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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

775–777

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pietsch, Michael

Titel/Untertitel:

"Dieser ist der Sproß Davids ...". Studien zur Rezeptionsgeschichte der Nathanverheißung im alttestamentlichen, zwischentestamentlichen und neutestamentlichen Schrifttum.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2003. VIII, 419 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 100. Geb. Euro 64,00. ISBN 3-7887-1946-X.

Rezensent:

Roland Bergmeier

Der 100. Band der Reihe stellt in sich selbst eine Monographie zum Alten und Neuen Testament dar, insofern sowohl die Interpretation der Nathanverheißung (2Sam 7) als auch die Analyse ihrer alttestamentlichen Traditionsbildung sowie ihrer frühjüdischen und frühchristlichen Rezeptionsgeschichte ein wahrhaft gesamtbiblisches Forschungsprojekt ist.

Das Titelzitat aus 4QMidrEschat (4Q174) III,11 verdeutlicht vielleicht so etwas wie das Anliegen der Hamburger Dissertation, nämlich zu zeigen, dass die neutestamentlichen Schriftsteller nicht nur an der vielgestaltigen jüdischen Auslegungstradition der Nathanverheißung, sondern auch speziell an ihrer messianischen Neuinterpretation im 1. Jh. v. Chr. mit ihrer Erwartung einer individuellen, königlich-eschatologischen Heilsgestalt, des Messias aus dem Geschlecht Davids, partizipieren. Die Formulierung des Untertitels hingegen verdeckt ein wenig, dass die Untersuchung auch erhebliche Anstrengungen macht, zu einem angemessenen Verständnis der Nathanverheißung und ihrer Textgestalt in 2Sam 7 zu gelangen (8-31). P. zeigt auf, dass der Text sowohl in thematischer als auch in kompositorischer Hinsicht einen sinnvollen Zusammenhang darstellt, aber gleichwohl, in der diachronen Analyse nämlich, unübersehbare syntaktische Brüche und sachliche Spannungen aufweist, die zu literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Überlegungen Anlass geben. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Rezeptionsgeschichte der Nathanverheißung mit dem redaktionsgeschichtlichen Werden des Textes 2Sam 7 selbst schon begonnen hat (50 f.). Die älteste literarische Fassung der Nathanverheißung enthielt eine Dynastiezusage für das davidische Königshaus, das, wie P. "neueren Ergebnissen der archäologischen bzw. soziologischen Forschung zur frühen Königszeit" sehr leichtfüßig folgend meint, nicht vor dem 9. Jh. v. Chr. angesetzt werden könne (32, Anm. 169). Wahrscheinlich in der Zeit Josias wurde die ursprünglich kollektiv gemeinte Rede vom "Samen Davids" auf Salomo appliziert und das dynastische Motiv mit der Tempelbaufrage verknüpft. In nachexilischer Zeit wächst mit der Fortschreibung des Textes in V. 9b-11a.22-24 eine israeltheologische Perspektive hinzu: "Das Volk Israel wird so in den Bereich der Davidverheißung einbezogen, daß diese zu einer Verheißung für Israel wird" (51). Aus der Frühzeit des Zweiten Tempels datiert eine weitere textinterne Fortschreibung, nämlich 2Sam 7, (1b).6-8a, die an die priesterschriftliche Heiligtumskonzeption erinnert; sie radikalisiert das Tempelbauverbot grundsätzlich tempelkritisch. Die beiden Schlussverse endlich stehen einer restaurativen Davidtheologie nahe, die in exilischer oder (früh-)nachexilischer Zeit die eschatologische Erneuerung des davidischen Königtums erwartete. Dem Werden des Textes 2Sam 7 entsprechend lassen sich auch in der Geschichte seiner "späteren Konkretisationen" (7), wie P. unschön formuliert, vier verschiedene Rezeptionsmodelle der Nathanverheißung (Tabelle S. 369) ausmachen: 1. ein kollektiv-nationales in 2Sam 7,9b-11a.22-24; Jes 55,1-5; Ps 89; Tob 13,1-8; Jub 1,24 f.; 2Kor 6,14-7,1; Apk 21,1-8; TestXII.Jud 24,1-4; 2. ein restauratives in 2Sam 7,28 f.; Jer 23,5 f.; Ps 132; Jes 16,1-5; Am 9,11 f.; Jer 33,14-26; TestXII.Jud 22,2 f.; 4Q174 III,10-13; 4QComGen A; PsSal 17; Röm 1,3 f.; Lk 1,26-38; Act 2,14-39; Act 13,16-41; Hebr 1,5-14; 3. ein paränetisch-restriktives in Jes 7,1-17*; 1Reg 2,4; 8,25; 9,4 f.; 11,38 (dtr); Sir 45,25; 47; 1Makk 2,57; 4. ein tempeltheologisches in 2Sam 7,(1b).6-8aa; Sach 6,12 f.; 1Chr 17; 2BAS 7; 4Q174 III,1-7; Act 7,46 f.

Als ein wichtiges Ergebnis seiner Untersuchung will P. festgehalten wissen, "daß alle vier Rezeptionsmodelle, die in der Folgezeit maßgebend geblieben sind, sich in den theologischen Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 6. Jh.s v. Chr. ausgebildet haben. Diese Zeit wird man als die eigentlich traditionsschöpferische Periode im Blick auf die Rezeptionsgeschichte der Nathanverheißung bezeichnen müssen" (371). Mit dem Aufkommen der messianischen Interpretation im 1. Jh. v. Chr. wurde nach P. ein letzter großer Einschnitt in der Rezeptionsgeschichte erreicht, an dem auch die neutestamentlichen Schriftsteller partizipierten. An diesem Punkt hätte freilich ein Exeget, der vom alttestamentlich-frühjüdischen Traditionsstrom ausging, stärker den Hiatus hervorheben müssen zwischen der Anschauung vom Thron des Messias in Jerusalem und vom Thron des messianischen Gottessohns im Himmel. Denn tatsächlich ist dies der tief greifendste Einschnitt in der Rezeptionsgeschichte der Nathanverheißung, der zugleich eins der bis heute theologisch schwierigsten Probleme des Verhältnisses zwischen Altem Testament und Neuem Testament berührt.

Wer sich mit dem Text der Nathanverheißung und den Texten ihrer Rezeptionsgeschichte befassen will, wird das hier vorgestellte Buch mit Gewinn zu Rate ziehen. Hervorgehoben sei auch die schöne Erkenntnis P.s im Blick auf "Die Nathanverheißung in den Schriften aus Qumran" (212-224), die Auslegung der Schrift beginne "bereits mit der formalen Gestaltung des Schriftzitats" (215). Kritisch bleibt aber anzumerken: 1. Das ohnehin nur schmale Register ist in vielerlei Hinsicht unbefriedigend. 2.Auf die Beseitigung sprachlich-formaler Mängel im Griechischen und Deutschen hätte mehr Sorgfalt verwendet werden dürfen. 3. Wenn man schon meint, die sog. Nominal-Apposition im Hebräischen in der deutschen Übersetzung manieriert nachahmen zu sollen (z. B. 12: "deines Knechtes, David, ..."), sollte man wenigstens konsequent sein (41: "um meines Knechtes Davids willen"), sonst klingt es falsch. Des Weiteren: Israel von "Göttern" für sich (im Singular) ausgelöst sein zu lassen (12), klingt nicht nur, sondern ist falsch. 4. Der Bimessianismus in CD, 1QS und 1QSa weist keine Beziehung zum Hause David auf, also kann "der Spross Davids" nicht exegetisch, sondern nur dogmatisch mit dem "Messias aus Israel" (216) identifiziert werden. Wenn P. meint, in 4QMidrEschat (4Q174) liege einerseits eine tempeltheologische und andererseits eine messianische Rezeption vor, dürfte er natürlich nicht nachträglich die Formulierung "Israel zu retten" vom "Motiv der Ruhe vor den Feinden" her interpretieren (219.223.372). Im Übrigen wird nicht vom Spross Davids gesagt, er werde "die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten (vgl. 4Q174 III,12 f.)" und also "das davidische Königtum über Israel erneuern" (221), sondern nach dem Wortlaut des Textes lässt Gott, Israel rettend, den Spross Davids erstehen und richtet so die zerfallene Hütte Davids auf. 5. Den Nachweis, dass zwischen 2Sam 7 und Röm 1,3 f. "enge sprachliche Parallelität" bestehe (328), ist P. dem Leser schuldig geblieben. Dass also "in Röm 1,3 f. dezidiert II Sam 7,12-14 rezipiert worden ist" (328, Anm. 382), bleibt unerwiesen. 6. Fügt sich nach P. "auf dem Hintergrund der antiken Rhetorik" der Abschnitt 2Kor 6,14-7,1 "nicht nur glatt in die Argumentation des Apostels seit 2,14 ff. ein, sondern übt in ihr eine eigenständige Funktion aus" (337), erhellt sich daraus nur, dass man mit den formalen Kriterien "der antiken Rhetorik" wie in der Rhetorik selbst nahezu alles stimmig zusammenfügen kann. Im Übrigen darf man sich der Erkenntnis P.s im Blick auf 2Sam 7 erinnern: "Eine kompositorisch sinnvolle Textstruktur kann sehr wohl auch das Ergebnis redaktioneller Bearbeitung(en) sein" (15).