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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

777–779

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Scobie, Charles H. H.

Titel/Untertitel:

The Way of Our God. An Approach to Biblical Theology.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XVIII, 1038 S. gr.8. Kart. US$ 45,00. ISBN 0-8028-4950-4.

Rezensent:

Peter Stuhlmacher

Der "Approach to Biblical Theology" von Charles H. H. Scobie ist nicht nur ein umfängliches, sondern auch beachtliches Werk! Der aus Schottland stammende Autor war zuletzt leitender Professor des Department of Religious Studies an der Mount Allison University in Sackville, New Brunswick, Kanada. Er hat als Neutestamentler gearbeitet, sich aber von früh an auch für das Alte Testament interessiert. Als Summe seines Forscherlebens legt er nun ein Werk über die Theologie der ganzen Bibel vor. Brevard S. Childs hat S. in seinem Vorhaben bestärkt, obgleich dieser einen anderen Weg beschreitet als er selbst. Abschließende Gestalt hat das Buch unter den Auspizien von B. Winter im Tyndale House, Cambridge (U. K.), gewonnen.

S. kennt die in die zwei Disziplinen vom Alten und Neuen Testament aufgespaltene Bibelwissenschaft von innen her. Aber je länger er selbst kritische Exegese betrieben hat, desto mehr hat er darunter gelitten, dass man zwar historisch immer genauer differenziert, aber kaum mehr zu Synthesen gelangt und nur noch nebenbei zum Gebrauch der Bibel im Raum der Kirche anleitet. Die so entstehende Kluft zwischen kritischer Bibelwissenschaft und kirchlichem Schriftgebrauch will S. mit seinem Werk überbrücken. Den Leserinnen und Lesern soll die genaue exegetische und systematische Arbeit mit den Bibeltexten nicht erspart werden. Aber sie sollen lernen, den Reichtum der biblischen Gesamttradition wahrzunehmen und theologisch auszuwerten. Um dieses Zieles willen konzentriert sich S. ganz auf die (Endgestalt der) kanonischen Bücher des Alten und Neuen Testaments. Auf die LXX-Apokryphen geht er nur manchmal ein, andere jüdische Texte zitiert er kaum, und kritische Fragen nach der Schichtung von Texten oder zeitgeschichtlichen Einflüssen bricht er immer wieder ab, weil sie für die biblische Theologie nicht ausschlaggebend seien. Man kann dies alles auch anders sehen.

Das Werk besteht aus zwei unterschiedlich langen Teilen. Im ersten behandelt S. die Prolegomena für (s)eine biblische Theologie, und im wesentlich umfangreicheren zweiten skizziert er ihre Inhalte. Seine Ausführungen spiegeln nicht nur große Belesenheit, sondern auch die Durchdringung der biblischen Texte bis in feine Nuancen hinein. Das Buch schließt mit einer umfassenden Bibliographie und ausführlichen Autoren- sowie Sachregistern. Seltsamerweise fehlt ein Stellenregister; es muss bei einer Neuauflage unbedingt nachgetragen werden!

In den Prolegomena (1-102) werden der Werdegang der kritischen Bibelexegese, die Probleme des Kanons und die verschiedenen Möglichkeiten verhandelt, eine auf den Kanon konzentrierte (gesamt-)biblische Theologie zu entwerfen. Für S. gehören Altes und Neues Testament nicht nur zusammen, weil in beiden Testamenten der einzig-eine Gott bekannt wird, sondern auch und vor allem, weil die neutestamentlichen Zeugen die im Alten Testament offenbarten Heils-Absichten des einen Gottes im Christusereignis zur Erfüllung kommen sehen.

Um die Kluft zwischen historisch-kritischer Darstellung und dem kirchlichen Bedürfnis nach biblischer Orientierung zu überbrücken, bündelt S. im zweiten Teil seines Werkes (103- 927) die biblische Tradition gleich zu vier großen Themenkreisen: God's Order, God's Servant, God's People und God's Way. Diese Kreise werden dann noch untergliedert. Die alt- und neutestamentlichen Aussagen präsentiert S. nach dem Schema proclamation/promise - fulfillment/consummation: Die einzelnen Kapitel beginnen mit der alttestamentlichen Verkündigung (proclamation). Ihr folgt die alttestamentliche Verheißung (promise). Beiden wird die neutestamentliche Erfüllung (fulfillment) gegenübergestellt. Den Abschluss bildet der Ausblick auf die neutestamentliche Enderwartung (consummation). Das Viererschema nötigt die Leserinnen und Leser, den Weg des biblischen Offenbarungszeugnisses von den alttestamentlichen Anfängen zur neutestamentlichen Erfüllung und Erwartung immer neu abzuschreiten. Bei dieser Leserichtung verlieren sie allerdings den Blick für die Bedeutung der biblischen Geschichtszeugnisse und für die anamnetische Hermeneutik der Bibel. Außerdem erfahren sie nicht, wie einzelne Propheten oder auch Jesus, Paulus, Johannes usw. gelehrt haben. S. bleibt nicht einfach bei der thematischen Darstellung des biblischen Materials stehen, sondern leitet seine Leserinnen und Leser auch zur theologischen Bearbeitung an, indem er jedes Kapitel in "theological reflections" einmünden lässt. Hier diskutiert er zumeist sehr behutsam, manchmal aber auch zum Widerspruch herausfordernd die Bedeutung der biblischen Themen für die gegenwärtige kirchlich-theologische Situation. Abschließend zeigt ein genauer synoptischer Aufriss der Kapitel des zweiten Teils, welche Stellung einzelne (Unter-)Themen im Ganzen von S.s biblischer Theologie haben. Außerdem kann man sehen, dass S. den Werdegang der biblischen Offenbarung darstellt, ohne sie künstlich im Stil von Childs in ein für sich stehendes alt- und neutestamentliches Zeugnis aufzuspalten, die dann erst wieder dogmatisch zusammengefügt werden müssen.

Stärken und Schwächen der Darstellung zeigen sich beispielhaft im zweiten Themenkreis über "God's Servant" (301-466). Er umfasst fünf Kapitel: (1) The Messiah, (2) The Son of Man, (3) Glory, Word, Wisdom, Son, (4) The Servant's Suffering, (5) The Servants Vindication. S. informiert eingehend über die alttestamentliche Sicht von verschiedenen "Gesalbten", über die messianischen Erwartungen und über die alle traditionellen Vorgaben sprengende christologische Rezeption dieser Erwartungen im Neuen Testament. Er entfaltet die diffizile biblische Menschensohnüberlieferung und erklärt die Rede vom (personifizierten) Wort Gottes sowie vom Gottessohn. Die Aussagen über das stellvertretende (Sühne-)Leiden des Gottesknechts, seine Auferweckung und Erhöhung sowie sein Zukunftswerk werden eingehend gewürdigt. Problematisch ist an alledem nur die Aufteilung der Prädikate für den Servant auf mehrere Kapitel, weil sie schon im Alten und dann wieder Neuen Testament nicht alternativ, sondern kumulativ verwendet werden. S. zeigt auch nicht genau genug, dass der Menschensohn von Dan 2 und 7 sowie von der Henochtradition her der messianische Repräsentant der Herrschaft des einzig-einen Gottes ist. Über die Herrschaft Gottes und seines Gesalbten informiert er seine Leserinnen und Leser nur in ganz anderem Zusammenhang (z.B. 128 f.140 f.). Mit Recht verwendet er aber große Mühe auf die Erklärung der Leidenstradition und weist auch richtig darauf hin, dass Sühne und Versöhnung neutestamentlich nur zusammen mit der Inkarnation verstanden werden können (436). Auf das in der Forschung gebräuchliche Schema von vorösterlich nur impliziter und erst nachösterlich expliziter Christologie weist S. hin. Er fügt aber hinzu, dass das von Jes 53 herkommende Bekenntnis zu dem "für uns" in den Tod gegebenen und auferweckten Christus entscheidenden Anhalt an Lehre und Werk Jesu selbst hat. Auch die Berichte der Evangelien von Jesu Auferstehung hält S. für historisch verlässlich. Seine Gesamtdarstellung schließt er mit den bedenkenswerten Sätzen: "To accept Christ as Lord and Savior is to recognize that the claims he makes upon the lives of the believers are the claims that only God can make, and to respond by offering him the worship, the allegiance, and the service that are his due" (466).

Beim heutigen Diskussionsstand riskiert ein Autor viel, wenn er die Theologie der ganzen Bibel im Alleingang zu bearbeiten wagt. S. verdient hohes Lob dafür, dass er dieses Risiko nicht gescheut und sein eigenes Buch neben die 1992 erschienene, bahnbrechende "Biblical Theology of the Old and New Testaments" von B. Childs gestellt hat. Es ist für Frauen und Männer geschrieben, die in der kirchlichen Lehre tätig sind, und sollte bald ins Deutsche übersetzt werden. Der Vergleich mit Childs wird die Diskussion über die noch immer beargwöhnte (gesamt-)biblische Theologie beleben.