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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

573–575

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Klimkeit, Hans-Joachim [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Vergleichen und Verstehen in der Religionswissenschaft. Vorträge der Jahrestagung der DVRG vom 4. bis 6. Oktober 1995 in Bonn.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 1997. X, 200 S. m. 1 Abb. gr.8 = Studies in Oriental Religions, 41. Kart. DM 98,-. ISBN 3-447-03904-3.

Rezensent:

Theo Sundermeier

Man könnte nostalgisch werden. Wie angenehm war es noch vor Jahren, als unter den Religionswissenschaftlern im Blick auf Gegenstand und Methode ihres Faches Konsens darüber bestand, daß das Hauptziel dieser Wissenschaft das "Verstehen" ist. Mensching, Wach, Ratschow, Goldammer, sie alle haben trotz bestehender Unterschiede sachlich und methodisch Wichtiges dazu beigetragen. Doch die 68er Generation und die darauf folgenden Publikationen in den 70er Jahren haben das Fach aufgemischt. Durch die immer stärkere Abgrenzung von der Theologie mußte man den Beweis für die Wissenschaftlichkeit des Faches führen. Doch aus dem relativ sicheren Hafen bisheriger Methodik geriet man in den Dschungel methodischen Gestrüpps, aus dem es schier kein Herauskommen zu geben scheint. Die Phänomenologie wurde als erstes attackiert und damit die Möglichkeit der Suche nach Sinn so gut wie eliminiert. Was aber blieb übrig? Nur wenige hielten das Fähnlein des Verstehens aufrecht. Die Religionswissenschaftler in Bonn gehören dazu.

So ist es denn auch ein Verdienst von H.-J. Klimkeit, dafür gesorgt zu haben, daß die ehemals unumstrittenen Ziele und methodischen Zugänge religionswissenschaftlicher Forschung auf der Jahrestagung der DVRG 1995 erneut zur Diskussion gestellt wurden. Doch das Ergebnis ist verwirrend, wenn nicht chaotisch. Von einer Gemeinsamkeit kann nicht die Rede sein und ein gemeinsamer Grund ist nicht zu erkennen. Ganz rechts, wenn man diese Einteilung einmal übernehmen will, ist C.-A. Keller angesiedelt, der in seinem Beitrag "Vergleichendes Verstehen mystischer Religiosität" (71-92) die Religionswissenschaft geradezu in den Schoß der Theologie zurückführt und die Religionswissenschaft wieder zur Theologie erklärt und von dem Religionswissenschaftler erwartet, daß er sich so tief in die andere Religion einfühlt, daß er sie sich zu eigen machen kann, um von einer Religion zur anderen hin und her gehen zu können. Hier ist noch das alte Modell Heilers zu erkennen, dem aber sonst wohl niemand mehr anhängt noch nachtrauert, wenn auch manche noch immer meinen, dagegen ankämpfen zu müssen., wie z. B. Kippenberg in seinem Beitrag "Rekapitulationen der Religionsgeschichte" (131-146). Nein, ein gemeinsamer Grund hinter den Religionen kann durch den phänomenologischen Vergleich nicht erschlossen werden. Keller überfordert den Religionswissenschaftler schlichtweg.

Ganz "links" ist K. Rudolph mit seinem Beitrag "Die vergleichende Methode in den Kulturwissenschaften und in der Religionswissenschaft" (161-170) angesiedelt. Die Religionswissenschaft hat nach seiner oft geäußerten Überzeugung mit der Theologie nichts am Hut. Da sie sich ausschließlich mit dem Menschen beschäftigt, gehört sie zu den Kulturwissenschaften und muß deren "komplexe Methoden" übernehmen. Einen "Sonderfall" innerhalb der Kulturwissenschaften bildet sie nicht, sie hat höchstens besondere Aspekte zu behandeln (160). Das schließt die Komparatistik nicht aus, denn "Selbsterkenntnis und Fremderkenntnis bedingen sich einander" (170).

W. Gantke, ganz in der Tradition Bonner Religionswissenschaft, steht mit seinem Beitrag "Die neuere Diskussion um das Heilige" (13-26) gleichsam in der Mitte. Ihm geht es im klassischen Sinn um das Verstehen. Auch den Gegenstand der Religionswissenschaft, das Heilige, verwirft er nicht. Allerdings wünscht man sich, daß Gantke seinen methodischen Angang endlich einmal auch am Gegenstand selbst, in der Erforschung einer Religion, erprobt. Mit Allgemeinheiten ist uns heute nicht mehr geholfen. Daß im übrigen auch die analytische Sprachphilosophie, die ihre Säure auch über die Religionswissenschaft ausgegossen und verschiedene Religionswissenschaftler (wie z.B. H. Seiwert) verunsichert hat, dem Verstehen, wenn auch unter anderer Terminologie, wieder eine Chance gibt, macht G. Löhr in seinem klugen Aufsatz "Verstehen - eine religionswissenschaftliche Kategorie im Lichte der analytischen Philosophie" (99-112) deutlich. - Methodisch weiterführend ist der Aufsatz von F. Stolz ("Vergleich von Produkten und Produktionsregeln religiöser Kommunikation", 37-52), der aus der Kommunikationsforschung ein interessantes Angebot zur Diskussion stellt.

Und der Gegenstand der Religionswissenschaft? C. Colpe wendet sich ihm im Eröffnungsbeitrag "Wie universal ist das Heilige?" (1-12) zu. Wie schillernd dieser Begriff ist und in seinem Abstraktionsgrad weniger tragfähig als sein Bekanntheitsgrad vermuten läßt, ist allgemein bekannt. C. Colpe hat in seinen Publikationen das Seine dazu beigetragen, den Komplexitätsgehalt des Begriffes zu steigern. Doch nun scheint es, hat er vor dieser Komplexitätsteigerung Angst bekommen. Mit einem Hieb schlägt er den gordischen Knoten durch: Daß wir die griechischen, hebräischen und lateinischen Äquivalenzbegriffe mit "Heilig" übersetzen, ist pure Gewohnheit. Jedoch wurde damit ein gewisser Konsens geschaffen in dem, was man unter "heilig" zu verstehen hat. Mit anderen Worten: Als "Phänomen ,gibt’ es ,Das Heilige’ also nur um das Mittelmeer herum von der europäischen Altsteinzeit an bis zum Islam" (12). Das Heilige also nichts als ein konvenienter Ausdruck menschlichen Konstruktes und kultureller Übereinkunft? Es ist schon merkwürdig, an welcher Stelle sich bei Colpe immer wieder der Einfluß K. Barths bemerkbar macht. Aber kann das überzeugen?

Aus dem Spektrum der Beiträge sei noch der von Ch. Bochinger (171-184) herausgegriffen. Zu Recht mahnt er an, das Thema der Religionsbegegnung, d. h. der Mission, in die religionswissenschaftliche Forschung aufzunehmen. Daß dabei jedoch die in Halle entstandene Form von Missionsveranstaltungen, so geschichtswirksam sie im Protestantismus wurden, das heuristische Modell sein soll, an dem zu messen ist, ob wir es in den anderen Religionen mit Mission zu tun haben oder nicht, ist doch recht abwegig.

Der von K. herausgegebene Band ist ein wichtiger Beitrag, die Methodenfrage in der Religionswissenschaft erneut zur Diskussion zu stellen. Neues ist freilich kaum zu finden. Darin ist der Band ein getreuer Spiegel der gegenwärtigen deutschen Religionswissenschaft. Methodisch treten die Religionswissenschaftler, so will es scheinen, auf der Stelle, oder besser: sich gegenseitig auf die Füße. Das zu sehen, ist durchaus nützlich und sollte Anlaß zu weiterer Diskussion sein. Wenn man sich dann schon bei den Kulturwissenschaften ansiedeln will - und manches spricht in der gegenwärtigen Situation dafür - dann sollte man bei den Besten unter ihnen in die Schule gehen. Mit welcher Selbstverständlichkeit z. B. J. Assmann die Methode phänomenologischer Komparatistik anwendet und keine Scheu trägt, nach dem Sinn einer Religion zu fragen und es wagt, nicht nur die "Theologie" einer Fremdreligion zu entwerfen, sondern selbst eine "Sinngeschichte" zu schreiben, davon ist in der Religionswissenschaft viel zu lernen.