Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2004

Spalte:

745–748

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dever, William G.

Titel/Untertitel:

What Did the Biblical Writers Know and When Did They Know It? What Archaeology Can Tell us about the Reality of Ancient Israel.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2001. XIV, 313 S. m. zahlr. Abb. gr.8 Geb. US$ 25,00. ISBN 0-8028-4794-3.

Rezensent:

Jobst Bösenecker

Das Bild von der Geschichte Israels in der biblischen Epoche hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Waren davon zunächst die Erzählungen über die Erzväter und -mütter Israels, die Berichte über den Aufenthalt der Stämme Israels in und deren Auszug aus Ägypten und die Schilderung der Einnahme des Landes Kanaan betroffen, so steht in der jüngeren Diskussion insbesondere die Entstehung des Königtums und dessen weitere Entwicklung im Mittelpunkt des Interesses. Dies hat dazu geführt, dass sich in manchen neueren Stellungnahmen Positionen finden, die die Existenz eines "Vereinigten Königreiches" unter David und Salomo in Abrede stellen und die biblische Darstellung des Königreiches Israel im Norden und Juda im Süden weitgehend bzw. vollständig für Produkte aus späterer (persischer oder hellenistischer) Zeit erklären. Als Konsequenz daraus erscheinen die biblischen Texte über die Königszeit als rein literarische Fiktionen, die keinerlei Anhalt am realen historischen Geschehen haben. Eine wichtige Rolle haben dabei die Ergebnisse archäologischer Grabungen gespielt, die wesentliche neue Erkenntnisse mit sich gebracht und keine direkte Bestätigung der biblischen Schilderungen erbracht haben - nach Ansicht mancher diesen im Gegenteil widersprechen. In dieser Situation, in der das biblische Israel aus der Historie zu entschwinden droht, meldet sich mit D. ein Archäologe zu Wort, der mit seinem Buch, wie aus dem Titel deutlich wird, zwei Fragen beantworten möchte: Was wussten die biblischen Autoren, und wann wussten sie es? Der Titel des Buches ist mit Absicht plakativ formuliert und entspricht dem Anliegen des Vf.s, mit seinem Buch nicht nur das fachgelehrte Publikum, sondern eine breitere Öffentlichkeit, den "nonspecialist" (X), zu erreichen. Dies hat den erfreulichen Vorteil, dass die Darstellung allgemeinverständlich und gut lesbar gehalten ist, bringt aber auch den Nachteil von Simplifizierungen mit sich, wie der Vf. selbst einräumt (ebd.). Schon aus dem Vorwort (IX-XI) wird ersichtlich, dass es nicht um eine sachlich-distanzierte Darstellung der gegenwärtigen Forschungslage geht, sondern der Vf. pointiert seine eigene Position zum Ausdruck bringt, die auch deutliche Urteile über anderweitig vertretene Meinungen nicht scheut.

Der Blick in das Inhaltsverzeichnis (VII-VIII) lässt den Aufbau des Buches deutlich werden. Das 1. Kapitel (1-21) bringt generelle Ausführungen über den Charakter der Bibel als "History, Literature and Theology". Daran schließt sich das 2. Kapitel über die "Current School of Revisionists" und ihre "Nonhistories of Ancient Israel" an (23-52). Es folgt ein Kapitel mit Bemerkungen zu Methode und Geschichte der Archäologie, speziell im Blick auf deren Beitrag zur Erhellung der biblischen Texte (53-95). Auf Grund der in diesen Kapiteln vorgenommenen theoretischen Grundlegung folgt nun in zwei Schritten eine praktische Durchführung, zum einen anhand der "Israelite Origins and the Rise of the State" (4. Kap., 97-157) und zum anderen hinsichtlich der "Time of the Divided Monarchy" (5. Kap., 159-243). Was daraus für die Geschichte Israels zu folgern ist, wird im letzten Kapitel (245-294) erörtert, unter Anknüpfung an die zuvor vor allem im 2. Kapitel geführte Auseinandersetzung. Ein kurzes Fazit bietet die "Conclusion" (295-298) am Ende des Buches, das mit Literaturhinweisen und drei Registern zu den behandelten Personen, Bibelstellen und Sachbegriffen beschlossen wird (299-313).

Zwei aus der Sicht des Vf.s bedenkliche negative Tendenzen der jüngeren Zeit sind es, die ihm Anlass zu einer kritischen Erörterung geben und ihn einen eigenen (Gegen)entwurf vorlegen lassen: zum einen die neuere Entwicklung in der Literaturwissenschaft, die unter dem Stichwort "New Literary Criticism" zunehmend auch in der Erforschung der biblischen Texte an Bedeutung gewonnen hat. Dies hat nach Ansicht des Vf.s, vor allem in der Form des Dekonstruktivismus ("Deconstruction" bzw. "Deconstructionism", vgl. 12 ff.25 f. u. ö.), zu einer anti-historischen, letztlich sinnentleerenden Lesung der biblischen Texte geführt (vgl. insbesondere die Zusammenstellung der Kritikpunkte am "New Literary Criticism" seitens des Vf.s auf 15f.). Von den gedanklichen Voraussetzungen dieser Herangehensweise sieht er auch die prominenten Vertreter jener Richtung bestimmt, die von ihm als "Revisionists" bezeichnet und in Kap. 2 charakterisiert (P. R. Davies; T. L. Thompson; K. W. Whitelam; N. P. Lemche; mit Einschränkungen auch I. Finkelstein; 28-44) und kritisiert werden (44-52, vgl. die Auflistung auf S. 52). Nach den "Revisionists" sind die biblischen Texte literarische Fiktionen, zu wesentlich späterer Zeit verfasst, und bieten keinerlei Anhaltspunkte für historische Rückschlüsse auf die Geschichte Israels - so jedenfalls stellt sich deren Position dem Vf. dar, die von ihm hier und in den folgenden Kapiteln vehement bestritten wird. Dabei handelt es sich seiner Meinung nach nicht nur um ein isoliertes (Rand-)Phänomen, sondern um ein generelles Problem der gegenwärtigen akademischen Wissenschaftslandschaft (vgl. 245). So findet sich im 6. Kap. eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem "Postmodernism" (249 ff.), in dessen Infragestellung der Möglichkeit von "objektiven Tatbeständen" eine Bedrohung der abendländischen Geisteskultur seit der Aufklärung gesehen wird (vgl. 262. 292.294). Dieser Relativierung allen historischen Wissens wird betont ein Festhalten an objektiv feststellbaren und auswertbaren "facts" entgegengehalten, dem "postmodernism" ein "neopragmatism" (266) entgegengestellt. Manche Anfragen an postmodernistische Denkweisen mögen berechtigt sein, aber die hier vorgenommene Polarisierung ist eine zu einfache Antwort auf komplexe Sachfragen und wird der Vielschichtigkeit neuerer Ansätze nicht gerecht.

Ein zweiter Punkt berührt die Frage nach der Rolle der Archäologie bei der Erforschung der Geschichte Israels. Was in den Anfängen der "Biblischen Archäologie" zur Untermauerung der biblischen Berichte gedacht war, hat in jüngerer Zeit mehr und mehr zu einem Auseinandertreten von archäologischen Ergebnissen und biblischen Erzählungen geführt. Ein anschauliches Bild dieser Entwicklung wird vom Vf. im 3. Kap. gezeichnet (53 ff.), wobei in diesem Zusammenhang auch methodische Gesichtspunkte und neuere Theorieansätze in der Archäologie angesprochen werden. Während zunächst auf Grund von archäologischen Funden einzelne Korrekturen an dem durch die Bibel bestimmten Bild von der Geschichte Israels vorgenommen wurden, hat sich dies nun dahingehend verschärft, dass von den "Revisionisten" auf Grund der Archäologie die Glaubwürdigkeit der biblischen Texte als historische Quelle insgesamt in Abrede gestellt wird. Ein wesentliches Anliegen des Vf.s ist es, diese Ansicht als unrichtig zu erweisen. Demgegenüber stellt er fest, dass sich in der Zeit der "Israelite Origins" (oder "Early Israel"), der "United Monarchy" und der "Divided Monarchy" zahlreiche "Convergences" (so in der Überschrift zum 4. Kap., 97 u. ö.) zwischen dem Zeugnis der Archäologie und den biblischen Schilderungen feststellen lassen. So dienen das 4. und 5. Kap. (97 ff.159 ff.) dazu, diese Konvergenzen im Einzelnen aufzuzeigen. Dazu wird zu den jeweiligen Perioden eine erhebliche Menge an archäologischem Material geboten, veranschaulicht durch zahlreiche Abbildungen, und dieses auf dafür in Frage kommende biblische Texte, vor allem aus den Büchern Richter, Samuel und Könige und dem prophetischen Schrifttum, bezogen. In Tabellenform wird dies beispielsweise für "Early Israel" (12./11. Jh. v. Chr.) auf S. 125 veranschaulicht.

Aus dem Durchgang ergibt sich dem Vf. eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen archäologischer Grabungen und den Angaben in den biblischen Texten, so dass er schließlich in diametralem Gegensatz zu den "Revisionisten" zu dem Fazit gelangt: "They [sc. the biblical writers] knew a lot, and they knew it early." (295; Hervorhebung im Original) Dies ist zugleich die Antwort auf die im Titel des Buches gestellte Frage. Wenn es auch nicht möglich ist, auf die Menge an Einzelheiten einzugehen, so soll doch auf drei Punkte hingewiesen werden. Der erste betrifft das methodische Vorgehen des Vf.s Als Richtlinie wird aufgestellt, "archaeological data" und "biblical/textual data" zunächst unabhängig von einander zu betrachten (108) und erst in einem zweiten Schritt miteinander in Verbindung zu bringen. Dieser beachtliche Ansatz wird aber in der konkreten Durchführung letztlich nicht umgesetzt. Es werden immer wieder unmittelbare Verbindungslinien gezogen, so dass sich die Quellen wechselseitig interpretieren und die eine vorschnell als Bestätigung der anderen erscheinen kann. Dies zeigt sich z. B. bei der Behandlung des Stadttors von Geser im Licht von 1Kön 9,15-17 (131-138).

Die Annahme der Errichtung dieses Stadttors durch Salomo hängt an der Erwähnung von Geser in 1Kön 9,15-17 und ist dem archäologischen Befund für sich genommen nicht zu entnehmen. Der zweite Punkt betrifft die Auseinandersetzung mit der "low chronology" von I. Finkelstein, die eine Verschiebung der traditionellen Chronologie um ca. 50 Jahre nach unten im 12.-9. Jh. v. Chr. bedeutet und erhebliche Auswirkungen auf die zeitliche Ansetzung archäologischer Befunde hat. Die Position Finkelsteins wird vom Vf. als Außenseitermeinung bezeichnet, die "scarcely accepted by any other archaeologist" (43) sei. Doch ist die Diskussion darüber gerade erst in Gang gekommen, deren weiterer Verlauf zunächst abzuwarten bleibt; für ein solches abschließendes Urteil ist es jedenfalls noch zu früh. Der dritte Punkt berührt eine sehr interessante Fragestellung. Ein wichtiges Argument des Vf.s zu Gunsten der biblischen Texte ist, dass in diesen Gegenstände genannt werden, die in späterer Zeit außer Gebrauch geraten und nicht mehr bekannt gewesen sind (vgl. z. B. den Abschnitt über Elfenbeinarbeiten, 237-239). Wer davon ausgeht, dass die biblischen Texte als Ganze erst in wesentlich späterer Zeit verfasst worden sind, wird schwer erklären können, woher diese Kenntnisse stammen und warum sie überhaupt verwendet worden sind (vgl. 268 f.275-277 u. ö.). In der Tat ist dies ein nicht von der Hand zu weisendes Argument dafür, dass in die biblischen Berichte ältere Quellen eingeflossen sind, auch ohne deren durchweg hohe zeitliche Ansetzung durch den Vf. teilen zu müssen.

Ein kurzer Rückblick ergibt ein zweigeteiltes Bild. Die Stärke des Buches liegt in der beachtlichen Menge an Material, die zusammengetragen worden ist und in flüssiger Form präsentiert wird. In dieser Hinsicht bietet es viele nützliche Informationen. Dem vom Vf. erhobenen Anspruch indes, einen eindeutigen und definitiven Entwurf vorgelegt zu haben, also ein Bild dessen, "wie es eigentlich gewesen war" (so das Zitat von Leopold von Ranke auf S. 19; Hervorhebung im Original), wird man schwerlich zustimmen können. Ein Schlusspunkt ist noch längstens nicht erreicht, im Gegenteil machen es die gegenwärtigen Kontroversen in der alttestamentlichen Wissenschaft wie im Bereich der "Biblischen Archäologie" wahrscheinlich, dass weiterhin mit mancherlei Veränderungen in der Sicht der Geschichte Israels in biblischer Zeit zu rechnen ist.