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Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

630–632

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Avemarie, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte. Theologie und Geschichte.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XII, 546 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 139. Lw. Euro 104,00. ISBN 3-16-147639-5.

Rezensent:

Hans Klein

Die Frühgeschichte der christlichen Taufe liegt im Dunkeln. Die ersten schriftlichen Nachrichten stammen vom Apostel Paulus, der bereits eine ausgeprägte Tauftheologie entwickelt. Die jüngeren Texte aus der Apostelgeschichte lassen durchscheinen, dass es in der frühen Christenheit unterschiedliche Auffassungen von und Übungen der Taufe gegeben hat. Weil es aber zu den Aussagen der Apostelgeschichte kaum Paralleltexte gibt, wodurch diese bestätigt oder korrigiert werden, sind im Laufe der Zeit eine Fülle von Versuchen unternommen worden, hinter den Text der Apostelgeschichte zu kommen. Die Ergebnisse sind sehr verschieden.

Die im Oktober 2000 von der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen angenommene Habilitationsschrift geht in methodisch vorbildlicher Weise allen Texten der Apostelgeschichte nach, die von der christlichen Taufe sprechen, und kommt zu einem weitgehend überzeugenden Ergebnis, nämlich, dass die ersten Christen zunächst die Johannestaufe übernahmen und dann im Laufe der Zeit mit der Taufe auf den Namen Jesu sich von dieser abgrenzten und ein eigenes Taufverständnis entwickelten. Diese frühe Art der Taufe ist noch längere Zeit neben jener fortentwickelten geübt worden, wie man dem Text Apg 19,1-7 entnehmen kann. Damit zieht A. einen Strich unter die gegenwärtigen Forschungsergebnisse. Wer immer sich mit den Fragen nach den Ursprüngen der christlichen Taufe in den nächsten zwanzig Jahren beschäftigen wird, kann an dieser Arbeit nicht vorübergehen.

Das gelehrte und anspruchsvolle Buch geht allen Fragen der Forschung bis in deren Verästelungen nach. Die Literatur wird nicht nur gebührend im einleitenden Bericht, sondern auch ausführlich bei den Besprechungen von Einzelheiten und in den dazugehörigen Anmerkungen durchgesprochen, was dazu führt, dass die Thesen der Wissenschaftler auch im Detail bekannt werden.

In der Einführung (1-19) bespricht A. eingehend vier Werke der letzten 25 Jahre, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die ersten drei, von G. Barth, L. Hartman und S. Légasse, nehmen die Texte der Apostelgeschichte vornehmlich als Zeugnisse nachapostolischer Zeit ernst und begleiten A. in seiner theologischen Analyse, dem vierten von M. Quesnel weiß er sich auch im Gesamtergebnis nahe.

In seinem ersten Hauptteil (23-174) geht A. synchronisch vor und bespricht umsichtig und sehr gründlich das Taufverständnis des Lukas, das er von verschiedenen Facetten her beleuchtet: Taufe im Namen Jesu (26-43); Anlässe und Personen (44-81); Vorbereitung der Taufe (82-103); Sündenvergebung und Rettung (104-128); Taufe und Geist (129-174). Es kommt dabei heraus, dass Lukas als Erzähler kein klares tauftheologisches Prinzip hat (81), dass er die Leser über den religiösen Status des Eunuchen (66) und über die Kindertaufe (101) im Unklaren lässt, dass Taufe und Geist grundsätzlich zusammengehen (148), dass der Geist kein Ersatz des Endheiles, sondern Vorbereitung darauf ist (158) und dass Apg 2,38-40 so etwas wie ein "tauftheologisches Kompendium" darstellen will (174).

In seinem zweiten Hauptteil (175-440) geht A. diachronisch vor und fragt nach der vorlukanischen Überlieferung und dann weiter zurück nach den dahinter stehenden Ereignissen, wobei ihm bewusst ist, dass die Wahrscheinlichkeit historischer Rekonstruktion immer geringer wird, je weiter zurückgegangen werden muss. Die vielen Parallelen aus dem Neuen Testament, vor allem Paulus, aus dem Alten Testament, aus Qumran, der frühjüdischen und der klassischen Literatur, die A. heranzieht, helfen ihm, eine weitgehend überzeugende Sicht zu erarbeiten. Er bespricht demgemäß jeden in Frage kommenden Text (Apg 2,1-42, S. 77-213; 8,4-25, S. 214-266; 8,26-40, S. 267-294; 9,18 und 22,16, S. 295-339; 10,1-11,18, S. 340-398; 16,14 f. 30-34; 18,8, S. 399-312 und 19,1-7, S. 413-440) sorgfältig und ausführlich. Dabei geht er methodisch einwandfrei vor, wobei er für die Rückfrage nach der Vorlage des Lukas außer bei Apg 16 die "idiomatische Gestalt" untersucht. Dabei notiert A. zunächst sorgfältig alle Lukanismen, die er in zäher Konkordanzarbeit herausgefunden hat, die LXX-ismen, die auf Lukas, aber zumindest teilweise auch auf die vorlukanische Tradition zurückgehen können (225 f.359), vermerkt die geringen Lukas fremden Spracheigentümlichkeiten (194 f.227-231.276. 359 f.), weist auf sprachliche Parallelen zu Paulus hin (308-312. 365 f.), präsentiert dann ein Bild von dem Ausmaß der Tradition, die Lukas vorgefunden haben kann, und skizziert auf Grund inhaltlicher Indizien (196-216.233-243.278-291.328- 332.367-380) den möglichen historischen Hintergrund (ausführlich bes. 381-393).

Die Vorsicht, die A. gerade bei diesen Analysen walten lässt, ist wohltuend. Es ergibt sich, dass den Tauftexten der Apostelgeschichte mit Ausnahme von Apg 2,38-40 (wohl aber beim Pfingstbericht) an allen Stellen eine Überlieferung zu Grunde liegt, bei Apg 19,1-7 wahrscheinlich bloß eine mündliche (427), in den anderen Fällen ist schriftliche Vorlage vorstellbar (232.272.316.367). Die Grundlage der Erzählungen über die Wandlung im Leben des Paulus war ein Bekehrungs-, nicht ein Berufungsbericht, der Bericht über den äthiopischen Eunuchen wollte einen besonderen Erfolg der Missionsarbeit des Philippus hervorheben, der Korneliuserzählung liegt der Bericht von einem Ereignis der 30er Jahre zu Grunde, wo die Mission an den Heiden auch von Jerusalem her nicht problematisch erschien. Er legt gleichzeitig eine Nähe der Theologie des Petrus zu der des Paulus nahe. Das Apostelkonzil bespricht Folgeprobleme der kirchlichen Integration von Heidenchristen (393).

Im letzten Abschnitt seines Werkes fasst A. den Ertrag seiner Untersuchungen zusammen (441-455). Danach ist das älteste bekannte Datum der Taufe eines Christen das im Zusammenhang der Berufung des Paulus in den frühen 30er Jahren. In etwa dieselbe Zeit gehört auch die Bekehrung des Eunuchen und die Taufe des Simon Magus durch Philippus (377). Dessen Taufhandlung war noch nicht mit der Geistmitteilung verbunden, wie auch der Bericht über die Samaritanermission deutlich machen kann. Geisterlebnisse gingen in der Frühzeit mit der Bekehrungstaufe einher, die ältesten sind wohl die Erfahrungen im Zeugenstand (vgl. Mk 13,11; 387). Auch das Ritual der Aufnahme in die Gemeinde kam später hinzu (447). Bekehrung ganzer Häuser wurde im paulinischen Missionsgebiet geübt (vgl. neben Apg 16,15.31 f. auch 1Kor 1,16), die Taufe auf den Namen Jesu diente wahrscheinlich der Unterscheidung von anderen vergleichbaren Ritualen (450).

Im Anhang bringt A. eine Liste mit 179 Lukanismen der Tauferzählungen (456-478), für die er jeweils die entsprechenden Belege beibringt. Es folgt ein Literaturverzeichnis mit über 1000 Titeln (479-516). Das anschließende Register zu den Stellen der Bibel und antiker Literatur (517-534), zu den Autoren (535-542) und zu den Namen und Sachen (543-546) gibt dem Buch einen zusätzlichen Wert.

Die Freude bei der Lektüre dieses wissenschaftlich hoch qualifizierten Buches wird nur selten etwas gemindert: a) S. 410 f. ist A. beim Verständnis von ÍÏÔÓ in Apg 16,24 die Phantasie davongelaufen. Das Wort meint das Strafwerkzeug und hat mit dem Kreuz wenig gemein; b) ähnlich ist A. zu phantasiereich, wenn er auf S. 199 die Annahme einer vorgegebenen "Völkerliste" für Apg 2,9-11 ironisiert. Auch wenn man der Sicht A.s folgt und die Liste auf Lukas zurückführt, der hier Völker erwähnt, von deren Christianisierung er nichts Erzählerisches bringen wird, hat sich Lukas bei der Aufzählung an ein Modell gehalten, er ist also einer Tradition gefolgt; c) zu Lk 3,16 ist A. der in der Literatur oft behandelten These, dass der Täufer nur vom Gericht durch Feuer, nicht durch "Geist und Feuer" gesprochen habe, nicht nachgegangen; hätte er es getan, wäre er auf S. 388 vorsichtiger mit dem Vermerk gewesen, der Täufersatz habe die Funktion eines Katalysators im Hinblick auf die Verbindung von Taufe und Geisterlebnis gehabt.

Soviel man heute über die Frühgeschichte der christlichen Taufe wissen kann, hat A. deutlich gemacht. Da historische Forschung immer nur einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen kann und dazu mit einer Plausibilität arbeitet, die dem jeweiligen Kenntnisstand und der Argumentationsweise der entsprechenden Generation verpflichtet ist, wird das Fragen weitergehen. Es wäre schön, wenn alle Arbeiten, die sich der Geschichte der Urchristenheit widmen, die Maßstäbe, die A. gesetzt hat, nicht unterschreiten.