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Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

598–601

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lange, Armin, Lichtenberger, Hermann, u. K. F. Diethard Römheld [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Dämonen - Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt. The Demonology of Israelite-Jewish and Early Christian Literature in Context of their Environment.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XX, 687 S. gr.8. Lw. Euro 134,00. ISBN 3-16-147955-6.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

Der Band versammelt 34 Beiträge eines Tübinger Symposions vom 23. bis 27. Mai 2001, die zum Teil den Forschungsstand dokumentieren, zum Teil neue Thesen begründen. Insgesamt ist das Sammelwerk historisch-exegetischen und traditionell-religionswissenschaftlichen Fragen verpflichtet, während religionspsychologische, -soziologische und kulturanthropologische Aspekte, aber auch Verbindungslinien zu systematisch-theologischen Fragen bis auf Streiflichter unberücksichtigt bleiben (vgl. XI-XIV). Das Thema wird also primär als ein antiquarisches behandelt. Das mag man bedauern, es verhindert aber auch Zersplitterung und essayhaftes Sammeln von bloßen Ideen und "Anregungen". Im Rahmen dieser begrenzten Fragestellungen ist der wichtigste und solideste Aufsatzband zum Thema "Dämonen" entstanden, den wir für die biblische Umwelt überhaupt besitzen, und eine wertvolle Ergänzung des grundlegenden "Dictionary of Deities and Demons in the Bible" (Leiden u.a., 2., erw. Aufl. 1999). Die Beschränkung ist weise und nachvollziehbar; persönlich bedauert hat der Rez. aber doch, dass auch die reichen und faszinierenden Forschungen zum Themenfeld aus dem Bereich der Gender Studies nicht eigens gewürdigt werden. Aber auch ohne solche Gesichtspunkte bietet der Band reiche Belehrung und trägt wegweisend zur Demarginalisierung und differenzierten Sicht eines wichtigen Themas nicht zuletzt jüdischer und christlicher Religion bei.

Die Beiträgerinnen und Beiträger sind: Burkhard Gladigow und Anders K. Petersen mit einführenden (u. a. begriffsbestimmenden) Essays, Dieter Kurth, Karel van der Toorn, Herbert Niehr, Hans-Peter Müller und Gregor Ahn, die den alten Orient, Ägypten und den Zoroastrismus behandeln (Letzteres ein wenig im Schatten der großartigen neuen Gesamtdarstellung von Michael Stausberg), Bernd Janowski, Matthias Köckert, Wolfgang Hüllstrung, Udo Rüterswörden und Othmar Keel zum Alten Israel in vorexilischer und exilischer Zeit, weiter Michaela Bauks, Armin Lange, Heinz-Josef Fabry und Peter Riede, deren Studien der persischen Epoche gewidmet sind. Über Dämonen in Juda und Israel in der hellenistischen Zeit handeln Beate Ego, Loren T. Stuckenbruck, James C. VanderKam, Roland Deines, Esther Eshel und Hermann Lichtenberger, über diejenigen der griechisch-römischen Welt Lars Albinus und Hubert Cancik, über Neues Testament und Gnosis schließlich Martin Rese, Ulrike Mittmann-Richert, Gerbern S. Oegema, Thomas Söding, Friedrich Avemarie, Thomas Knöppler, Peter Lampe und Emmanouela Grypeou sowie über Judentum nach der Zerstörung des Tempels Philip S. Alexander und Günter Stemberger. Register in bewährter Mohr-Perfektion beschließen den Band; jeder Artikel hat ein eigenes Literaturverzeichnis.

Es können hier nur exemplarisch wenige Thesen und Einsichten aus der Fülle des Stoffes hervorgehoben werden (und es sind nicht immer die Zentralthesen des jeweiligen Aufsatzes). B. Gladigow bietet Ansätze einer umfassenden Theorie über den Platz der Dämonen in der Religionsgeschichte, die sicher monographische Vertiefung verdienten. H. Niehr zeigt, dass Reschef vor allem als phönizisch-sidonische Gottheit rezipiert und dämonisiert wurde (100). Nicht völlig überzeugt haben mich die Bemühungen, Gen 4,7; 32,23-33 und Ex 4,24-26 von dämonologischen Konnotationen zu entlasten (B. Janowski, M. Köckert und W. Hüllstrung); anders A. Lange, der in Sach 13,2 plausibel ein Stück Dämonologie entdeckt. H.-J. Fabry bietet im Kontext seiner Untersuchung der Satansgestalt auch Thesen zur Literargeschichte des Hiobbuches (269-291). B. Ego untersucht die Gestalt des Asmodäus und arbeitet die Endogamieforderung als zentrales Thema des Tobitbuches heraus (309-317). Überzeugend zeigt Th. Söding die Singularität der eschatologischen Deutung, die Jesus seinen Exorzismen gegeben hat (519-549, bes. 534). M. Rese bietet kritische Präzisierungen zu O. Böchers These, Matthäus distanziere Jesus von der volkstümlichen Magie (463-475). Sepher Ha-Razim wird von Ph. Alexander (620) dezidiert als ehemals reales Buch, nicht nur als Rekonstruktionsprodukt des Herausgebers Mordecai Margalioth gewertet. Alexanders eigentliches Thema ist freilich Test. Salomo, ein viel zu wenig gelesener Text, der in der Tat "the most important demonological manual to have survived from late antiquity" (632) ist (Alexander meint, es sei in Nordarabien entstanden: 624). Auch kleine Präzisierungen können wertvoll sein, z. B. die Unterscheidung zwischen den gefallenen "Wächtern" der Henochliteratur und den eigentlichen "Dämonen", den Seelen der Nephilim, also der Kinder der "Wächter" mit menschlichen Frauen (die deshalb Besessenheit auslösen, weil sie wieder einen menschlichen Leib haben wollen, den sie einmal hatten - so Ph. Alexander 629 f.; ausführlicher zum Thema L. T. Stuckenbruck).

Interessant ist U. Mittmann-Richerts These, die Schweigegebote gegenüber den Dämonen im Markusevangelium hätten ihren Grund - gegen den Forschungskonsens - darin, dass die Dämonen keineswegs Jesu "wahre Identität" kennen (493, nur warum artikuliert sie ihre bemerkenswerten und auch theologisch profilierten Thesen in einem pathetischen Predigtdeutsch?). Anders zu dieser Frage u. a. F. Avemarie (562), der in seinem sorgfältigen Beitrag Apg 16,16-18 behandelt (550-577; meine kleine religionssoziologische Studie zu diesem Text kennt er offenbar nicht; in: Hairesis. FS K. Hoheisel, hrsg. v. M. Hutter u. a., JAC. E 34, 2002, 140-158). Peter Lampe zeigt u. a. anhand von 1Kor 8-10, wie differenziert frühe Christen mit heidnischen Kultformen bei aller Dämonisierung umzugehen wussten (584-599). R. Deines untersucht die Figur des Salomo bei Josephus, ant. VIII, 46-49 und will (m. E. wenig plausibel) die Exorzismusszene als ironischen Text plausibel machen (389f.). E. Eshel und H. Lichtenberger stellen die Beschwörungen bzw. Exorzismen und apotropäischen Hymnen aus Qumran vor; dabei fällt auch Licht auf die später so wichtige exorzistische Verwendung von Ps 91. Als einziger Beitrag, der weit in das Mittelalter hineinreicht, behandelt G. Stemberger die jüdischen Dämonengestalten Samael und Uzza in den späten Midraschim (636-661).

Bei aller willkommenen Belehrung durch den Band sind doch auch einige kritische Anmerkungen erlaubt: Bei vielen Alttestamentlern ist das erkenntnisleitende Interesse deutlich zu greifen, JHWH möglichst "ganzheitlich" zu verstehen (z. B. O. Keel, 230), also die Entstehung separater Dämonengestalten als fragwürdigen Prozess zu desavouieren (vgl. 229 die freilich ambivalent gemeinte Charakterisierung der Dämonologie als einer "Art Müllhalde"). Wie, wenn der Weg von der marginalen Dämonologie des frühen Alten Testaments zur massiven und dualistischen Dämonologie des Neuen Testaments in Wahrheit ein Erkenntnisgewinn gewesen wäre, also eine zunehmende Erschließung von religiöser Wirklichkeit (wenn auch in mythologischer Ausdrucksform), und keine Verfallserscheinung? Umgekehrt behauptet H.-P. Müller eine Überlegenheit antik-außerbiblischer religiöser Weltbeheimatung über Judentum und Christentum (110), was der Rez. auch nicht nachvollziehen kann. Ist die Weisheitstheologie wirklich "weitestgehend dämonenfrei" (H.-J. Fabry, 275) - und ist dies nicht eher eine Beobachtung zum Themenrepertoire der weisheitlichen Gattungen, die z. B. auch auf ägyptische Lebenslehren zutrifft? Manche Idealisierung Altisraels berührt den Rez. eigenartig: "abgründiger hat kein Volk sonst von seinem Ursprung zu erzählen gewusst" (M. Köckert, 170). Ein solcher Satz scheint mir heute nicht nur hermeneutisch fragwürdig. Die Behauptung, dass man Todesgöttern keinen Kult darbringe, ist hoffentlich nur ein Flüchtigkeitsfehler (H. Niehr, 85). Auf Seite 206f. berücksichtigt U. Rüterswörden in Sachen punischer Menschenopfer zu wenig die Rechtslage im Römischen Reich, welche Menschenopfer systematisch unterdrückte (obwohl Tertullian an der angegebenen Stelle Apol. 9 genau davon spricht).

Es gelingt nicht allen Autoren - obwohl das Problem vor allem von Ph. Alexander, 616 f. u. ö. sehr klar gesehen wird - sich von der Illusion zu befreien, Dämonologie sei immer etwas "Populäres". In Wahrheit hat ein erheblicher Teil antiker Dämonologie hohes intellektuelles und theologisches Niveau (was natürlich nicht heißt, dass sie heute nachsprechbar sein könnte). Dabei ist auch spürbar, dass die Autoren der Fragestellung der traditionellen "theologischen" jüdisch-christlichen Dämonologie (z. B. der Scholastik, oder des 16. und 17. Jh.s) keine Aufmerksamkeit geschenkt haben. Manches exegetische Problem stellt sich aber aus der "systemimmanenten" Sicht von Menschen, die noch an eine "ungebrochene" Dämonologie geglaubt haben, völlig anders dar. Schon die Unterscheidung zwischen obsessio und circumsessio löst manches Problem, und Sachfehler wie die Behauptung, bei Markus wäre der Mensch das "eigentliche und einzige Wirkungsfeld" der Dämonen (U. Mittmann-Richert, 499), wären dann kaum möglich (vgl. dagegen die von der Autorin m. E. verzeichneten Stellen Mk 5,11-13; 4,35-41; 6, 47-52). Auch die massive weltweite Revitalisierung der exorzistischen Praxis durch den (außerdeutschen) Katholizismus wird nur in einer schamvollen Anmerkung versteckt (Th. Söding, 542, Anm. 110), obwohl gerade hier ein kritisches Gespräch notwendig wäre (die wichtigsten Texte des neuen offiziellen Exorzismusrituals von 1999 befinden sich z. B. bei M. Probst, K. Richter, Exorzismus oder Liturgie zur Befreiung vom Bösen, Münster 2002).

Künftige Arbeiten zum Themenfeld könnten von rezeptionsgeschichtlicher Sensibilisierung profitieren und sollten auch eurozentrische Blickverkürzungen vermeiden. Ein Satz wie "Den personalen Dämonenglauben hat der Mensch des dritten nachchristlichen Jahrtausends längst abgetan" (476) stimmt selbst in den USA nun wirklich ganz und gar nicht. Weiterführend ist dagegen Th. Söding (543 u. ö.), der auch am stärksten eine im engeren Sinn theologische Perspektive findet und damit das Gespräch mit anderen theologischen Disziplinen öffnet. Auch andere Fragestellungen werden die Forschung noch bereichern können; so wird im vorliegenden Band das einflussreichste religionssoziologische Buch zum Thema "Besessenheit" (I. M. Lewis, Ecstatic Religion, 1971, 3. Aufl. 2003), das mittlerweile eine ganze Schule von vor allem kulturanthropologischen Studien erzeugt hat, nicht einmal erwähnt.

Verlegenheit dem Thema gegenüber macht sich nach wie vor breit: "Aus diesem Grund ist es auch der Bibel nur partiell gelungen, den Dämonismus durch theologische Aufklärung auszutrocknen" (269; es wäre unfair, den Autor zu nennen, der sich hier einfach in den Denkmustern älterer exegetischer Tradition unvorsichtig ausdrückt). Da die Entwicklung dämonologischer Inhalte vom Exil an bis ins Neue Testament ständig wächst und keine anderen Werke des 1. Jh.s so viel von Dämonen sprechen wie die Evangelien, kann von einer "Austrockung" nun sicher nicht die Rede sein: Das genaue Gegenteil ist der Fall (wobei das Bild eines Sumpfes o. Ä. für diese Aspekte der Religion der späteren biblischen Zeit zudem fragwürdig ist). Und was soll das "präkosmische Chaos" sein, dem die Dämonen "angehören" (ebd.)? Asmodäus ist doch nicht Tiamat. Eine Ableitung der Dämonologie aus der Furcht vor dem Unbekannten und dem unkontrollierbaren Schicksal (van der Toorn, 62) wurde schon im Epikureismus in ersten Schritten angedacht und in den evolutionistischen Religionstheorien des späten 19. Jh.s entfaltet; heute dürfte ein solches Modell kaum mehr befriedigen. Meine einzige schwerer wiegende Kritik richtet sich also darauf, dass bei aller immensen Detailbelehrung die Hauptprobleme unserer Verlegenheit gegenüber "Dämonen" ausgespart bleiben und dass sich die stillschweigend vorausgesetzten systematisch-theologischen Wertungen (d.h. Abwertungen) - von denen auch Religionswissenschaftler nicht frei sind - eben deshalb umso kräftiger in die Analyse einmischen, weil sie nicht thematisiert werden. Dies könnte freilich einmal Gegenstand eines anderen Symposions werden. Der vorliegende Band legt dafür eine stabile Basis, bedarf aber der forschenden und vor allem interdisziplinären Weiterführung.