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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

389–391

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Borgen, Peder

Titel/Untertitel:

Philo of Alexandria. An Exegete for His Time.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1997. X, 332 S. gr.8 = Supplements to Novum Testamentum, 86. Geb. hfl 180.-. ISBN 90-04-10388-0.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

Unter einem programmatischen Titel legt der Trondheimer Gelehrte seine Summe langjähriger Studien vor (Borgens früheste Veröffentlichung mit Blick auf Philo datiert von 1960) - gut lesbar, fast druckfehlerfrei, in souveräner Kenntnis der Texte und auch der Sekundärliteratur geschrieben. Die Textbenutzung verdient m. E. besonders hervorgehoben zu werden. B. gibt Belegstellen in englischer Übersetzung und ausreichender Länge wieder, und er versteht es, wesentliche Aussagen der Texte in bündiger Weise hervorzuheben. Der Autor vermittelt hilfreiche Überblicke über weite Passagen bzw. ganze Schriften und -gruppen, die eine für die Philo-Lektüre erschließende Funktion haben. Biblische und frühjüdische Bezüge werden knapp und zugleich eindringlich diskutiert. Die Erträge der 15 Kapitel sind in einem Concluding Summary zusammengestellt; Bibliographie und Register runden das Buch ab.

Die Einleitung führt hin zu den aktuellen Fragen der Philo-Forschung, denen sich die vorliegende Veröffentlichung verpflichtet weiß. Sie kreisen um die Fragen, wie der kulturelle Kontext Philos näher zu bestimmen, wie seine Auslegungsarbeit des Pentateuchs zu verstehen, und wie seine hermeneutischen Grundkriterien und -entscheidungen, sein ’hermeneutical key’ (13.140.282 und pass.), zu definieren sind. Sie dienen B. zugleich als roter Faden für eine Gesamtschau der philonischen Interpretationsarbeit.

Das erste, einführende Kapitel widmet sich den familiären, geographisch-geschichtlichen Kontexten Philos; es enthält einen aufschlußreichen Exkurs zum Vergleich der philonischen mit den lukanischen geographisch-anthropologischen Vorstellungen. (Auch andere Bezugnahmen auf neutestamentliche Passagen verdienen hohes Interesse; vgl. z. B. 54 ff.98 f.141. 155f.161 f.192.216 f.)

Im zweiten Kapitel wird ein Abriß der Geschichte des Judentums in Alexandrien (und Ägypten) unter Ptolemäern und Römern einschließlich der alexandrinisch-jüdischen Literatur gegeben. Die Ausleuchtung des historischen Hintergrundes macht deutlich, daß Philos Interpretationsarbeit im Blick auf das alexandrinische Judentum nicht als die eines Außenseiters betrachtet werden kann. Deshalb schließt sich in den Kapiteln 3-7 eine Sichtung der verschiedenen exegetischen Formen an, die Philo verwendet. Im allegorischen Kommentar sowie den Quaestiones et solutiones (Gen, Ex) und anderen Schriften wird formelhafte exegetische Terminologie sichtbar, die auf die Auslegungstradition hindeutet, in der Philo steht. B. prägt den Begriff der ,direkten Exegese’ (direct exegesis) für die verschiedenen Weisen Philos, biblische Prätexte in argumentativer Verwendung zu zitieren und v. a. zu paraphrasieren- bisweilen in solchem Umfang, daß u. a. für die Schriften, die als expositio legis (Goodenough) zusammengefaßt werden, von der Form der ’rewritten Bible’ gesprochen werden kann. Besonders die Verbindung von narrativen und theologischen Gehalten wird unter diesem Gesichtspunkt verständlich und mit anderen Schriften vergleichbar (Jub, LAB, GenAp, Jos ant). In den Kapiteln 8-15 wird gezeigt, wie die Interpretationsarbeit Philos vor seinem Hintergrund zu verstehen ist. Dabei wird plastisch die besondere Rolle der Septuaginta für das Selbstverständnis Philos als Mittler des Mose-Gesetzes an die hellenistische Welt herausgestellt. Philo hat bekanntlich Pentateuchtexte mehrschichtig, auf verschiedenen Auslegungsebenen, interpretiert. B. betont, daß eine einfache Unterscheidung zwischen literaler und allegorischer Interpretation diesem Vorgehen nicht hinreichend gerecht würde. Generelle Voraussetzung für die mehrschichtige Interpretationsarbeit Philos ist seine Überzeugung, daß die Tora als Repräsentantin des kosmischen Gesetzes und Gott als Schöpfer und Gesetzgeber zu denken sei. Die Überzeugung von der Tora als Schöpfungsordnung implizierte zugleich eine universal begründete und orientierte Rolle des Judentums. Das Judentum lebt auch in se inem Verhältnis zu den anderen Völkern in kosmischem Kontext. Unter dieser Voraussetzung wurde von Philo die Aufnahme von Nichtjuden ins Judentum theologisch reflektiert. Abraham, der Urvater des Judentums, wird zugleich als Urbild des Proselyten interpretiert; seine Geschichte wurde folglich sowohl als modellhafte Geschichte eines Proselyten wie als kosmisch-spiritueller Aufstieg dargestellt. Leider bleibt unerörtert, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der Geschichte Isaaks zukommt; seine wundersame Geburt wie seine ,Bindung’, v. a. aber die Frage nach einer Verhältnisbestimmung zu Abraham und ihrer Bedeutung für jüdische Identität in der Perspektive Philos werden nicht diskutiert.

Die Anthropologie und Ethik Philos sind im Kontext der Schöpfung und ihrer Ordnung grundgelegt (vgl. die Auslegung von Gen 1,26.28 in opif 84a). Die zentrale Tugend der Menschenliebe (Philanthropie) wird am Leben des Mose und ,seinen’ Gesetzen erläutert (virt 51-174). Die Tora ist für das Sein des Menschen konstitutiv, weil sie mit der Schöpfungsordnung kongruiert. Damit ist zugleich bestimmt, daß der Mensch nicht autonomer Herr der Schöpfung, sondern Beauftragter Gottes ist.

Im Werk Philos haben sich die Spannungen zwischen dem Judentum Alexandrias und seiner nichtjüdischen Umwelt niedergeschlagen (vgl. auch specleg 3,1-6, wo auf den Pogrom unter Flaccus und die dadurch bedingte politische Betätigung Philos angespielt wird). Er ging davon aus, daß jüdisches Leben auf den politischen Schutz der Torafrömmigkeit angewiesen blieb. Spannungen wurden unabwendbar, wenn dieser nicht mehr gewährt wurde. So hat eine kontextbezogene Auslegung der philonischen Schriften auch die Gesetzespraxis des alexandrinischen Judentums zu berücksichtigen. Besonders in Flacc und legGai wird deutlich, welche Rolle diese in den Konflikten unter Flaccus spielte. Positive Äußerungen gegenüber Herrschern wie Augustus oder Tiberius zeigen, daß und wie Möglichkeiten eines konfliktfreien Zusammenlebens denkbar waren. Man kann gegenwärtig von einem vor dem Hintergrund neugewonnener Perspektiven für das Frühjudentum und sein Verhältnis zum Hellenismus gewachsenen wissenschaftlichen Interesse für Philo als Exegeten des Pentateuch sprechen. Allein die Forschung des letzten Jahrzehnts - es sei nur an die Namen von Y. Amir, E. B. Birnbaum, N. G. Cohen, D. M. Hay, D. Runia erinnert - erlebte eine erhebliche Intensivierung. B.s Akzent liegt auf der Verbindung von historischem Bezug und theologischer Interpretation, und er zeigt, wie dabei biblische und hellenistische Motive zusammenspielten. Er hat auf der Suche nach dem hermeneutischen Schlüssel (s. o.) zum Werk Philos eine zustimmungs- und anknüpfungsfähige Bilanz gezogen.