Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

787–789

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

McCormick, Clifford Mark

Titel/Untertitel:

Palace and Temple. A Study of Architectural and Verbal Icons.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2002. X, 221 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 313. Lw Euro 68,00. ISBN 3-11-017277-1.

Rezensent:

Wolfgang Zwickel

Im Gegensatz zu den sonst üblichen Arbeiten, die sich mit antiker Architektur beschäftigen und in denen in der Regel die äußere Gestalt des Baus im Mittelpunkt steht, will das zu besprechende Buch aufzeigen, wie einzelne Bauten und ihre Ausgestaltung als exemplarische Umsetzung ("icons") von Vorstellungen der Macht und Bedeutung ihrer Erbauer zu verstehen sind. Es geht also nicht in erster Linie um die äußere Gestalt des Baus, sondern um die Idee, die zu eben dieser Gestalt führt. McCormick hat sich für seine Darstellung zwei in ihrer Art durchaus charakteristische Bauten ausgesucht. Einerseits verwendet er den assyrischen Palast Sanheribs in Ninive, für den sowohl Texte als auch die ausgegrabene Bausubstanz zur Verfügung stehen. Andererseits untersucht er den salomonischen Tempel von Jerusalem, der nur in einer Textgestalt erhalten geblieben ist, die er der Exilszeit zuweist (DtrH).

Beim Palast Sanheribs in Ninive, der zwischen 702 und 689 v. Chr. erbaut wurde, beschäftigt sich McC. zunächst mit den Texten (insbesondere BM 113203 und 103000), die den Palastbau beschreiben. Allerdings eignen sich diese Texte trotz mancher detaillierter Angaben nicht, um den Palast zu rekonstruieren. Vielmehr wollen sie die Leistungsfähigkeit Sanheribs, aber auch die Besonderheit des Baus hinsichtlich der verwendeten Materialien ausdrücken. Durch diese Betonung wird zugleich deutlich, welche Macht und Bedeutung der Bauherr des einzigartigen Gebäudes besitzt. Zudem wird der Palastbau in engem Zusammenhang mit den militärischen Erfolgen des Königs genannt; erst die Kriegszüge ermöglichen die Ausgestaltung des Baus mit Materialien aus den fernen Ländern, die erobert werden müssen. Auch der archäologisch erfasste Bau aus Ninive unterstreicht dies: Die Größe der Anlage war für jeden Besucher beeindruckend, und die Darstellung der Eroberung von Lachisch in Raum XXXVI macht die militärischen Erfolge des Königs deutlich. Der Palast veranschaulicht so an einem Ort im Zentrum des Reiches, welche Macht der König in seinem ganzen Reich entfaltet hat. Sowohl Text als auch reale Ausgestaltung sind Zeichen der königlichen Machtentfaltung.

Beim salomonischen Tempel greift McC. stark auf die literarkritischen Analysen von van Seters zurück, bleibt aber stets auf einer rein theoretischen Ebene, ohne irgendwelche eigenen Textanalysen vorzunehmen. Auch insgesamt fällt bei seiner Besprechung von 1Kön 5-8 auf, dass er keine eigenständigen Interpretationen, sondern eher einen Überblick über die bisherige Forschung bietet, wobei bemerkenswert ist, dass zwar die ältere, aber nicht die neuere deutsche Forschung (z. B. Arbeiten von Hartenstein, Herr, Janowski, Metzger, Weimar, Zwickel) referiert wird. Der Text scheint für ihn - trotz der in der Forschung immer wieder beobachteten Spannungen - einheitlich zu sein. Die Beschreibung des Tempels weist er gänzlich DtrH und damit der Exilszeit zu und versteht die Baubeschreibung als typischen Ausdruck deuteronomistischer Theologie. Der beschriebene Tempel ist ein "verbales Bild", das verwendet wurde, um die Anwesenheit Jahwes in einer anschaulichen Form für die Zeitgenossen in der Exilszeit zu vergegenwärtigen; zur Rekonstruktion des Tempels zur Zeit Salomos ist der in 1Kön 5-8 erhaltene Text dagegen nicht geeignet.

Gegenüber einer Spätdatierung der Texte vom Tempelbau in die Exilszeit sind aber grundsätzliche Zweifel vorzubringen. So lässt sich m. E. eine Grundschrift des Textes vom Bau des Jerusalemer Tempels durchaus in Einklang mit archäologischen Funden des 9., vielleicht auch des 10. Jh.s bringen. Zudem bleibt die grundlegende Frage, warum die Beschreibung des ehernen Meeres in 1Kön 7,23-26 noch die Rinder unter dem Meer nennt, die doch nach 2Kön 16,17 ab der Zeit des Ahas nicht mehr Bestandteil des Kultgerätes waren. Auch ist es wohl schwer mit deuteronomistischer Theologie zu vereinbaren, dass ein Nicht-Judäer, gar ein Phönizier, wesentlich am Tempelbau beteiligt war. Dies macht es doch wahrscheinlich, dass der Grundtext aus der Zeit vor Ahas und damit auf jeden Fall aus vorexilischer Zeit stammt. Neue Einsichten in die bauliche Einordnung des Jerusalemer Tempels werden nun auch durch die Grabungen im Tempelgelände auf der Zitadelle von Aleppo möglich; hier wird derzeit erstmals ein größerer Tempel aus dem 2. und 1. Jt. v. Chr. in der Levante freigelegt, als es der Beschreibung nach der Jerusalemer Tempel war.

McC. arbeitet heraus, dass es sich in 1Kön 5-8 nicht um eine Baubeschreibung handelt, sondern eher um eine "Führung" durch das Gebäude. Die Gesamtmaße sind offenbar uninteressant, nur die Innenmaße werden genannt. Farben spielen bei der Ausgestaltung des Tempels, abgesehen von Gold, überhaupt keine Rolle. Der Tempel wird als Wohnsitz Gottes verstanden, der von der menschlichen Welt abgetrennt und nur auf einem vorgegebenen Weg betretbar ist. Damit kann der Tempelbaubericht als Paradigma deuteronomistischer Theologie verstanden werden: Es gibt nur einen festen Weg zu Gott zu gelangen, im Alltag ebenso wie beim Besuch des Tempels. Der Jerusalemer Tempel ist damit verbalisierter Ausdruck des deuteronomistischen Gottesverständnisses.

Sowohl Sanheribs Palast als auch der Jerusalemer Tempel sind somit als Zeichen von Macht und Bedeutung des Königs bzw. des verehrten Gottes zu verstehen. In einem abschließenden Vergleich wird diese gemeinsame Grundkonzeption noch einmal betont.

Leider nicht weiter ausgeführt wird die architekturgeschichtliche Entwicklung, die zur Ausbildung des Palastes Sanheribs bzw. des salomonischen Tempels geführt hat. Vielmehr greift McC. hier zwei, nach seiner Meinung etwa zeitgleiche Entwürfe für eindrucksvolle Bauten isoliert auf und versteht sie nicht als Zeugnis einer lang andauernden baulichen Entwicklung. Im assyrischen Palastbau wurde die Distanz nach außen durch die mehrfachen Hofanlagen und die von kolossalen Mischwesen bewachten Zugänge ausgedrückt. Kontakt nach außen hin war eigentlich nicht möglich. Ganz anders die Gestaltung des Jerusalemer Tempels als Langbau, die zwar einerseits durch die im Vergleich zu anderen levantinischen Tempeln besonders extreme Längsausrichtung die Transzendenz der Gottheit betont, andererseits aber auch die Möglichkeit zum direkten Kontakt zwischen Beter und Gottheit offen lässt. Obwohl die Begegnung mit dem irdischen Herrscher und mit einer Gottheit für die Menschen der Antike sicherlich Gemeinsamkeiten in den Empfindungen der Menschen hatten, ist die unterschiedliche Ausgestaltung der jeweiligen Baustruktur durchaus bemerkenswert. Erst wenn man die baugeschichtliche Entwicklung von Palast und Tempel ausreichend mitberücksichtigt, wird es möglich, die verschiedenen "icons" in ihrer jeweiligen Zeit angemessen und als charakteristische Entwicklungen zu würdigen. Traditionsgeschichte ist somit nicht nur im Bereich der Texte, sondern auch im Bereich der Architekturgeschichte ein wichtiger methodischer Schritt.