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Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

608 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Fisk, Bruce Norman

Titel/Untertitel:

Do You Not Remember? Scripture, Story and Exegesis in the Rewritten Bible of Pseudo-Philo.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2001. 375 S. gr.8 = Journal for the Study of the Pseudepigrapha. Supplement Series, 37. Lw. £ 55,00. ISBN 1-84127-207-8.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

Der Liber Antiquitatum Biblicarum Ps.-Philos (LAB) findet zu Recht steigende Aufmerksamkeit. Diese relativ umfangreiche Schrift des antiken Judentums bildet trotz ihrer einleitungswissenschaftlichen Probleme (vgl. dazu jetzt den ausführlichen Kommentar von Howard Jacobson, A Commentary on Pseudo-Philo's Liber Antiquitatum Biblicarum. With Latin Text and English Translation, 2 Bde., Leiden 1996; vgl. Rez. in ThLZ 123 [1998], 49-51) ein äußerst wichtiges Dokument narrativer Schriftexegese, dessen Reichhaltigkeit - auch im Blick auf die neutestamentliche Forschung - noch keineswegs erschlossen ist.

Ps.-Philo erzählt die biblische Geschichte von der Schöpfung bis zum Tod Sauls auf neue Weise. Seine erzählerische Gestaltung ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er die Erzählinhalte zwar knapp referiert, sie dann aber zumeist mit Hilfe direkter Reden der erzählten Figuren ausführlich diskutiert und auf diese Weise theologisch deutet und bewertet. Der narrative Diskurs des LAB ist also in einem hohen Maße argumentativ durchsetzt. Dabei fallen die vielfältigen impliziten und expliziten intertextuellen Bezüge auf. Handelt es sich einerseits um eine gezielte Auswahl von biblischen Erzählinhalten, so kommentiert Ps.-Philo andererseits die erzählte Geschichte durch Verweise auf weitere biblische Texte; F. verwendet für diese die Bezeichnung secondary bzw. subsidiary scripture (vgl. grundlegend 14 ff.). Der Aufgabe, diese diskursive Technik und damit die im LAB praktizierte Schriftinterpretation und ihre intertextuelle Hermeneutik zu untersuchen, hat sich F. mit exemplarischen Textanalysen gewidmet.

Das Buch - es handelt sich um eine überarbeitete Dissertation (Duke University, Richard B. Hays) - ist in sieben Kapitel unterteilt, von denen drei den eigentlichen Textstudien gewidmet sind (Kap. 4: LAB 12; Kap 5: LAB 15-18; Kap. 6: LAB 19-23. Im Einzelnen geht es um 12,1.3.4.7; 15,4.5.6; 18,1-14 [speziell zu 5 wird die Bewertung der Akeda - Gen 22 - in 32,1-4; 40,1-9 durch Ps.-Philo verglichen]; 19,7.11; 20,2; 21,2; 23,4.13.). F. beginnt mit einem Überblick über die jüngste Forschungsentwicklung zum LAB (Kap. 1, 13-53), stellt sodann drei Modelle vor, mit denen die Intertextualität der exegetischen Literatur des antiken Judentums erfasst werden kann (Kap. 2, 54-108), und bildet daraus einen komplexen hermeneutischen Zugang zur narrativen Exegese Ps.-Philos (Kap. 3, 109-135). Im abschließenden Kap. 7 (314-331) werden die Ergebnisse zusammengefasst und generalisiert; eine Bibliographie sowie Indizes antiker Quellen und moderner Autoren runden das Buch ab. Teilergebnisse bzw. frühere Versionen einiger Abschnitte wurden bereits veröffentlicht (vgl. z. B. 137, Anm. 2; 141, Anm. 15; 176, Anm. 122).

F.s Studie, deren Titel ebenfalls einen intertextuellen Bezug enthält (vgl. die Rede der zum Selbstopfer bereiten Seila 40,2: aut inmemor es que facta sunt in diebus patrum nostrorum?), bildet einen erfreulichen Fortschritt in der Erforschung der hermeneutischen Voraussetzungen des antiken Judentums. Den Ausgangspunkt bilden die drei Intertextualitätskonzepte von Michael Fishbane (Biblical Interpretation in Ancient Israel, 1985), Richard B. Hays (Echoes of Scripture in the Letters of Paul, 1989) und Daniel Boyarin (Intertextuality and the Reading of Midrash, 1990). Sie werden eingehend dargestellt und dem Schriftgebrauch Ps.-Philos appliziert. Die Textanalysen verlaufen regelmäßig in einem zweifachen Arbeitsgang. Auf die Untersuchung der jeweils verwendeten intertextuellen Beziehungen (compositional technique) erfolgt die Erörterung der hermeneutischen Implikationen und ihrer Pragmatik (hermeneutical strategy). Diese Arbeitsweise macht es F. möglich, sehr deutlich die Feinheiten des Schriftbezugs im LAB herauszuarbeiten und die Tragfähigkeit der eingangs referierten Intertextualitätskonzepte zu überprüfen. Aufschlussreich sind die sich ergebenden Analogien zu anderen Schriften des antiken Judentums (und Christentums).

Abschließend werden die Ergebnisse in Thesenform übersichtlich zusammengefasst (315-321) und im Blick auf grundlegende Themen diskutiert (zu den hermeneutischen Beziehungen zwischen Traditum und Traditio [vgl. dazu 119 die hilfreiche graphische Darstellung von vier Quadranten, in denen sich diese Beziehungen verorten lassen: free use, explication, transformation, negation of the traditum], 321-326; zur synthetischen theologischen Geschichtsschreibung Ps.-Philos, der es gelingt, die Schrift als "coherent and self-interpreting narrative" zu lesen, 326 f.; zu den sozialen, historischen und hermeneutischen Kontexten Ps.-Philos, 327-331). F. arbeitet u. a. grundlegend heraus, dass die intertextuell geprägte Hermeneutik des nachbiblischen Judentums (und frühen Christentums) auf der Intratextualität der biblischen Schriften basiert, dass jeder intertextuelle Bezug den jeweiligen biblischen Kontext umgreift (zu Ausnahmen von dieser Regel vgl. 320 f.) und dass diese Bezüge zu neuen Bedeutungen der Prätexte führen können.

Mit F.s Buch liegt ein wichtiger, exemplarischer Beitrag zur Hermeneutik des antik-jüdischen Schrifttums vor. Seine Studie hilft einerseits, die theologischen und hermeneutischen Voraussetzungen des Schriftgebrauchs Ps.-Philos weiter aufzuhellen, und sie kann andererseits trotz der Eigentümlichkeiten dieser Schrift mit der analysierten Intertextualität eine Voraussetzung aufweisen, die generell für das antike Judentum gilt. Für seine Literatur war der Bezug zu den biblischen Schriften grundlegend.