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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

751–753

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pardee, Dennis

Titel/Untertitel:

Ritual and Cult at Ugarit.

Verlag:

Ed. by Th. J. Lewis. Atlanta: Society of Biblical Literature 2002. XIV, 299 S. gr.8 = Writings from the Ancient World, 10. Kart. US$ 29,95. ISBN 1-58983-026-1.

Rezensent:

Oswald Loretz

Der amerikanische Autor gliedert sein Werk nebst einer Einleitung (1-8) in die beiden folgenden Teile: Part One: The Sacrificial Cult (9-153) mit den Unterteilungen: I. Deity Lists (11- 24), II. Prescriptive Sacrificial Rituals (25-116), III. Descriptions of Sacrificial Rituals (117-122), IV. Memorial of a Sacrificial Rite (123-125), V. An Ex Voto Inscription (126), VI. Divination (127-148), VII. Prayers (149-153); Part Two: Ritual Activity Outside the Sacrificial Cult (155-220): VIII. Incantations (157-166), IX. Historiolae (167-191), X. Rites Including Divine Participation (192-210), XI. A Myth That Explains a Ritual Practice (211-213), XII. Administrative Texts (214-220).

Auf das Kapitel "Summary and Conclusions" (221-243) folgen noch "Concordance of Text Numbers" (244-251), eine Bibliographie (252-266), ein Glossar (267-285) und Indices (286-299). Im Falle der Letzteren wird es ein Geheimnis des Autors bleiben, warum er den Leser mit verschiedenen Zählsystemen der keilalphabetischen Texte aufhält.

Die Ausführungen P.s beruhen größtenteils auf den umfangreichen Kommentaren, die er in seinem Werk "Les textes rituels", Fascicule 1-2, Ras Shamra-Ougarit XII, Paris 2000, zu einzelnen Ritualtexten aus Ugarit veröffentlicht hat. Er verweist ausdrücklich auf sein voluminöses Werk (5.263). Er bietet folglich in seiner neuen Arbeit einen kurzen und zusammenfassenden Überblick für ein breiteres Publikum an.

P. versucht, anhand der Texte den Opferkult in den Heiligtümern von Ugarit und das Ritualgeschehen außerhalb derselben und auf diese Art den alltäglichen Kontakt der Ugariter mit ihren Göttern darzustellen. Er will damit nicht leugnen, dass auch die bekannteren mythologischen Texte aus Ugarit mit einem Ritualgeschehen verbunden gewesen seien, das jedoch größtenteils unbekannt sei (1). Mit dieser Bewertung der großen Mythen deutet er bereits latent seine minimalistische Stellung zum Thema "Neujahrsfest" an. In der täglichen Ausführung religiöser Pflichten habe in Ugarit das blutige Opfer von Tieren im Mittelpunkt gestanden (3). Die Tatsache, dass wir in den Texten keine Angaben über die Behandlung des Blutes und des Fleisches vorfinden, hänge mit dem Genuss derselben zusammen. Diese seien keine Abhandlungen über Theorie oder Praxis des Opferkultes, sondern aide-mémoires für die Priester. Es gebe keine "nonsacrificial liturgies" (3). Jedem vorgeschriebenen kultischen Akt gehe ein Opfer voraus, er sei von einem solchen begleitet oder folge ihm nach. Diese Überlegungen führen ihn zu folgendem Schluss: Es sei nicht zu viel gesagt, ein blutiges Opfer sei das sine qua non eines kompletten Rituals innerhalb des offiziellen Kultes in Ugarit (4).

Zu diesen generellen Ausführungen ist anzumerken, dass die mit einem Ritual verbundene Schlachtung von Opfertieren als ein spezielles Geschehen zu verstehen ist, das vor den in den überlieferten kultischen Texten vorgeschriebenen Handlungen von Fachleuten außerhalb des Heiligtums durchgeführt wurde. Es ist folglich normal, dass in den zur Debatte stehenden Texten von der Tötung der Tiere selbst und der Behandlung des Blutes nichts erwähnt wird. Die überlieferten Texte informieren über die Darbringung der Opfer im Heiligtum und deren Verzehr.

P. plädiert im Zusammenhang mit dem ugaritischen Opferwesen auch für eine minimalistische Bewertung des "mortuary cult" der königlichen Familie, wobei er gleichzeitig auch vom "funerary cult" spricht, den er von Ersterem zu unterscheiden versucht (4-5). Charakteristisch für seine Tendenz und Argumentationsstrategie ist bereits die generelle Rede "shades" für rapi'uma "Heiler" und die Auskunft, zl "Schatten, Shades of the Dead" sei ein genereller Terminus für die rapi'uma, die bei P. als Rapi'uma geführt werden (4-5 und 113, Anm. 123).

Mit Erstaunen notiert man ferner, dass in den Indices (295) kein Hinweis auf das wichtigste kultische Ereignis im Jahresablauf, das Neujahrsfest, aufzufinden ist. Die Begriffe "new year" und "new-year-festival" waren jedoch in Zusammenhang mit KTU 1.41xx1.87 (Nr. 15) nicht zu umgehen (57-58). Wenig verständlich ist in diesem Zusammenhang auch seine Darlegung des Verhältnisses zwischen den Laubhütten in Ugarit (KTU 1.41:50-55) und dem biblischen Laubhüttenfest (57. 65). Auch das Neujahrsfest fällt bei P. unter das Diktat einer minimalistischen Interpretation.

Im Einzelnen ist P. sehr darum bemüht, seit langem erarbeitete Ergebnisse der Ugaritistik unter seine kritische Lupe zu nehmen. Dies führt ihn z. B. dazu, das Schlusswort skn in KTU 1.78 (Nr. 41) nicht mit "Gefahr", sondern mit "the governor" zu übersetzen (132) und die gesicherte Lesung kbdm "zwei Lebern" (Z. 5) durch unverständliches w adm "The men (?)" zu ersetzen und die Bedeutung des terminus technicus der Leberschau bqr D zu "to seek out" abzuschwächen.

Die vom Rahmen des Buches her geforderte Kürze der Darstellung lässt in zahlreichen Fällen nicht erkennen, welche Vorentscheidungen hinter einer Übersetzung stehen. So finden wir z. B. bei Nr. 5. Rs 4.474, S. 23 zu Z. 17 folgende Eintragung b knt il "by 'Ilu's foundation" ohne Erklärung für knt "foundation". Erst in den "Textes rituels" Fascicule 1, 380, erfahren wir, dass er seiner Interpretation das Verbum k(w)n zu Grunde legt und das wahrscheinlichere kny, akkadisch kanû "pflegen"/D kunnu "respektvoll pflegen, betreuen" (AHw.), das zu einem knt "Bewirtung, Pflege o. a." führt, mit wenig überzeugenden Gründen ablehnt.

Bei der Übersetzung der ersten Zeile von KTU 1.161 (Nr. 24, S. 85-88) hält P. eine Überraschung bereit. Denn er gibt dbh zlm mit "the sacrificial liturgy of the Shades" (87) wieder. Auf S. 268 erfahren wir zum Stichwort dabhu-sacrifice, dass das Wort dbh ein genereller Begriff für eine Gabe an eine Gottheit sei, aber auch als terminus technicus für eine Art Opfer gebraucht werde. Etwas klarer lautet die Erklärung des Wortes unter dem Stichwort "sacrifice" (271), wo wir erfahren, dass dbh sowohl den "act of sacrifice" als auch "the feast that accompanied the offering to the deity" bezeichne. Die angebotene Interpretation von KTU 1.161:1 hängt engstens mit seiner allgemeinen Sicht des Textes KTU 1.161 als "the only explicitly funerary text from Ugarit" (85) zusammen. Bleibt man dagegen bei dbh "Opfermahl", so wird deutlich, dass die rapi'uma in KTU 1.161 zu einem königlichen Mahl eingeladen werden, bei dem die Geladenen die geopferten Tiere als Speise offeriert (qdm D, Z. 30) bekommen. Es ist folglich vorzuschlagen, "sacrificial liturgy of the Shades" durch verständlicheres "Opfermahl für die Schatten" zu ersetzen, womit zugleich eine Entkrampfung des Gegensatzes "mortuary cult" contra "funerary cult" erreicht wird. In Parallele hierzu werden z. B. Stelle und Übersetzung id ydbh mlk "At the time, the king is to sacrifice" (KTU 1.115, S. 66, Nr. 16, Z. 1) folgendermaßen zu verstehen sein: "Wenn der König das Opfermahl veranstaltet".

Den Leser dürfte auch stören, dass er zugleich mit den Vokalisationen Rapi'u und Rapa'uma konfrontiert ist. P. erklärt die Differenz folgendermaßen: Die Rapa'uma seien die "healthy ones", nicht die "healers", "invigoraters", also nicht rapi'uma (193.282). " Rapi'u, der ewige König" (KTU 1.108:1, Nr. 545, S. 193) ist nach seiner Interpretation (204-205, Anm. 6) eine sonst in Ugarit unbekannte Gottheit, sei aber hypothetisch mit Milku gleichzusetzen. Es dürfte jedoch vorzuziehen sein, im rätselhaften Rapi'u "Heiler" den mythischen Ahnherrn Did/tanu des Königshauses von Ugarit zu sehen und die ugaritischen rpum als rapi'uma "Heiler" zu deuten.

P. verdanken wir eine äußerst reichhaltige Darstellung des ugaritischen Opferkultes und der damit verbundenen Rituale. Er erweist der Verbreitung der einzigartigen Texte aus Ugarit einen großen Dienst, der jedoch in zahlreichen Punkten durch seine eigenwillige Sicht mancher ugaritischer Tatbestände beeinträchtigt wird.