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Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

606 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Brin, Gershon

Titel/Untertitel:

The Concept of Time in the Bible and the Dead Sea Scrolls.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. XIII, 389 S. gr.8 = Studies on the Texts of the Desert of Judah, 39. Lw. Euro 103,00. ISBN 90-04-12314-8.

Rezensent:

Johann Maier

G. Brin, einer der bekanntesten israelischen Bibelwissenschaftler der jüngeren Generation, beschreibt in zwei Teilen, acht Kapiteln und 28 Abschnitten die Zeitvorstellungen in der Bibel und in den Qumrantexten, wobei fünf (siehe S. vi) bereits zuvor publizierte Aufsätze eingefügt wurden. Im ersten Teil zur Bibel behandelt er in Kap. I. Ausdrücke für Zeit, insbesondere jôm und dôr, ferner Bezeichnungen für vorher und nachher, anfangs, sowie Zeitbestimmungen in Verbindung mit jwm- bzw. je- in historiographischen Texten. Kap. II (95-138) gilt formelhaften Ausdrücken für Zeit bzw. Zeitabschnitte, und Kap. III (139-174) beschreibt die Einteilung der Zeit. In Kap. IV (175-188) folgt die Erörterung von Bezeichnungen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und in Kap. V (191-216) werden sehr eingehend die Ausdrücke 'ôräk jamîm, "lange (Lebens-)Dauer" und das Verhältnis von Zeitdauer und Lebensdauer besprochen.

Der Teil II (219-367) gilt der Qumranliteratur, mit der sich der Autor bereits seit längerem befasst hat und deren allgemeine Zeitvorstellung er vorweg einleitend skizziert. Kapitel VI (223-308) behandelt "Gott und Zeit" und die Zeitbezeichnungen wie dôr, môced, qeç, côlam und cet. Kapitel VII (309-338) gilt allein der Verwendung des Begriffes jôm. Kapitel VIII (339- 367) beschreibt die Vorstellung von Zeitdauer und Lebenszeit-Dauer, in Ergänzung zu dem biblischen Befund (191 ff.). In einem Nachwort (368-373) über Zeit in biblischer und nachbiblischer Literatur fasst B. seine Ergebnisse zusammen. Abkürzungsverzeichnis, Bibliographie (375-380) und ein Stellenregister bilden den Abschluss des Bandes.

Nicht nur in dem Nachwort, sondern auch schon in der Einleitung (1-19) hat B. auf eine sehr leserfreundliche Art Thematik und Ergebnisse der einzelnen Kapitel vorweg präzis skizziert; man sollte sich daher nicht nur am Inhaltsverzeichnis und am Nachwort orientieren, sondern in jedem Fall auch hier nachlesen, bevor man Näheres erkunden möchte. Im Übrigen beschränkt sich B. nicht auf hebräische Bibel und Qumrantexte; er bezieht auch die übrige frühjüdische Literatur in seine Untersuchungen mit ein, insbesondere Ben Sira und das Jubiläenbuch.

Das Schwergewicht der Untersuchungen liegt auf der Bedeutung von jôm in seinen vielfältigen Wortverbindungen und formelhaften Anwendungen sowohl in der hebräischen Bibel wie in den Qumrantexten. In diesem Zusammenhang wird (153 ff.) auch die umstrittene Frage des Tagesanfangs angesprochen, wobei B. sicher mit Recht je nach Umständen unterschiedliche Konzeptionen voraussetzt, nur seien diese Umstände bzw. Bedingungen nicht mehr sicher eruierbar. An diesem Punkt wäre eine weiterführende Diskussion möglich. So liegt auf der Hand, dass der Sabbat als siebenter Tag die Schöpfungswoche vollendet, und da in der Nacht nicht gearbeitet wird, also die Nacht als Ruhezeit auf den Arbeitstag folgt, ergibt sich aus Gen 1-2,4 entsprechend der (freilich nicht ganz eindeutigen) Formel "und es ward Abend und es ward Morgen, xter Tag" eine schöpfungstheologische Sabbatsymbolik, die mit dem Ende des - speziell sechsten - Arbeitstages bzw. mit dem Anbruch des Abends verbunden ist. Zugleich bestand von früh an ebenso natürlich bedingt eine massive schöpfungstheologische Symbolik des täglichen Sonnenaufgangs als Beginn des Arbeitstages und eben auch des Kultdiensttages. In der Folge lag der arbeitszeitlich und auch kultdienstlich bedingte Tagesanfang am Morgen, während der Abend als Tagesanfang daneben in der Sabbatsymbolik verankert war und bemerkenswerter Weise auch im Recht und auch noch synagogal-liturgisch zum Tragen kam, obschon schöpfungstheologische Aspekte mehr in den Morgengebeten als in den Abendgebeten dominieren. Von früh an waren also divergierende Ansätze vorhanden, die als solche zwar präzis definierbar sind, aber im kultisch-liturgischen Bereich in einem gewissen Maß konkurrieren und den allgemeinen Sprachgebrauch wechselhaft beeinflussen konnten.

Bei der Behandlung größerer Zeitabschnitte (166 ff.) wie Woche, Monat, Jahreszeiten und Jahr vermisst man eine eingehendere Berücksichtigung der Differenz zwischen mondlauf- und sonnenlauforientierter Zeiteinteilung. Die sabbatgebundene Siebentagewoche stellte in jedem Fall einen gleichbleibend stabilen Faktor dar und war daher für die Kultdienstordnung maßgeblich, was mit dem Wechsel von 26 x 2 Kultdienstabteilungen am Sonntag früh zugleich einen Bezug zum mondlauforientierten Jahreszyklus nahe legte. Der Unterschied zwischen dem am Neumond orientierten, wechselnd langen Mondmonat und dem regelmäßigen 30-Tage-Monat im 364-Tage-Jahr des sonnenlauforientierten Kalenders liegt auf der Hand und weist auf eine uralte Dichotomie nicht nur bezüglich der Zeiteinteilung, sondern auch in der Zeitauffassung hin, ein Aspekt, dem bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Im Blick auf die Jahreszeiten vermisst man zudem eine Behandlung des gewichtigen Begriffs teqûfah, also die Quartalseinteilung, die im sonnenlauforientierten Kalender mit ihren 91 Tagen (3 Monate + 1 Zusatztag) eine symmetrische Einordnung des Sabbat-Zyklus mit 4 x 13 Sabbaten gewährleistet.

Auf S. 172 ff. geht B. kurz auf Sabbatjahr, Brachjahr und Jobeljahr ein, nicht aber auf die in den Qumrantexten und darüber hinaus so bedeutsame Möglichkeit und kultdienstorganisatorisch gesehen sogar Notwendigkeit, auf der Basis der Siebenereinheit (sbwc) noch größere Perioden zu konstruieren, also nicht nur 6 Jahre + 1 Jahr = 7 Jahre, 7 x 7 = 49 Jahre (+1 = 50. Jahr, Jobeljahr), sondern 6 Jobelperioden = 294, sieben Jobelperioden = 343, und zehn Jobelperioden = 490 Jahre, eine Zeiteinteilung, die auch für das Verständnis von cwlm/cwlmjm im Sinne einer langen, jedoch begrenzten Periode, und für das Zeitverständnis insgesamt von Belang ist, denn die Dichotomie zwischen Schöpfungszeit mit Jahresbeginn am 4. Tag (Mittwoch) und den Sabbatzyklen setzt sich hier weiter fort und wird in ihrer Bedeutung klar erkenntlich: Die Kultdienstordnung ist an den Sabbatzyklus gebunden und reicht damit hinter den Tag der Erschaffung der die Zeit regierenden "Lichter" zurück.

Aus Raumgründen kann hier nicht näher auf die zahlreichen behandelten Passagen aus Qumrantexten eingegangen werden. Dies gilt insbesondere für Kap. XVII (231-246: God and Time), wo mehr enthalten ist, als die Überschrift verrät. Die Studien decken die konventionellen biblischen Zeitvorstellungen und deren Entsprechungen in der Qumranliteratur weitgehend und gründlich ab, gehen aber auf Aspekte, die sich durch die Zeitrechnung auf der Basis des 364-Tage-Kalenders ergeben, kaum ein. Es dürfte also möglich sein, auf der durch B. erarbeiteten soliden Basis zu noch weiter reichenden Ergebnissen zu gelangen.