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Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

601–603

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Näreaho, Leo

Titel/Untertitel:

Rebirth and Personal Identity. A Philosophical Study on Indian Themes.

Verlag:

Helsinki: Luther-Agricola-Society 2002. 277 S. 8 = Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft, 53. Kart. ISBN 951-9047-62-X.

Rezensent:

Michael Bergunder

Unter welchen Bedingungen sind eine Entität X zum Zeitpunkt t und eine Entität Y zu einem von t verschiedenen Zeitpunkt t' als ein und dieselbe Person zu betrachten? Diese im Kern formallogische Frage wird in der neueren analytischen Philosophie unter dem Stichwort personale Identität verhandelt und hat durchaus konkrete praktische Relevanz angesichts der engen Verknüpfung von ethischer Zurechenbarkeit mit dem Vorhandensein einer diachronen Identität der Person. Aber auch für die Frage nach dem Weiterleben des Menschen nach dem Tode bietet die Diskussion um die personale Identität interessante Denkanstöße: Ist es möglich, in logisch widerspruchsfreier Form die nachtodliche Existenz eines "Ichs" zu denken, das seine personale Identität vollständig (d. h. auch im juridischen Sinne) beibehält? Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere bei philosophisch-logisch reflektierten Reinkarnationsvorstellungen die diachrone Identität der Person nur unter großen Schwierigkeiten plausibel gemacht werden kann (vgl. auch den Beitrag des Rez. in ThLZ 126 [2001], 701-720).

Von daher ist es ein sehr spannendes und verdienstvolles Unternehmen des Vf.s, die klassische indische Philosophie mit den Methoden der "modernen westlichen analytischen (oder phänomenologischen) Philosophie" (13) zu befragen, wie sie mit dem Problem der personalen Identität im Hinblick auf Karma und Wiedergeburt umgehen. Nach wie vor wird in vielen religionswissenschaftlichen und theologischen Abhandlungen davon ausgegangen, dass es bei der Reinkarnation immer um das Fortbestehen einer personalen Identität im westlichen Sinne gehen müsse. Dies ist aber ein Fehlschluss, wie nicht zuletzt das Ergebnis dieser Abhandlung zeigt.

Der Vf. leitet seine Untersuchung ein mit einer allgemeinen Betrachtung logischer Verknüpfungen, durch die "Wiedergeburtsbeziehungen" (rebirth relationships) etabliert werden können: "Was macht A0 und nicht z. B. B0 zu A1s Vorgänger aus einem anderen Leben (translife ancestor)" (19)? Dabei geht es vor allem um die notwendigen Kausalbeziehungen, die eine diachrone Identität etablieren. Der Vf. entwickelt, im Vorgriff auf das zu erwartende Untersuchungsmaterial, verschiedene formale Möglichkeiten ("conceptual space") von Wiedergeburtsbeziehungen, die im Hauptteil des Buches am indischen Material gespiegelt werden. Dieses wird dabei entsprechend aufbereitet, um es in den vorgegebenen Referenzrahmen einordnen zu können, wobei der Vf. seine Untersuchung auf die sechs klassischen Philosophieschulen (Darshanas), den alten Theravada-Buddhismus des Palikanons und Aurobindo beschränkt.

Zunächst untersucht er, inwieweit durch Karmavorstellungen Wiedergeburtsbeziehungen hergestellt werden können. Er unterteilt dabei für die Belange der Untersuchung Karma in einen retributiven Aspekt und in einen dispositiven (d. h. Wünsche, Absichten und Verhaltensmuster etc. etablieren eine Kontinuität zum nächsten Leben). Dann untersucht er die indische Ätherleib-Vorstellung auf ihre Tragfähigkeit für die Etablierung eines Wiedergeburtsverhältnisses, kommt aber zu dem Schluss, dass sie keine zusätzliche argumentative Verstärkung im Vergleich zum dispositiven Karma leistet. In ähnlicher Weise harmonisiert er dispositives Karma mit der buddhistischen Nicht-Selbst-Lehre. Diesem Vorstellungskomplex stellt er unterschiedliche indische Seelenvorstellungen gegenüber, wo die Seelen- substanz Identität sichern soll. Die Seelenvorstellungen erweisen sich ihmzufolge als ungenügend, da hier die Eindeutigkeit einer einzelnen Identität nicht gewährleistet werden kann und das Rückerinnerungskriterium, das als konstitutives oder zumindest als epistemisches (Erkenntnis leitendes) Kriterium für die Etablierung diachroner personaler Identität gelten muss, meist fehlt. Am ehesten sieht der Vf. innerhalb des Buddhismus die Möglichkeit gegeben, über dispositives Karma und Rückerinnerung identitätserhaltende Wiedergeburtsbeziehungen zu etablieren, allerdings mit der Einschränkung, dass zahlreiche buddhistische Lehren versuchen, derartige Identitätskriterien eher abzuschwächen als stark zu machen. Außerdem müsste auch dann noch ein Personenbegriff zu Grunde gelegt werden, der von der "westlichen Standardkonzeption" abweicht, aber mit ihr "nicht unvereinbar" sei (244).

Damit kommt der Vf. zum Ergebnis, dass die von ihm untersuchten indischen Wiedergeburtsvorstellungen meist kein Interesse an der Erhaltung von personaler Identität im westlichen Sinne haben. Leider reflektiert er diese wichtige Erkenntnis nicht vor dem Hintergrund des allgemeinen Reinkarnationsdiskurses, wie er im Westen in Esoterik, Medien und Wissenschaft geführt wird. Denn es stellt sich ja dann die Frage, welchen heuristischen Wert es hat, auf personale Identität abzielende Vorstellungen ("Ich war Napoleon") mit denen der indischen und buddhistischen Philosophie unter dem einen Begriff Reinkarnation zusammenzufassen.

Der Vf. macht dem Leser die Lektüre durch einen etwas umständlichen und langatmigen Stil nicht leicht. Auf Grund seines besonderen methodischen Vorgehens bleibt der genaue Bezug zu den Quellen, denen er sich oft über eher unzuverlässige Ausgaben und Übersetzungen nähert, meist oberflächlich, und die Konzepte indischer Philosophie kommen nicht zu ihrem eigenen Recht. Viele Charakterisierungen indisch-philosophischer Vorstellungen sind zudem etwas unscharf, aber das ist eben kein Buch, das herangezogen werden soll, um etwas über indische Philosophie zu erfahren, sondern es handelt allein von logischen Grunddispositionen im Hinblick auf Wiedergeburtsbeziehungen, wie sie der Vf. aus den indischen Texten herausgearbeitet hat.