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Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

748–751

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Egelhaaf-Gaiser, Ulrike, u. Alfred Schäfer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religiöse Vereine in der römischen Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. VIII, 310 S. m. zahlr. Abb. gr.8 = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 13. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-16-147771-5.

Rezensent:

Markus Öhler

Die Beschäftigung mit dem antiken Vereinswesen - vor allem auch unter Berücksichtigung des frühen Christentums - stand lange Zeit im Dunklen. Bis heute sind die Werke von F. Poland und J.-P. Waltzing von der Wende zum 20. Jh. zwar nicht eingeholt, doch finden sich seit geraumer Zeit Autoren und Autorinnen, die sich mit diesem faszinierenden Aspekt der antiken Sozialgeschichte beschäftigen (vgl. nur Untersuchungen mit Blick auf das frühe Christentum: T. Schmeller: Hierarchie und Egalität. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung paulinischer Gemeinden und griechisch-römischer Vereine, SBS 162, Stuttgart 1995; J. S. Kloppenborg (Hrsg.): Voluntary Associations in the Graeco-Roman World, London u. a. 1996; E. Ebel: Collegium et ecclesia. Die Struktur und Attraktivität griechisch-römischer Vereine und der christlichen Gemeinde in Korinth, Diss. Erlangen 2002; R. Ascough: Paul's Macedonian Associations. The Social Context of Philippians and 1 Thessalonians, WUNT 2.Reihe 161, Tübingen 2003). Die dabei zu Tage tretenden Einzelaspekte geben Althistorikern, Neutestamentlern und Patristikern ein weites Feld an Themen auf. Neben den klassischen Fragen nach Vereinsstrukturen, Vereinszwecken und Parallelen zwischen den christlichen (und jüdischen) Gemeinden und den Thiasoi und Collegia treten nun auch soziologische Fragen nach der spezifischen Form von Öffentlichkeit der Gemeinschaften und ihrer Gebäude in den Vordergrund. Besonders in dieser Hinsicht ist der hier anzuzeigende Sammelband aufschlussreich. Er geht auf ein Symposion aus dem Jahr 1999 zurück und bringt eine Mischung aus soziologischen und archäologischen Beiträgen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

Den ersten Teil bilden soziologisch ausgerichtete Beträge: A. Bendlin wendet sich unter dem Titel "Gemeinschaft, Öffentlichkeit und Identität: Forschungsgeschichtliche Anmerkungen zu den Mustern sozialer Ordnung in Rom" (9-40) dem Thema vor allem unter theoretischer Perspektive zu. Er will zeigen, dass sich die inneren Strukturen und Vereinszwecke nicht der Übernahme von öffentlichen Ordnungen bzw. gesellschaftlichen Notwendigkeiten (Begräbnisse etc.) verdanken, sondern "konstitutive Elemente eines Prozesses von Identitätsfindung innerhalb einer vereinsinternen Öffentlichkeit" darstellen (15). Die antiken Collegia sollten daher als "soziale Netzwerke" verstanden werden, die vor allem in der Stadt Rom als Möglichkeit zu verstehen seien, die durch Migration entstandenen Verluste auszugleichen. Dabei spiele das Ideal der Freundschaft die entscheidende Rolle. Man kann dazu die Darstellung der Urgemeinde durch Lukas vergleichen, um dieses Motiv auch im Neuen Testament bestätigt zu finden. J. Rüpke wendet sich den Collegia Sacerdotum zu, also religiösen Vereinen aus der Oberschicht (41-67). Dabei geht es Rüpke nicht um eine genaue Bestimmung der Vereinszwecke, sondern um die Stellung der Bankette im Gemeinschaftsleben der Priesterkollegien sowie um die Frage, welchen Öffentlichkeitscharakter diese Oberschichtscollegia hatten. Rüpke kommt dabei zu der unbedingt wichtigen These, "daß gemeinschaftliches Essen ein wichtiges Medium zur Konstitution von Öffentlichkeit in vormodernen Gesellschaften bildet" (44), und demonstriert dies anschaulich mit einer Rekonstruktion eines gemeinschaftlichen Mahles. Dabei ist die Verbindung zwischen Beratungen, Opferhandlungen, Wahlen und Essen besonders auffällig. Etliches davon wird auch für gesellschaftlich weniger angesehene Kollegien von Bedeutung sein. Auch der Öffentlichkeitscharakter solcher Mähler ist nicht zu unterschätzen, demonstrieren sie doch Reichtum und Stand. Beteiligung am Vereinswesen ist so - und dies gilt wohl auch nach Rüpke nicht allein für die stadtrömischen Priesterkollegien - immer auch öffentliches Handeln. Von A. Avram findet sich in dem Sammelband ein Beitrag zu einem Dionysos-Verein in Kalatis, dessen enge Verflechtung mit der Polisstruktur besonders auffällig ist (69-80). I. Dittmann-Schöne behandelt in einem Überblick die Götterverehrung in kleinasiatischen Vereinen der Kaiserzeit (81-96), wobei dem Rez. der Abschnitt zu jüdischen Vereinen besonders aufschlussreich zu sein scheint: Dittmann-Schöne referiert ein Grabepitaph (AE 1994, 1660), das schön zeigt, dass einzelne Juden, die sich durchaus zu ihrem Glauben bekannten, gleichzeitig in Handwerkervereinen Mitglieder sein konnten, die selbstverständlich pagane Kulte pflegten. Aus der Thematik des Sammelbandes heraus fällt der an sich interessante Beitrag von C. Markschies "Lehrer, Schüler, Schule: Zur Bedeutung einer Institution für das antike Christentum" (97-120). Markschies' Aufsatz kann vor allem als Hinweis darauf gelesen werden, dass "die Intensität der Christianisierung von Mitgliedern christlicher Gemeinden" nicht überschätzt werden sollte (103). Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen und man kann diesen Gedanken auch auf das Diasporajudentum übertragen.

Unter der Überschrift "Raumwahrnehmung und Gemeinschaft" versammeln die Herausgeber archäologisch orientierte Beiträge. U. Egelhaaf-Gaiser behandelt unter religionsästhetischer Perspektive Vereinshäuser in Ostia und bringt damit eine neue Fragestellung in diesen Forschungskontext ein (123-172). Ihre wesentlichen Ergebnisse betreffen die unterschiedlichen Raumkonzeptionen der von ihr untersuchten Vereinshäuser von Berufskollegien, die sich nach Status, der Überbietung konkurrierender Collegia oder nach demonstrativer Zur-Schau-Stellung von Luxus richteten. Nach religiösen Kriterien konstituierte Vereine grenzten sich hingegen von dem dezidiert öffentlichen Raum ab. Besonders aufschlussreich in diesem Beitrag ist aber auch die Frage nach der Funktion der Vereinshäuser im Alltag der Menschen als soziale Treffpunkte und in Beziehung zu ihren Wohnquartieren. A. Schäfer widmet sich dem bekannten Vereinshaus der Iobakchen von Athen (173-220). Neben der Vereinssatzung behandelt Schäfer hier vor allem die archäologischen Funde und vergleicht das Bakcheion von Athen mit jenem von Melos. Fraglich erscheint allerdings dabei die auf Grund einer gefundenen Frauenbüste angenommene Mitgliedschaft von Frauen im Iobakchenkollegium von Athen (183), da die Vereinssatzung lediglich Söhne und Brüder erwähnt. Der Beitrag von H. Schwarzer behandelt Vereinslokale in Pergamon sowie einige zusätzliche Inschriften (221-260). Für diese Stadt scheint das Fehlen von Berufsvereinen auffällig zu sein sowie die Häufigkeit landsmannschaftlich begründeter Thiasoi. Einen Blick auf das spätantike Christentum unternimmt abschließend U. Verstegen in ihrem Beitrag zur Raumdisposition in Basiliken des 4. und 5. Jh.s (266-297). Behandelt werden die Basiliken von Sufetula, Verona, Zahrani und Gerade. Dabei wird die (selten geäußerte) Annahme, die christlichen Basiliken wären baulich aus den Vereinshäusern zu erklären, mit dem Hinweis abgelehnt, dass sich in Vereinshäusern keine den Basiliken entsprechende interne Raumgliederung finde: In kirchlichen Versammlungsräumen werden die Orte der Liturgie und Hierarchie von denen der Laien klar unterschieden, was in den Häusern beruflicher oder religiöser Kollegien nicht der Fall ist. Als Erklärung für diese Differenz verweist Verstegen auf die heterogene Zusammensetzung des Christentums. Dies sei nicht auf die gesellschaftliche Herkunft der Christen, sondern auf die besondere Rolle der christlichen Amtsträger zu beziehen, unter denen sich selbst wiederum eine starke Hierarchisierung entwickelte. Eine ähnliche Strukturierung des Raumes gab es in den Vereinen nicht, obwohl auch diese ausgeprägte Hierarchien entwickelten. Die festgelegten Sitzordnungen, von denen uns etwa die Iobakchen-Inschrift aus Athen berichtet (SIG 3III 1109, Z. 74), waren in Vereinshäusern nicht besonders gekennzeichnet. Die archäologischen Beiträge enthalten jeweils Karten und Abbildungen. Ein Stellen- und Sachregister schließen den Band ab.

Der Band enthält eine große Zahl von Anregungen, die für die künftige Beschäftigung mit dem antiken Vereinswesen, aber darüber hinaus insgesamt für die antike Religionsgeschichte wichtig sein werden. Freilich bedarf es - gerade hinsichtlich der Aufarbeitung des epigraphischen Materials - noch weiterer Anstrengungen, um zu gesicherten Ergebnissen zu kommen. Einzeluntersuchungen, Überblicke und theoretische Überlegungen müssen dabei weiterhin in einem fruchtbaren Dialog bleiben, wie es in diesem Sammelband geschieht.