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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

785–787

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Long, V. Philips, Baker, David W., and Gordon J. Wenham [Eds.]

Titel/Untertitel:

Windows into Old Testament History. Evidence, Argument, and the Crisis of "Biblical Israel".

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2002. VIII, 204 S. gr.8. Kart. US$ 22,00. ISBN 0-8028-3962-2.

Rezensent:

Walter Dietrich

Der Band ist eine Streitschrift im Kontext der so genannten Minimalismus-Debatte. Eine Reihe von Forschern, voran die der "Kopenhagener Schule", trauen der Bibel wenig bis keinen historischen Quellenwert zu und meinen die Geschichte jedenfalls der vorexilischen Zeit ohne bzw. gegen sie schreiben zu müssen. Dem dadurch hervorgerufenen "climate of uncertainty" - so V. Philips Long in der "Introduction" (1-22) - will dieses Buch entgegentreten.

Jens Bruun Kofoed ("Epistemology, Historiographical Method, and the Copenhagen School", 23-43) befasst sich mit der Methodik speziell von Thomas L. Thompson. Sie hat ihre Wurzeln in den Anschauungen der "Annales School" (namentlich F. Braudel), die gegen eine personen- und faktenorientierte Geschichtsschreibung die ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen von Geschichte in den Vordergrund rückte. Davon macht Thompson einen betont "materialistic" und "positivistic" Gebrauch, indem er die Bibel als geschichtliche Informationsquelle gänzlich ausschließen und sich einzig auf archäologische Daten verlassen will. Doch Artefakten sind stumm, und oft fehlen sie überhaupt (hierzu das schöne Diktum von K. Kitchen: "absence of evidence is not evidence of absence").

Nicolai Winther-Nielsen ("Fact, Fiction, and Language Use", 44-81) geht im Gefolge B. Halperns und im Widerspruch sowohl gegen "positivist skeptics" (etwa aus Kopenhagen) als auch gegen "postmodern reader-response critics" (etwa D. M. Gunn und D. Fewell) davon aus, dass die biblischen Autoren tatsächlich Geschichte schreiben wollten und dies auch taten. Dem wird man am besten gerecht mit einem "pragmatic", d. h. einem "author- and context-centered approach". Als Beispiel dient das (vor-dtr) Richterbuch. Dessen Erzählungen weisen die Kennzeichen eines "village memory" auf, das bedeutsame Ereignisse sehr lange zu tradieren vermag. Diese "recorded oral tales" seien vermutlich in der Hebroner Zeit Davids (eine überraschend eng geführte Entscheidung) zu einer "national-religious story of past history" ausgestaltet worden.

Richard S. Hess ("Literacy in Iron Age Israel", 82-102) will die Behauptung entkräften, der Grad der Literarizität im vorexilischen Israel und Juda sei zu gering gewesen für die Entstehung einer umfangreichen Literatur (so Jamieson-Drake). Man habe nach Ausweis gängiger Handbücher zur Epigraphik in Israel und Juda die gesamte Eisenzeit über geschrieben. (Das weist Hess anhand des Handbuchs von Renz-Röllig nach, muss aber zugeben, dass die Zahl der Schriftzeugnisse bis ins 10. Jh. äußerst gering ist und sich erst dann mehrt. Etwas vorschnell ist auch die Behauptung, die Schreibfähigkeit sei nicht auf eine schmale Elite beschränkt gewesen.)

Alan Millard ("History and Legend in Early Babylonia", 103-110) wendet sich gegen die minimalistische Sicht M. Liveranis, wonach die Gründerkönige der frühdynastischen Zeit, Sargon d. Gr. und Naram-Sin, kaum mehr seien als Fiktionen späterer Schreiber. Zwar existieren von Sargon-Inschriften tatsächlich nur spätere Abschriften, doch über Naram-Sin gibt es auch zeitgenössische Dokumente. Texte und Artefakten zusammen ergeben ein historisch plausibles Bild: Jene Könige beherrschten ein Reich vom Persischen Golf bis ans Mittelmeer. Die Analogie zu David und Salomo liegt auf der Hand.

Kenneth A. Kitchen ("The Controlling Role of External Evidence in Assessing the Historical Status of the Israelite United Monarchy", 111-130) zeigt auf, dass sich in der Levante zwischen dem 12. und dem 10. Jh. mehrere "Mini-Empires" herausbildeten: Aram-Zoba bzw. -Damaskus, Karkemisch und Tabal. Wenn es diese drei gab - "why not the fourth" (das davidisch-salomonische)? Den Minimalisten wirft Kitchen "lack of knowledge of relevant data and of their significance" vor; minimalistische Darstellungen des salomonischen Reichs seien "nonhistorical fantasy" und die dafür aufgeführten Argumente "non-starters". Die Gegner "continually fail to weigh the nature of evidence, and not merely its quantity. And they continually set up straw men - erroneous ideas of what they think the biblical writers say (or should say ...), which they then knock down, and (hey presto!) the Bible is wrong - but, alas, it is their misrepresentation that is proven wrong"! Abschließend wird die Historizität einer Reihe biblischer Nachrichten über Salomo verfochten: die Versorgung seines Hofes, sein Reichtum, seine Kontakte mit der Königin von Saba usw.

Brian E. Kelly ("Manasseh in the Books of Kings and Chronicles", 131-146) bricht eine Lanze für die Historizität der Manasse-Darstellung in 2Chr 33. Deren positive Züge müssten nicht Erfindung des Chronisten sein, vielmehr könnten die Deuteronomisten positive Nachrichten über Manasse unterdrückt haben, um ihn als finsteres Gegenbild zu Joschija plakatieren zu können. Auch wenn Kelly für Manasses Bautätigkeit in Jerusalem auf nicht mehr sehr aktuelle Literatur verweist (Kenyon 1974, Bahat 1981) und er sich in Widerspruch nicht nur zu 2Reg 21, sondern auch zu Nah und Hab setzt, ist seine Argumentation bedenkenswert.

Peter J. Williams ("Israel outside the Land: The Transjordanian Tribes in 1Chronicles 5", 147-160) hält es für "clearly plausible that the Chronicler was able to obtain independent information from the early monarchy" (147). Entgegen oft geäußerten Zweifeln werde in 1Chr 5 durchaus plausibel von kriegerischen Ereignissen um 1000, 750 und 722 v. Chr. und von der Präsenz israelitischer Stämme in Transjordanien "up to the desert on the east, even reaching the Euphrates" berichtet. Wer mag das glauben?

Iain W. Provan setzt den Schluss- und in gewisser Weise den Höhepunkt ("In the Stable with the Dwarves", 161-197; der Titel ist einer Kindergeschichte von C. S. Lewis entnommen, in der es um Gnome geht, die in einer irrealen Welt leben und die reale nicht wahrzunehmen vermögen). Zu geschichtlichen Vorgängen, so Provan, gebe es Zugang nur über "testimonies"; diese aber enthielten immer Interpretation und bedürften der Interpretation. Die Bibel macht da keine Ausnahme. Das "verification principle", dem zu Folge biblischen Nachrichten nur nach Bestätigung von außen zu trauen ist, sei eine "holy cow": als wären solche Außenzeugnisse nicht auch nur "testimonies" und als stünden davon immer genügend zur Verfügung! Ebenso problematisch seien die gängigen "specific rules of evidence", wonach Berichte von Zeitgenossen glaubhafter sind als diejenigen Späterer, unideologische glaubhafter als ideologische, unseren Erwartungen entsprechende glaubhafter als überraschende. Wenn man danach verfährt, findet man nur "facts that confirm one's own first-articulated world-view". Die Haltung des Historikers zur Bibel sollte nicht von "suspicion" und "unfaithfulness" geprägt sein (ebenso wenig natürlich von unkritischer Gutgläubigkeit), sondern von "epistemological openness" und von "tolerance" - gerade auch gegenüber störenden Nachrichten (wofür der Abzug der Assyrer von Jerusalem 701 v. Chr. als Fallbeispiel dient). Wir sollten nicht "fall into the trap of being so obsessed with criticism of the Bible that we fail to be sufficiently critical of everything else, including our own prejudices and presuppositions, and thus end up simply with new idolatries and dogmatisms to replace the old" (197).

Der Band ist ein zwar nicht in allem, aber doch in vielem überzeugender, zuweilen über das Ziel hinausschießender, es oft aber auch genau treffender, streckenweise recht polemischer, nirgendwo aber unfairer, in jedem Fall ein klärender und nützlicher Beitrag zur Debatte um "Minimalism, Maximalism, and the Crisis in Old Testament Studies" (so in der "Introduction").