charakter als "Verleiblichung des Wortes" (348) hervortritt. Den Abschluss bildet der fünfte Hauptteil, "Rückblick und Ausblick" (349- 373), in dem die wichtigsten Ergebnisse noch einmal zusammengefasst und praktisch-theologisch aktualisiert werden.

H.s Studie ist im Ganzen sehr zu begrüßen. Auch wenn man an einzelnen Punkten anderer Meinung sein mag, fördert sie das exegetisch-theologische Verständnis des neutestamentlichen Segenszeugnisses, indem es ihr gelingt, den Befund nicht nur im theologischen Kontext der einzelnen Schriften zu erheben und somit zu profilieren, sondern auch über die bisher übliche Bindung an die Wortfamilie eulogein hinaus zu führen und so zu einer umfassenden Interpretation der Thematik zu gelangen. Die neutestamentliche Exegese wird von dem Werk profitieren, und es bleibt zu hoffen, dass auch die von Verflachung und Missverständnissen bedrohte kirchliche Segenspraxis sich hier neue, biblisch-theologische Orientierung holt.