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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

584–587

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fritz, Volkmar, and Philip R. Davies [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Origins of the Ancient Israelite States.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1996. 219 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 228. Lw. £ 33,-. ISBN 1-85075-629-5.

Rezensent:

Wolfgang Zwickel

Die Anfänge Israels sind seit einigen Jahren ein heißdiskutiertes Problem innerhalb der alttestamentlichen Forschung. Nachdem man sich anfangs vor allem auf die Frage der Historizität der Landnahme und der sogenannten Richterzeit konzentrierte, rückt zunehmend auch die Periode der frühen Staatenbildung, d. h. die Zeit Sauls, Davids und Salomos, in den Mittelpunkt des Interesses. Dabei stehen sich als extreme Opponenten die "Maximalisten", die an der Authenzität der biblischen Texte zumindest in einem gewissen Rahmen festhalten, und die "Minimalisten" (insbesondere aus Kopenhagen) gegenüber, die den biblischen Texten keine oder kaum eine historische Zuverlässigkeit zuerkennen. Um verschiedene Vertreter der unterschiedlichen Meinungen an einen Tisch zu bekommen und den Dialog zu fördern, fand in den Räumen des Deutschen Evangelischen Instituts zur Erforschung des Heiligen Landes in Jerusalem vom 7.-9. Juni 1995 (dieser Zeitpunkt wird allerdings in dem Band nie genannt!) ein wissenschaftliches Kolloqium statt. Die Beiträge dieses Treffens werden nun in einem Sammelband einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt.

Nach einführenden Anmerkungen von Ph. R. Davies (11-21) und den Opening Remarks von V. Fritz (22 f.) folgen insgesamt zehn Vorträge, die in drei Gruppen eingeteilt sind. Unter der Überschrift "Method" finden sich Beiträge von Th. L. Thompson, Historiography of Ancient Palestine and Early Jewish Historiography: W. G. Dever and the Not So New Biblical Archaeology (26-43), und B. Halpern, The Construction of the Davidic State: An Exercise in Historiography (44-75). Dem Thema "Society" wurden drei Aufsätze zugeordnet: Chr. Schäfer-Lichtenberger, Sociological and Biblical Views of the Early State (78-105), N. P. Lemche, From Patronage Society to Patronage Society (106-120), und D. Hopkins, Bare Bones: Putting Flesh on the Economics of Ancient Israel (121-139). Im letzten Abschnitt, der mit "Sources" überschrieben ist, finden sich folgende Beiträge: D. Edelman, Saul ben Kish in History and Tradition (142-159), G. Auld, Re-Reading Samuel (historically): ,Etwas mehr Nichtwissen’ (160-169), N. Na’aman, Sources and Composition in the History of David (170-186), V. Fritz, Monarchy and Reurbanization: A New Look at Solomon’s Kingdom (187-195) und schließlich W. Dietrich, The ’Ban’ in the Age of the Early Kings (196-210). Ein Quellen- und ein Autorenregister beschließen den Band.

In seiner "Introduction" zeigt Davies in aller Kürze die derzeitige Problemlage in der Forschung auf. Letztlich geht es bei der derzeitigen Diskussion um die grundlegende Frage, ob und inwieweit die Bibel überhaupt als historische Quelle in Betracht gezogen werden kann. Dabei arbeitet er deutlich heraus, daß hinter der Polarisation religiöse (vorwiegend auf christlicher Seite) und territorialpolitische (vorwiegend auf israelischer Seite) Vorentscheidungen stehen. Damit enthält das vordergründig rein historische Thema aber auch eine zutieft religiöse und politische Problematik. Der zweite Teil seiner einführenden Bemerkungen enthält eine kurze Inhaltsangabe der nachfolgenden Aufsätze.

In seiner (nicht immer ganz fairen) Auseinandersetzung mit den Arbeiten Dever’s versucht Thompson darzulegen, daß Dever (und mit ihm Halpern, der bei dem Kolloquium anwesend war) viel zu sehr von der historischen Richtigkeit biblischer Texte überzeugt ist und dabei biblische Texte und Biblische Archäologie miteinander kombinieren will.

Halpern beginnt seinen Beitrag mit einem eher philosophisch orientierten Abschnitt, was Geschichtsschreibung eigentlich leisten kann. "History is the way we organize ... our understanding of the world as it had been" (46). Interessen beeinflussen die jeweilige Form von Geschichtsschreibung. Diese These führt er dann zuerst an assyrischen Jagd- und Kriegszugsberichten, dann an 2Sam 8 aus und verdeutlicht, wie eine kritische Untersuchung der überlieferten Quellen zu einer diskussionswürdigen historischen Information führen kann.

Schäfer-Lichtenberger zeigt auf, daß in der soziologischen und geschichtlichen Struktur, in der sich Israel im 10. Jh. v. Chr. befand, größere Mengen an Inschriften etc. überhaupt nicht zu erwarten sind. Nach einem Überblick über gängige gegenwärtige Vorstellungen zu Staatskonzepten in der soziologischen Literatur vergleicht sie die Ansätze von Weber und Claessen mit den biblischen Berichten zur frühstaatlichen Zeit. Dabei ergibt sich, daß die Nachrichten über die Herrschaft Sauls und Davids den Kriterien entsprechen, die von soziologischer Seite für die frühe Staatenbildung entwickelt wurden. Daher stellen die biblischen Texte in ihren Grundzügen eine weitgehend zuverlässige Quelle für die Entwicklung der frühen Königszeit dar.

Für Lemche gibt es dagegen vor dem 8. Jh. keinen Staat Juda. Auch hält er die traditionelle Vorstellung des Übergangs von einem Stämmebündnis als Ausgangspunkt zu einem Staatsgebilde als Endpunkt für falsch. Vielmehr beschreibt er die spätbronzezeitliche Gesellschaft als "patronage society". An der Spitze einer Klasse von Besitzenden steht der "Patron", der für die Verwaltung des jeweiligen Stadtstaates nur weniger Beamter bedurfte. Als diese spätbronzezeitliche Gesellschaftsform im 13. Jh. v. Chr. zusammenbrach, traten nicht Stämme an die Stelle der Städte, sondern es entstand eine "village society". Aus den Ortschaften entstanden allmählich im 8. Jh. wieder Städte und damit eine neue Spielart der "patronage society".

Hopkins benützt ein Grab aus dem 8. Jh. v. Chr. als Ausgangspunkt, um die Frage aufzuwerfen, wie antike Funde zum Sprechen gebracht werden können, um so die ökonomischen Lebensverhältnisse einer Periode zu rekonstruieren. Es handelt sich um ein Grab am westlichen Abhang (nicht, wie er fälschlicherweise angibt, am östlichen Rande; die Koordinaten des Grabes sind 1716.1311) des Zionsberges. Für Hopkins stellt das Juda des 8. Jh.s eine vielschichtige Gesellschaft dar, in der Handel und staatliche Maßnahmen (Wein- und Ölanbau, vgl. die LMLK-Krüge) eine bedeutende Rolle spielen.

Edelman fordert, die biblischen Texte mit den Methoden der Textinterpretation zu untersuchen, wobei ihr methodischer Ansatz z. T. von der im deutschsprachigen Raum praktizierten historisch-kritischen Methode etwas abweicht. Die InterpretInnen eines Bibeltextes sollen so in die Lage versetzt werden, den Text möglichst so zu lesen, wie ihn ein damaliger Leser gelesen haben mag. Eine Übersicht über die Saultradition zeigt, daß es durchaus glaubwürdige historische Erinnerungen an Saul gibt (1Sam 9,1-10,16*; 10,11 f.*; 18,7; 19,24*; 21,12; 2Sam 1,19-27; 2,9 sowie die Beziehungen Sauls zu Gibeon). Das sich daraus ergebende Bild des historischen Saul ist jedoch noch sehr interpretationsbedürftig.

Nach einem Überblick über neuere Ansätze zur Interpretation der Samuelbücher (Polzin, Fokkelman, Garsiel) führt Auld am Beispiel von 1Sam 17 f. und 2Sam 24 aus, daß sowohl das deuteronomistische als auch das chronistische Geschichtswerk auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen; beide Geschichtstraditionen haben den gemeinsamen Kern dann mit den ihnen je eigenen Anliegen ausgestaltet.

Na’amans Anliegen ist es, aus der Umwelt des Alten Testaments historisch gesicherte Informationen zusammenzustellen, die es im Sinne eines Indizienbeweises möglich erscheinen lassen, daß grundlegende Elemente der frühstaatlichen Zeit (z. B. Schreibtätigkeit am Hof, Kriegszüge Davids) zuverlässig überliefert sind. Ob die berichteten Ereignisse auch wirklich historisch sind, lassen die Quellen jedoch nicht zweifelsfrei erkennen.

Fritz beschäftigt sich mit der baulichen Hinterlassenschaft aus der Zeit Salomos. Die Ausgrabungsergebnisse vor allem in Megiddo, Hazor, Gezer und Tell es-Seba’ belegen eine Re-Urbanisierung im späten 10. Jh. v. Chr.; diese kann, ebenso wie die einsetzende Bautätigkeit bei öffentlichen Bauten, mit der Entstehung des Königtums in Verbindung gebracht werden. Die biblische Beschreibung Salomos als großen Bauherrn ist somit zutreffend, auch wenn er nicht der prächtige Herrscher war, wie er nach der biblischen Tradition erscheint.

Dietrich schließlich sieht im Bann während der Zeit Sauls (vgl. 1Sam 15*; zum alten Bestand rechnet er V. 4a.5.6*.7 f.12.13a.32-34) und Davids (1Sam 30) eine besondere Art der Kriegsführung, die sich von normalen Kriegen zur Gewinnung von Beute unterschied. Hierbei handelte es sich um einen Krieg für die jeweilige Gottheit, bei dem gerade der Beutegewinn ausgeschlossen wurde. Solche Kriege waren, wie die Mescha-Inschrift zeigt, in der frühstaatlichen Zeit durchaus üblich. Da diese Bannvorstellung derjenigen des Deuteronomiums widerspricht, gibt es demnach auch Erzählungen (und nicht nur Listen etc.), die vor-dtn Überlieferungsgut erhalten haben.

In der Tendenz zeigen die meisten Aufsätze, sofern sie soziologische Kriterien, archäologische Hinterlassenschaften und/ oder historische Informationen aus der Umwelt für die Interpretation der Frühzeit Israels heranziehen, daß zumindest Grundüberlieferungen über die frühe Königszeit einigermaßen zuverlässig sein dürften. Der Aufsatzband ist somit, obwohl dies nicht ausdrücklich gesagt wird, ein Plädoyer für die Hinzuziehung von Nachbardisziplinen für die Interpretation biblischer Texte.

Es ist zudem erfreulich, daß Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit unterschiedlichen Ansätzen und methodischen Programmen hier an einem Tisch versammelt wurden. Wissenschaft lebt von kontroversen Diskussionen; nur so kann Forschung voranschreiten, nur so können Argumente auf ihre Stichhaltigkeit und Tragfähigkeit hin überprüft werden. Dem Leser/der Leserin wird in diesem Band aber der eigentlich spannendste Teil des Kolloquiums vorenthalten: nämlich die sich an die Vorträge anschließende Diskussion. Viele der hier vorgestellten Beiträge sind Programme, die so oder ähnlich seit langem bekannt sind und mit den jeweiligen Referenten und Referentinnen verbunden werden. Gerade die Diskussion unter derart profilierten Vertretern und Vertreterinnen erbrachte, so ist jedenfalls zu hoffen, Fortschritte und neue Erkenntnisse für das Verständnis des 10. Jh.s v. Chr. Gerade weil die meisten Beiträge dieses Bandes nicht polarisieren, sondern Argumente zu einer Diskussion beitragen wollen, vermißt man die Wiedergabe von Diskussionsbeiträgen. Auch scheinen die Autoren und Autorinnen die gedruckte Fassung ihrer Beiträge zumindest teilweise nach dem Kolloquium nicht mehr überarbeitet und entsprechende Diskussionen aufgenommen zu haben. Der Band vermittelt in seiner jetzigen Form somit nur eine Beschreibung der gegenwärtigen Forschungslage, bietet aber keinen Fortschritt oder Ausblick in die Zukunft.

Ein Manko dieses Bandes ist sicherlich auch, daß es keinem Beitrag gelungen ist, den exegetischen Stand der Forschung zum gewählten Thema wirklich grundlegend darzustellen. Vielmehr konzentrierten sich die Referenten und Referentinnen jeweils auf das mit ihrem Namen verbundene exegetische bzw. historische "Programm". Nur selten werden Texte wirklich gründlich mit der nötigen methodischen Genauigkeit untersucht. Diese "Nachlässigkeit" zeigt sich auch bei der zitierten Literatur. So sucht man beispielsweise unter der einschlägigen Standardliteratur zum behandelten Thema das Buch von P. Mommer zu Samuel, T. Veijola’s diverse Arbeiten, W. Dietrich’s Buch zu Saul, David und die Propheten (nur von ihm selbst zitiert!), Noth’s Königekommentar u. a. m. vergeblich.

Die Publikation in einem englischen Verlag wird für die wissenschaftliche Verbreitung des Bandes sicherlich von Vorteil sein. Es ist jedoch andererseits bedauerlich, daß die Aktivitäten des Deutschen Evangelischen Institutes nun wiederum, wie schon bei dem Grabungsbericht von C. Clamer über die Ausgrabungen in ez-Zara, nicht in einem deutschen Verlag erscheinen. Für das Ansehen des Institutes in Deutschland ist diese Publikationspraxis sicher nicht förderlich.

Trotz aller Kritik stellt das Buch aber eine lesenswerte Standortbestimmung dar, die es in dieser Form noch nicht gibt. Es dürfte für viele Leser und Leserinnen anregend sein und fordert zur eigenen Stellungnahme unter den verschiedenen Positionen heraus.