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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

579–581

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wuthnow, Robert

Titel/Untertitel:

Der Wandel der religiösen Landschaft in den USA seit dem zweiten Weltkrieg. Aus dem Amerik. von K. A. Braun, S. L. Kais-Heinrich u. G. Wegner.

Verlag:

Würzburg: Ergon 1996. 377 S. 8 = Religion in der Gesellschaft, 2. Kart. DM 48,-. ISBN 3-932004-05-1.

Rezensent:

Rolf Schieder

Der ursprüngliche Titel dieses 1988 bei der Princeton University Press erschienen Buches lautet The Restructuring of American Religion. Society and Faith since World War II. Die Übersetzer versuchen den schwer zu übersetzenden Begriff "American religion" im Titel zu vermeiden, der insofern schillernd ist, als er einmal die Vielzahl der kirchlichen Gruppierungen und religiösen Strömungen, ein anderes Mal die amerikanische Zivilreligion meinen kann.

Die Formulierung "religiöse Landschaft" hilft dem europäischen Leser, die Vorstellung von Religion in Amerika als einer aparten und klar ausdifferenzierten Größe zu vermeiden. Denn gerade auf die Wechselwirkungen zwischen Politik, Ökonomie und Religion kommt es dem Autor an. Er möchte klären, "inwieweit sich die Stellung der Religion in der amerikanischen Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg gewandelt hat beziehungsweise gleich geblieben ist" (13). Die Umstrukturierung der Religion war einerseits Folge der gesamtgesellschaftlichen Veränderung, vor allem der Expansion des Staates in die amerikanische Gesellschaft hinein. Zugleich verwirft W. aber ein Säkularisierungsmodell, das vom kontinuierlichen Niedergang der Religion im Zuge der Modernisierung ausgeht. "Die amerikanische Religion wurde nicht einfach ausgehöhlt, wie die Anhänger der Säkularisierungstheorie behaupten" (14). Vielmehr paßten sich die Kirchen den veränderten Rahmenbedingungen geschickt an. "Ihre institutionelle Macht war keineswegs ein unflexibler Papiertiger. Tatsächlich war die Anpassungsfähigkeit der amerikanischen Religion eines ihrer herausragendsten Merkmale" (14).

Gegen die gängige These von der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft diagnostiziert W. die Expansion staatlichen Einflusses auf dem Feld des Erziehungswesens, der Wohlfahrt und der Ökonomie, vor allem im Bereich der Förderung der Informationstechnologien. Auch die Religion wurde von dieser Verstaatlichung der gesellschaftlichen Öffentlichkeit betroffen. Insofern "untersucht dieses Buch, wie sich die veränderte Funktion des amerikanischen Staates ... auf die Religion ausgewirkt hat". (17) Das Buch - verfaßt unter dem Eindruck der politischen Instrumentalisierung konservativer religiöser Gruppen in der Reagan-Ära und der daraus resultierenden Polarisierung des religiösen Feldes in Konservative und Liberale - versucht durchgängig die Verflechtungen und gegenseitigen Einflußnahmen der Politik auf die Religion, aber eben auch der Religion auf die Politik nachzuzeichnen.

W. attestiert den amerikanischen Kirchen eine Strategie aktiver Adaption an den gesellschaftlichen Wandel. Anschaulich und auch für deutsche Leser verständlich schildert er, wie die Kirchen in den sechziger Jahren ihre Aufgaben neu bestimmten. Sie entwickelten sich von Integrationsorganisationen für Einwanderer zu Katalysatoren des gesellschaftlichen Umbruchs. Die Bedeutung der Konfessionsgrenzen nahm ab, die Denominationen wurden einander immer ähnlicher. Zugleich aber entstanden konfessionsübergreifende "special purpose groups", die den religiös Engagierten einen weiten gesellschaftlichen Handlungsspielraum eröffneten. In der Bürgerrechtsbewegung, in der Anti-Vietnam-Bewegung, im Feminismus, in der Ökologiebewegung - überall spielten religiöse Gruppierungen eine bedeutende Rolle. Gleichzeitig wuchsen als Gegenpart zu diesen dezidiert liberalen religiösen Gruppen die konservativen Kirchen zwischen 1940 und 1980 um das Fünffache. W. warnt davor, den konservativen Gruppierungen vorschnell das Schild "Fundamentalismus" umzuhängen.

Nicht nur im kirchlichen, sondern auch im zivilreligiösen Bereich sieht W. den Gegensatz zwischen einer konservativen und einer liberalen Zivilreligion. Während jene der Idee von Amerika als "number one" anhängen, sehen diese in der Zivilreligion ein kritisches Instrument zur Beförderung von Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Geschwächt wird die politisch-moralische Kraft einer solchen Zivilreligion durch eine technologische Entwicklung, in der sich Fortschrittsoptimismus und Wissenschaftsgläubigkeit mit der Überzeugung von Amerikas Überlegenheit so eng verbindet, daß zivilreligiöse und kommunitaristische Einsprüche an diesem Zynismus der Macht zerbrechen müssen.

Wenn W. gegen Ende seines Ganges durch die amerikanische Religionsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg auch eindringlich vor der Gefahr einer Mythologisierung des technischen Fortschritts und der Anbetung von Erfolg und Machbarkeit warnt, so ist er gleichwohl weit davon entfernt, die Religion als bloßes Opfer dieses Prozesses zu begreifen. "Im Gegensatz zu simplen Voraussagen, die ein Schwinden religiöser Lebendigkeit prophezeiht haben, bleiben viele Glaubenspraktiken und -vorstellungen erhalten - vielleicht dank ihrer Anpassung an die gegenwärtige kulturelle Situation. Die amerikanische Religion befaßt sich zunehmend mit Persönlichkeitsfragen, achtet stärker auf symbolische Strukturen, entwickelt einen flexibleren Organisationsstil und vermittelt ihren Gläubigen besondere Gottesdiensterfahrungen. So wurde sie komplexer und intern differenzierter - und war damit in der Lage, sich einer komplexen ausdifferenzierten Gesellschaft anzupassen" (348).

Das Buch erfreut den Kenner der amerikanischen religiösen Szene mit vielen anregenden Überlegungen und anschaulichen Schilderungen, dem Kenner der deutschen religiösen Szene eröffnet das Buch einen Blick auf eine religiöse Landschaft, von der wir nicht genau sagen können, ob sie unsere Zukunft sein wird.