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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

871–873

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Irmtraud

Titel/Untertitel:

Gotteskünderinnen. Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 298 S. m. 1 Abb. 8. Geb. Euro 20,00. ISBN 3-17-017457-6.

Rezensent:

Ulrike Sals

In den letzten Jahren rückt die Erforschung weiblicher Prophetie immer stärker in den Vordergrund. Während in dem 2001 von Athalya Brenner herausgegebenen Feminist Companion der zweiten Serie (Prophets and Daniel, Sheffield 2001) mehrere Aufsätze zum Thema erschienen, befasste sich auch Klara Butting in ihrer Bochumer Habilitationsschrift aus demselben Jahr (Prophetinnen gesucht, Wittingen 2001) mit den Prophetinnen im Deuteronomistischen Geschichtswerk. Zu Mirjam veröffentlichte Ursula Rapp 2002 ihre von Irmtraud Fischer betreute Dissertation in der Reihe BZAW (Bd. 317). Nun hat auch Irmtraud Fischer selbst, eine der profiliertesten Vertreterinnen der alttestamentlichen feministischen Exegese, eine Studie zu Prophetinnen im Alten Testament vorgelegt, in der sie - typisch für den regen Austausch innerhalb der Feministischen Theologie - oben genannte Arbeiten größerenteils bereits aufnimmt.

Diese Untersuchung folgt dem ebenfalls bei Kohlhammer erschienenen Band "Gottesstreiterinnen" F.s (2. Aufl. 2000), der die großen Frauen der Erzelternerzählungen, Ex 1-2 und Rut behandelte. Wie dort ist die hermeneutische Positionierung dreifach: geschlechtergerechte Auslegung, Rücksichtnahme auf das Judentum und eine kanonische Perspektive. Anders als dort richtet sich "Gotteskünderinnen" nicht nur an Leser und Leserinnen in Studium und Praxis, sondern versucht einen Spagat zwischen dieser Adressatenschaft und Fachpublikum.

Von den vier Kapiteln nähern sich die ersten beiden den Auslegungen, indem Kap. I (15-30) aus verschiedenen Perspektiven hermeneutische und methodische Klärungen vornimmt und z. B. erläutert, dass ein geschlechterfairer Ansatz endlich Frauen mit in den Blick nimmt, aber Männer nicht vernachlässigt. Einleitendes zur Prophetie enthält Kap. II (31-62), hier wird sogleich der kanonische Ansatz deutlich, indem F. ausführt, dass durch die unterschiedlichen Buchreihenfolgen, durch das christliche Verständnis der "Vorderen Prophetie" als "Geschichtsbücher" und die christliche Betonung der Septuaginta Prophetinnen ganz unterschiedliches Gewicht bekommen. Kanonisch ist auch der Zugang zur Prophetie zu nennen, die aus Dtn 13,2-6 einerseits und Dtn 18,9-22 andererseits und (damit) nach dem Mosebild bestimmt wird. Dieses Prophetieverständnis bildet für das folgende Hauptkapitel III (63- 273) die Folie, vor der die Prophetinnen des Alten Testaments untersucht werden. Hier werden auf Grund der Exegese von Dtn 13,2-6; 18,9-22 nicht nur Frauen behandelt, die als nebij'ah - "Prophetin" bezeichnet werden: Mirjam (64-94), Debora (109-130), Hulda (158-188), die namenlose Frau in Jes 8,3 (189-220) und Noadja (255-273). Auch Texte über andere prophetisch agierende Frauen werden ausgelegt: die Totenbeschwörerin von En-Dor (131-157), die Falschprophetinnen von Ez 13,17-23 (221-234) und das prophetische Volk in Joel3 (235-254). Das kurze Schlusskapitel IV (275-279) unterstreicht noch einmal, dass im Zuge der nachexilisch verfassten und überarbeiteten Texte die Geschichte der Prophetie eine Geschichte von Propheten und Prophetinnen war. Dies war im exegetischen Hauptkapitel en detail erarbeitet worden, es folgen Beispiele: Auch wenn sehr wenige Prophetinnen im Alten Testament vorkommen, so stehen sie doch an entscheidenden Positionen innerhalb des Kanons: Während Debora die erste genannte prophetische Figur der Vorderen Prophetenbücher ist, ist Hulda die letzte (s. dazu auch Butting); überdies bildet sie durch ihre Legitimierung des gefundenen Buches eine Verknüpfung von Deuteronomium und der Frühen Prophetie. Mit der einzigen Erwähnung einer Prophetin im Schriftprophetie-Teil fällt der erste Befehl zur Niederschrift von Prophezeiungen zusammen (Jes 8,1-4).

Ein komplexes Thema so differenziert anzugehen, im Versuch sowohl Fachkollegen als auch Nichtstudierte anzusprechen, ist bewundernswert und angesichts des Themas, der heutigen Fragen an die Vergangenheit und der Situation inner- und außeruniversitärer Theologie notwendig. Viele Impulse können von diesem Buch ausgehen. Einmal wieder wird unterstrichen, dass die Möglichkeit von Frauen als Redaktorinnen dringend weiter untersucht werden muss. Die neueren Trends, "Mirjam" und Noadja als Repräsentantinnen nachexilisch-prophetischer Richtungen zu sehen, sind beeindruckend weitergeführt worden und versprechen vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten an diese Arbeit. Anfragen möchte ich an diese umfassende wie mutige Studie Aspekte des Ansatzes: Was hängt an dem Begriff "geschlechterfair", wie ist er genau (trotz 16-18) zu füllen und gegenüber "geschlechtergerecht" abzugrenzen? Beide Begriffe kommen nebeneinander vor, zusammen mit "gender-fair" (z. B. 17), was mir vollends etwas anderes zu sein scheint. Warum ist Prophetie ein "Phänomen"? F.s Vorgehen, das Prophetenbild, in dessen Nachfolge die Prophetinnen stehen, als Bild des Mose zu definieren, ist zwar schlüssig, aber einerseits ist das keine ausschließende Alternative zu Mirjam als Vorbild, wie F. es in Abgrenzung zu Butting bestimmt (183 f.), andererseits hätte es der kanonischen Perspektive keinen Abbruch getan, nicht nur auf Mose und Dtn zu fokussieren, sondern auch bestimmte religionsgeschichtliche Spezialisierungen wie Prophetenschulen, Kultprophetie und darin dann auch die prophetische Einzelfigur in den Blick zu nehmen. Als Kultprophetinnen müssen dann auch die ausgesprochen plausibel interpretierten Frauen am (Stifts)Zelt in Ex 38,8; 1Sam 2,20 nicht notwendig ein Niederschriftsinteresse (106 f.) gehabt haben.

Formal ist zu sagen, dass mit Blick auf Laien und Studierende die Übersichten zwar übersichtlich, aber nicht einsichtig und mangels Erläuterungen z. T. auch missverständlich sind, z. B. wird durch die Tabellenspalten "Hebräische Bibel (jüdisch)", "Septuaginta (christlich)" (36) der umstehende Text nachgerade konterkariert. Mit Blick auf Leser von Petit-Druck und Fußnoten sei dem Verlag gesagt, dass "geneigte Leserschaft" eigentlich ein übertragener Ausdruck ist; auch so empfehlenswerte Bücher wie das hier besprochene lese ich nicht gern mit der Nase.