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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

581–583

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Uwe

Titel/Untertitel:

Jesaja - von der Botschaft zum Buch.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 346 S. gr.8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 178. Lw. DM 148,-. ISBN 3-525-53862-6.

Rezensent:

Peter Höffken

Diese Göttinger Habilitationsschrift (1996) ist dankenswerterweise schnell erschienen. Der Autor gelangt zu folgender Sicht der Entstehungsgeschichte des Buches (Kap. 1-39): Am Anfang war ein judäischer Heilsprophet namens Jesaja, dessen Berufungserzählung in Jes 6,1-8 (ohne V. 5*: "und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich") erhalten ist. Mit dieser sind Unheilsworte gegen das Nordreich und das damit verbündete aramäische Damaskus (8,1.3 f.) verknüpft. Aus der weiteren Jes-Überlieferung lassen sich dieser Primärschicht dann noch 17,1b.3a (möglicherweise zwei Worte gegen Damaskus und Israel/Damaskus), 18,1.2a (gegen Kusch/Äthiopien), 20, 3.4* (gegen Ägypten und Kusch) 28,1*.3 (gegen das Nordreich) u. 28,7b-10 (gegen Priester/Propheten des Nordreichs) zuordnen und damit Jesaja als (wohl kultischer) Heilsprophet Juda/Jerusalems beschreiben.

Diese Primärüberlieferung wird verschiedenen Neueditionen ausgesetzt, die zunächst einmal (wir befinden uns in frühnachexilischer Zeit) die Heilsworte des Jesaja in einem für Juda unheilvollen Sinne reinterpretieren. Der Grundanhalt für diese Beobachtung findet sich in 8,5-8a*, wo die Unheilsbotschaft für Samaria-Damaskus in V. 3 f. auf Juda erweitert wird. Entsprechendes läßt sich auch in Kap. 28 beobachten (V. 7a.11-18*). Zugleich wird auf dieser Stufe die Berufungsvision um die Elemente des Verstockungsauftrags (V. 9.11) bereichert.

Weitere Fortschreibung ist mit dem Vorbau von Kap. 5 und der Anfügung von 9,7-20 (hinter 8,17) gegeben. Weinberglied und Weherufe liefern eine neue Bucheinleitung, die die Verstockungsbotschaft "abmildern und einsichtiger machen" will (283): das gesamte Gottesvolk ist aus eigener Schuld dem Gericht verfallen, was der Geschichtsrückblick in 9,7-20 auf seine Weise neu betont.

Ein wichtiges Moment der Überlieferungsbildung stellt dann die sogenannte Assur-Redaktion dar, die (anders als bei H. Barth) nur wenig neue Texte beisteuert (es handelt sich da um das Wehe gegen Assur in 10,5-11*, verbunden ursprünglich mit dem Schwurwort 14,24-25a; um die Grundlage des Ariel-Spruchs 29,1-4* und das Wehewort 31,1.3.8a). Diese Texte haben die Funktion, die Jesaja-Hiskija-Legenden in Kap. 36 f. vorzubereiten; z. B. wenn 31,8a vom Ende Assurs durch einen "Nichtmenschen" spricht, wird damit auf 37,36 vorgeblickt. Diese Legenden sind damit im Kern Jesaja erheblich näher als meist angenommen.

Zwei weitere Bucheinleitungen findet der Autor in 3,1 ff.* und (hier ist der Anfang nicht erhalten) in 2,6 ff. Hier wird vor allem die Schuld der Führungsschicht am Desaster der Vergangenheit betont, und in 2,6 ff., daß das Gericht der alten Zeit auch das der Zukunft sein könnte. Doch dürften diese Neueinleitungen sich im weiteren Verlauf des werdenden Buches kaum niedergeschlagen haben.- Wichtig ist dann noch die späte (protochronistische) Einschaltung von Kap. 7, ein Text, der Ahas zum Antitypos des frommen Hiskija macht und damit den Ausbau des sogenannten Denkschriftzusammenhangs in 6-8 (annähernd) abschließt. Als relativ abschließende Großredaktion weist B. endlich noch eine sogenannte Ungehorsamsredaktion aus, die ausgehend von 1,2-20 (mit 1,1 wohl) interpretierend stark in den vorliegenden Buchbestand eingreift und vor allem größere Komplexe in Kap. 28-31 schafft.

Ein Anhang des Buches weist (288 ff.) die bearbeiteten Texte aus Jes 1-10; 14,24 ff.; 28-31 in literarischer Schichtung aus. Das erleichtert die Benutzung des sehr klar geschriebenen Buches noch zusätzlich. Diese Charakteristik unterscheidet im übrigen B.s Buch auch von manchen Mitstreitern um Redaktionen des Jes-Buches in äußerst positiver Weise.

Einige weiterführende Überlegungen seien abschließend zur Basis der Argumentation vorgetragen. B. rekonstruiert in 6, 1-8 einen Text, der um die Bezüge auf das Volk in V. 5 gereinigt ist und von dem behauptet wird, er spiegle die Normalsicht der Tempeltheologie der Königszeit in Jerusalem (90 f.). Daran sind Zweifel erlaubt: schon der Reinigungsritus (mit glühender Kohle am Mund) dürfte nichts Irdisches spiegeln (man war auch in Jerusalem menschenfreundlicher); daß der Sarafensang Tempel-erschütternde Qualität hat (V. 4), dürfte einer Umfunktionierung des Gerichtsaspekts allein auf das Nordreich nicht günstig sein. Ferner ist 8,1-4 (ob mit oder ohne V. 2) einigermaßen gut mit dem Aspekt der "Verstockung" gemäß 6,9 kompatibel: die Judäer sehen etwas, was sie nicht verstehen können, und die Deutung des Namens Eile-Beute-Raube-Bald erhält in der Erzählfolge nur Jesaja (und der Leser, nicht aber die Zeitgenossen). Daß V. 5 eine übliche Weiterleitungsformel sei, läßt sich nicht sagen. Sie kommt so nur in 7,10 (abhängig von 8,5, darin bin ich mit B. einig) und 1Sam 3,8 vor und meint dort eine Kontinuität der nächtlichen Anrede Gottes an Samuel. Sie dürfte in 8,5 eine entsprechende Bedeutung haben und einfach auf ein solches kontinuierliches Reden Gottes zu Jesaja abstellen. Von daher ist mir weder ausgemacht, daß man V. 1-4 redaktionell von 8,5 ff. abheben kann, noch daß 8,1 ff. ohne Bezug auf den Verstockungsauftrag von 6 9 formuliert sei.

Eine andere Frage ist die weitere Bewertung der Rekonstrukte B.s zu der primären Jesaja-Botschaft. Sieht man sich die Dinge an, könnte man meinen, Jes sei ein proassyrischer Prophet (8,4), der sich dann gegen andere Völker wende, die potentiell die assyrische Herrschaft bedrohen könnten (das betrifft natürlich vor allem die Äthiopier und Ägypten). Die Grenze der rein buchinternen Argumentation B.s ist da erreicht, wo er die ägyptische Hilfstruppe im Jahr 701 (Elteqe-Altaqu) eher als Bedrohung Judas interpretiert (die der Heilsprophet abwehrt; zu 18,1f.*, 276 f.). Aber selbst Sanherib hat diese Truppe nur als erbetene Hilfstruppe für die palästinischen Kleinstaaten verstanden, nicht als Expansionsarmee (R. Borger, TUAT I.4, 389 II Z. 78-82). Ein judäischer Heilsprophet hätte hier vielleicht doch eher anders votiert. Auf dem Hintergrund der Zeitgeschichte impliziert jede Abwehr von Kusch und Ägypten auch die von Bündnissen und Hilfeleistungen für Juda u. a. - also Texte wie 31, 1-3*.

Für wichtig erachte ich, daß B.s Arbeit dazu zwingt, sich über den Werdegang von Jes 36-39 und der Parallele 2Kön 18-20 neu Gedanken zu machen. Ob man freilich Texte wie 31,1-3*.8a als Hinführung zu den Jesaja-Erzählungen (in B.s Variante der Assur-Redaktion, s. o.) verstehen kann, ist mir nicht so sicher. Einmal ist mir unsicher, ob man V. 8a wirklich mit V. 1-3 als einheitlichen Text verstehen kann (das Aufgreifen von Motiven aus V. 3 kann auch für Fortschreibung sprechen); zum anderen kann man Sprachteile, die mit Kap. 36 f. verbinden, in V. 1 als Erweiterung des Grundtextes verstehen ("und sie vertrauten auf Wagen, da sie viele waren, und auf Reiter, da sie überaus zahlreich waren"). Im übrigen ist zu beobachten, daß bei B.s Interpretation V. 3b (sein Kurztext) kaum eine Rolle spielt. Aber das Wehe gipfelt in einer Drohung gegen Helfer (Ägypten) und Geholfenen (Juda), denen beiden eine Katastrophe angesagt wird (zumindest "straucheln" und "fallen"). Und davon ist nun in Jes 36 f., was die judäische Seite betrifft, nicht unbedingt die Rede.

Insgesamt ist B. für einen wichtigen Neuanstoß zu danken, was die Erklärung der Genese des Buches Jesaja betrifft.