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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

581–583

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wiedenroth-Gabler, Ingrid

Titel/Untertitel:

Religionspädagogische Konzeptentwicklung zwischen Integration und Pluralität. Exemplarische Untersuchungen zu Peter Biehls Ansatz.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2003. 485 S. gr.8 = Religions-pädagogische Kontexte und Konzepte, 8. Kart. Euro 33,00. ISBN 3-8258-6317-4.

Rezensent:

Folkert Rickers

Wer in der Fülle der unterschiedlichen konzeptionellen Entwürfe und Ideen, die heute die religionspädagogische Landschaft beherrschen, nach einer Grundorientierung sucht, in der das zunächst so Unterschiedliche gebündelt oder gar integriert werden könnte, wird bei dem hier zu rezensierenden Buch einen geeigneten Ansatzpunkt finden. Die Vfn. findet ihn in der seit 1980 entwickelten Symboldidaktik bzw. der "Didaktik einer kritischen Symbolkunde" (15) von Peter Biehl. Mit ihr sieht sie einen "Paradigmenwechsel" vollzogen, wie er seit 1960 auch zwischen der Evangelischen Unterweisung und dem hermeneutischen Religionsunterricht einerseits und zwischen Letzterem und dem problemorientierten Religionsunterricht andererseits stattgefunden habe. Weder in den hier jeweils leitenden Prinzipien von Traditionsorientierung, Subjektorientierung und Gesellschaftsorientierung sei es allerdings zu einem "ausgewogenen Verhältnis von Pädagogik und Theologie" (13) gekommen. Hier helfe nun die Symboldidaktik weiter; denn sie könne den Nachweis führen, dass der Religionsunterricht sich in den schulischen Bildungsauftrag integrieren lasse, gleichwohl aber "aufgrund des christlich begründeten Subjekt- und Weltverständnisses auch kritisches Korrektiv sein" (ebd.) könne. Die Vfn. argumentiert hier also ausgesprochen positionell, glaubt damit aber dem zentralen Problem der gegenwärtigen Religionspädagogik am besten gerecht werden zu können.

Dem positionellen Ansatz korrespondiert ein ganz persönlicher Zugang der Vfn. Sie bekennt, durch die "Person Peter Biehls und durch die von ihm konzipierte Symboldidaktik" entscheidend in ihrer beruflichen Entwicklung geprägt zu sein.

Ihr Ziel, die Symboldidaktik als Integrationsmodell verstehbar zu machen, versucht die Vfn. dadurch zu erreichen, dass sie es unternimmt, Biehls Werk von dessen hermeneutischer Phase an in umfassender Weise zu rekonstruieren. Dies geschieht durch die Verschränkung der unterschiedlichsten methodischen Zugänge, wie sie in dieser Form in der Religionspädagogik selten anzutreffen sein dürften. Die Vfn. verbindet hermeneutische und kommunikationstheoretische Theorieansätze miteinander und ergänzt diese durch biographische und konstruktivistische Verfahren (17 ff.). Die Reichweite dieser Untersuchungsmethoden wird jeweils ausführlich erörtert.

Im Teil I unterzieht die Vfn. ein Expertengespräch von 1986 zur Frage, "warum die Religionspädagogik nicht auf das Symbol als didaktische Kategorie verzichten kann", einer genaueren Analyse. Sie zeigt darin auf, dass zum damaligen Zeitpunkt noch erhebliche Schwierigkeiten bestanden haben, sich diesbezüglich zu verständigen, weil die jeweiligen Theorieansätze zu unterschiedlich gewesen seien und damalige Rezipienten/ Praktiker kaum in der Lage gewesen sein dürften, sie nachzuvollziehen. Wenn sich dennoch in der Praxis von Primarstufe und Sekundarstufe I die Symboldidaktik durchgesetzt habe, dann - so vermutet die Vfn. - habe das nicht an dem Interesse der Lehrenden gelegen, sich etwa autodidaktisch mit den unterschiedlichen Symboltheorien zu beschäftigen, sondern an den erfolgreichen "Übersetzungsversuchen" im Bereich von Lehreraus- und -fortbildung sowie der Veröffentlichung von symboldidaktischen Unterrichtsmaterialien (46). Dass die Vfn. hier in der Vermittlung von Theorie und Praxis einen entscheidenden Beitrag Biehls zur Symboldidaktik sieht, wird nicht direkt ausgesprochen, aber doch durch den abschließenden Beitrag "4.2. Absichten: Wie kann Peter Biehl verstanden werden?" sowie durch spätere Ausführungen nahe gelegt.

Im nächsten größeren Abschnitt (II) geht die Vfn. der Biographie Biehls nach, insbesondere der beruflichen, um sich die Vermutung bestätigen zu lassen, dass die Symboldidaktik von 1980 einen Bezug zu früheren Arbeiten Biehls aufweist. Sie versucht nicht nur deutlich zu machen, dass Letztere lebensgeschichtlich verwurzelt ist, sondern auch als konsequente Weiterentwicklung von Biehls Engagement in der hermeneutischen Theologie Bultmanns sowie in der "Hermeneutik des Daseins" (Stallmann) verstanden werden muss. Angestoßen durch die Praxis ermögliche das Symbol, die Rede von Gott (Traditionsorientierung), die Erfahrung (Subjekt- orientierung) und die gesellschaftliche Wirklichkeit (Problemorientierung) didaktisch miteinander zu verzahnen (so bes. 71). Es liege also bei Biehl anders als in der allgemeinen religionspädagogischen Entwicklung selbst kein Bruch oder Paradigmenwechsel vor - eine These, die in einer Analyse der vorsymbolischen wie der frühen symboldidaktischen Phase Biehls erhärtet wird (72-90).

Teil III (72-245) stellt insgesamt einen ebenso umfassenden wie detaillierten Versuch dar, die Biehlsche Symboldidaktik in vier Entwicklungsphasen zu rekonstruieren. Er kann im Rahmen einer Rezension nicht nachgezeichnet werden. Es kann nur skizzenhaft pointiert werden: In der vorsymbolischen Phase (1966-1979; 72-149) werde das Konzept zwischen Problemorientierung und Bibelorientierung um die Kategorie der "Erfahrung" erweitert, die den bis dahin leitenden Emanzipationsbegriff abgelöst habe. In der frühen symbolischen Phase (1980-1989/91; 91- 149) der eigentlichen Aufnahme des Symbolbegriffs werde dieser "als Knotenpunkt der Vermittlung" (146) zwischen Schüler-, Bibel- und Problemorientierung verstanden. Zugleich werde die Forderung einer "kritischen Symbolkunde" erhoben, die anhand einer interdisziplinär erörterten Symboltheorie entworfen werden soll. Symbole haben "Brückenfunktion", wie konkret an den Symbolen "Haus", "Weg" und "Hand" (129- 131) aufgewiesen wird. Mit ihnen werde eine lebensdienliche Sprache gewonnen, um lebensbezogen von Gott reden zu können. Die mittlere symboldidaktische Phase (1991-1995) habe ihren spezifischen Fokus in den Symbolen "Brot und Abendmahl", "Wasser und Taufe" und "Kreuz". Biehl entwickele hier eine symbolbezogene Sakramentendidaktik und weite konsequenterweise sein Konzept auf die Gemeindepädagogik aus, die im "Zentralsymbol Kreuz" (173) gebündelt werde. Charakteristisch für Biehl sei in der späten symboldidaktischen Phase (1995-2001; 177-234) die Weiterentwicklung der Symboldidaktik als "kommunikative Wahrnehmungslehre" (231), dargestellt an den "Festsymbolen", konkret an "Ostern" und "Weihnachten" (212-215).

In der Analyse der einzelnen symboldidaktischen Phasen bleibt die Vfn. stets bemüht, die Konzeption Biehls als ständige Weiterentwicklung und Ausweitung vorhergehender Einsichten als eine Gesamttheorie darzustellen, in die bildungstheoretische, theologische, kommunikationstheoretische und andere Bezüge eingegangen sind. Symboldidaktik werde nicht eng geführt als ein religionspädagogischer Zugang unter anderen Zugängen. Sie sei vielmehr Inbegriff eines integrativen religionspädagogischen Gesamtkonzepts. Dem stimmt die Vfn. ausdrücklich zu, jeweils nach den Darstellungen der einzelnen Phasen solche Zustimmung dokumentierend als "Hermeneutik des Einverständnisses bzw. des zustimmenden Blicks"; sie weist allerdings jeweils daran anschließend auch auf Schwierigkeiten und Probleme des Konzepts hin in Erörterungen im Sinne einer "Hermeneutik der Differenz bzw. des schrägen Blicks".

Im zweiten Hauptteil (246-408) versucht die Vfn., Biehls Position im Rahmen der religionspädagogischen Gesamtdiskussion ("Kommunikationsprozesse") zu bestimmen. Sie ist sich dabei der Problematik dieses ausgesprochen ambitionierten Versuchs durchaus bewusst, dass dadurch Biehl "implizit zum Bewertungsmaßstab für andere Religionspädagogen" werde, glaubt dem aber durch einen kritischen Vorbehalt entgehen zu können. Für die vorsymbolische Phase (bis 1980) sieht sie den Beitrag Biehls darin, dass er die "Rolle des theologischen Vermittlers" übernommen und sowohl den Erfahrungs- wie den Symbolbegriff dazu stark gemacht hat. Das korrespondiere den Integrationsbemühungen der Religionspädagogik am Ende der siebziger Jahre (266). Mit den Bemühungen Biehls um Integration durch das Symbol sieht sie ihn für das Jahrzehnt ab 1980 an vorderster Stelle ("Pioniere der Symboldidaktik"; 48), hebt aber im Vergleich zu anderen zugleich seine spezifisch theologische Akzentuierung heraus, nämlich in Verbindung mit Grundsymbolen als Schöpfungssymbolen die zentralen Glaubenssymbole zu erschließen ("Brückenfunktion") und im Sinne einer Glaubenslehre zu entfalten (325). Die 90er Jahre seien wesentlich bestimmt gewesen durch die Gegenüberstellung der Konzepte von Hubertus Halbfas und Biehl, wobei die Vfn. innerhalb der Gesamtbemühungen der Religionspädagogik um den Begriff der "Wahrnehmung", die zu unterschiedlichen didaktischen Ansätzen geführt hätten, mit sichtlicher Sympathie für Biehls Ansatz einer "kritisch-wahrnehmungsorientierten christlichen Glaubenskunde" eintritt (407).

Der letzte Abschnitt "Bilanz und Ausblick" bestätigt noch einmal die Anfangsvermutung, dass die Position Biehls geeignet sei, die unterschiedlichen religionspädagogischen Ansätze der Gegenwart zu integrieren. Er könne gegenwärtig ganz allgemein als "religionspädagogischer Vermittler" bezeichnet werden.

Die Arbeit ist ohne Zweifel ein Grundlagenwerk der Symboldidaktik, methodologisch überzeugend durchgeführt, durchgefeilt in ebenso vielschichtig wie differenziert angelegten und ins Detail gehenden Analysen und mit großer Übersicht in die gegenwärtige religionspädagogische Diskussion eingezeichnet. Allerdings entstehen dadurch auch zahlreiche Wiederholungen, die bei der Lektüre manchmal ermüdend wirken. Eine stärkere Konzentration auf wesentliche Punkte wäre für die künftige Rezeption der Arbeit möglicherweise von Vorteil gewesen.

Ihrem akademischen Lehrer Peter Biehl hat die Vfn. mit dieser Darstellung zweifellos auch ein Denkmal gesetzt. Aber darin liegt ein Problem. Denn es entsteht natürlich die Frage, ob der Abstand der Vfn. zum Untersuchungsobjekt groß genug ist. Das muss trotz entsprechender selbstkritischer Einsicht bezweifelt werden. Denn obschon auch gelegentlich kritische Einwände formuliert werden, bleibt von Anfang bis Ende doch der beherrschende Gedanke, dass sich die Zukunft der Religionspädagogik vor allem an Biehl auszurichten habe - ein inhaltlich bezogenes Votum von beinahe exklusivem Charakter. Damit wird sie weder Biehl noch der gegenwärtigen ungemein reichhaltigen religionspädagogischen Diskussion gerecht. Nicht alle Religionspädagogen drängen wie die Vfn. auf Integration. Die Vielfalt der Konzeptionen könnte ja auch als besonderer Vorzug für die weitere - am besten spannungsreiche - Entwicklung der Disziplin angesehen werden.