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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

568–573

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

1) Lange, Dietz 2) Lange, Dietz

Titel/Untertitel:

1) Glaubenslehre. Band I.

2) Glaubenslehre. Band II.

Verlag:

1) Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XX, 536 S. gr.8. Kart. 34,00. ISBN 3-16-147659-X.

2) Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XII, 518 S. gr.8. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-16-147660-3.

Rezensent:

Wolf Krötke

Der Emeritierung von Professoren der Systematischen Theologie verdanken wir eine ganze Reihe von Gesamtdarstellungen ihrer besonderen Profession. Der Abschied vom Lehramt gibt Gelegenheit, zusammenzufassen und zuzuspitzen, worauf es jemandem in einer langjährigen Lehrtätigkeit vorzüglich angekommen ist. Diese Gelegenheit hat auch Dietz Lange wahrgenommen. Er möchte "im Zusammenhang entfalten", wie sich nach seinem Verständnis "der Erfahrung des christlichen Glaubens" "dessen Identität im Blick auf seine gegenwärtig adäquaten Lebensformen" darstellt (I, 3). Mit dieser Definition des Typos einer "Glaubenslehre" ist schon die Absicht bezeichnet, die der Vf. verfolgt. Die Erfahrung des Glaubens soll "Gegenstand [...] denkender Rechenschaft" (I, 4) sein, d. h. "nicht Gott selbst" und erst recht nicht "Dogmen" der Kirche. Mit dieser Erfahrung hapert es freilich. Sie wird durch den Pluralismus und Säkularismus, durch Wissenschaft und Gesellschaft allenthalben in Frage gestellt. Demgegenüber soll die Vertretbarkeit des Glaubens im Kontext heutiger Menschen- und Welterfahrung als "denkmöglich und stimmig" (I, 141) ausgewiesen werden. Die "gegenwärtige geistige Lage" ist dabei neben der Schrift und der Kirchengeschichte als "Quelle" der Glaubenslehre anzusehen (I, 97). Um aus dieser Quelle schöpfen zu können, sind die sehr ausführlich geratenen Prolegomena (vgl. I, 3-140) mit einem religionsphilosophischen Teil angereichert worden (vgl. I, 141-279). In ihm werden Einsichten über "die allgemein geltenden Bedingungen menschlicher Erkenntnis und menschlichen Daseins" und über die "Strittigkeit jeder religiösen [...] Weltdeutung" erarbeitet (I, 279). An Letzterem ist dem Vf. vor allem gelegen. Im Kampfe mit dem Zweifel, im Durchgehen "einander widersprechender Erfahrungen von wirksamer Gegenwart und Abwesenheit Gottes" (I, 49) ist diese "Glaubenslehre" in ihrem Element. Lehrautorität gilt als ein römisch-katholisches Unding (vgl. I, 67). Der Theologie muss es um die "Einheit des Widerstreitenden" gehen (I, 6). In diesem Sinne ist sie "dialektische Theologie" (ebd.; vgl. I, 112-120).

In der Entfaltung seiner "Glaubenslehre" löst der Vf. dieses Mischprogramm aus Sympathie für den religiösen Pluralismus und einer sich an seiner innerlichen Widersprüchlichkeit abarbeitenden Glaubenserfahrung in seiner Weise eindrücklich ein. Die Systematik, in der er die von außen und innen "strittige" Glaubenserfahrung vorträgt, ist kein Prokrustesbett theologischer Richtigkeiten. Man kann sie als eine Art Klaviatur verstehen, auf welcher die Grundakkorde der Verhältnisse von "Mensch und Welt", "Gott und Mensch" sowie "Gott und Welt" angeschlagen werden (vgl. I, 138-140). Sie kommen jeweils in drei großen Hauptteilen zum Klingen, die sich formal an das heilsgeschichtliche Schema der Dogmatik anlehnen. Man bemerke aber: Eine Gotteslehre enthält diese Glaubenslehre nicht! Nach der Schöpfungs- und Sündenlehre (vgl. I, 283- 536) geht es um die Christologie und Soteriologie (vgl. II, 1- 261) und dann um die Ekklesiologie und Eschatologie (vgl. II, 263-473). Das alles kann hier nicht in extenso dargestellt werden. Folgende Zuspitzungen dieser Topoi aber sind auffällig:

1) Der Schöpfungslehre, welche die religionsphilosophische Fragestellung fortsetzt, fällt die Aufgabe zu, "die Erfahrungswirklichkeit in ihrer Transparenz für ein über sie Hinausliegendes" und in ihrer Zwiespältigkeit zu charakterisieren (I, 286). Sie will zeigen, dass die Zerrissenheit der Welt- und Selbsterfahrung "die Frage nach einem tragenden Grund des Lebens unausweichlich" macht (I, 330). Dieser Grund soll als "ein ganz Anderes" jedoch nicht einfach die Bejahbarkeit der Welt, sondern auch das Nichtsein, Tod und Vergehen "begründen und in sich aufheben" (I, 332). Denn er muss als vernichtend, abwesend, unheimlich, feindlich und tödlich verstanden werden (vgl. I, 338.362-376). Darum trägt dieser Teil der Schöpfungslehre die Überschrift "Schöpfung und Zerstörung". Darum wagt der Vf. den Satz, es müsse ein "Element des Nichtigen" "in den Schöpfungsglauben" eingehen (I, 364). Er will mit dieser Zuspitzung die Theodizeefrage als Pointe des Verständnisses der Weltschöpfung profilieren (vgl. I, 408-412). "Durchleben" des "Rätsels" (I, 367), dass Gott uns anzieht und erschüttert (vgl. I, 369 f.), wird der Empfehlung E. Hirschs entsprechend zur existenziellen Praxis eines derartigen Schöpfungsglaubens.

Hirsch stimmt auch auf die Atmosphäre ein, in welche uns der Vf. mit seiner Lehre vom Geschöpf und seiner Sünde führt. "Schöpfung und Sünde sind eines und das gleiche", wird er zustimmend zitiert (I, 430). Sie sind "in jedem konkreten Lebensmoment unlösbar miteinander verflochten" (ebd.), auch wenn sie wesenhaft nicht das Gleiche sind. Doch die Erfahrung des Schöpfers impliziert den "Widersinn, dass derselbe Gott, der das Leben will, [...] nicht nur die natürliche Notwendigkeit des Todes mitgewollt hat, sondern auch die schuldhafte Zerstörung durch die Menschen" (I, 526). Der Mensch wird "unvermeidlich schuldig" und ist doch dafür verantwortlich zu machen (vgl. I, 535). Es ist schwer zu verstehen, wie der Vf. meinen kann, bei gottesvergessenen Menschen von heute bilde sich auf diese Weise eine "natürliche Frömmigkeit" (vgl. I, 426), ein Wissen um ihre "Bestimmung" als imago Dei und die Erkenntnis ihrer Sünde als "Gottentfremdung" (I, 416; vgl. 424- 435). Ist es nicht eher so, dass die schmale Basis einer vielleicht aufbrechenden Frage nach Gott mit der Doppelgesichtigkeit dieses Bildes vom Schöpfer faktisch in sich selbst zerbrochen wird?

2) Die Christologie und Soteriologie müssen nach dem aufbereiteten Szenario plausibel machen, inwiefern der Mensch Jesus die Menschheit aus dieser Situation zu befreien vermag. Das darzulegen, ist für eine Christologie schwierig, die eine Menschwerdung Gottes nur noch annäherungsweise zu denken vermag. Der Vf. verwirft die klassische Trinititätslehre und das christologische Dogma. Zudem stellt er diese Tradition unter das Verdikt, dass sie Jesus nicht als wirklichen Menschen verstehe (vgl. II, 256.253-261). Eine Auseinandersetzung mit der neueren Trinitätstheologie findet leider nicht statt. Von der Trinitätslehre bleibt nur "eine Art von Modalismus" übrig: Gott zeigt sich in verschiedenen "Begegnungsweisen" (II, 259). Das ist ein Lieblingsbegriff des Vf.s. Auch Jesu leibliches und geistiges Dasein (vgl. II, 131), Gesetz und Evangelium (vgl. II, 172), Wort und Sakrament (vgl. II, 311) sind "Begegnungsweisen". Im christologischen Kontext soll dieser Begriff ein "spekulatives" Denken von Gott her abwehren. Darum ist die Christologie nach dem Schema aufgebaut: der "Glaube Jesu" (vgl. II, 17-130) und unsere "Teilhabe an Jesu Gottesverhältnis" (vgl. 152-163).

Was den "Glauben Jesu" betrifft, so wird er auf dem Level der Einsichten der Bultmann-Schule aus den historisch als wahrscheinlich geltenden Passagen der synoptischen Evangelien herausdestilliert. Er zeigt sich bei Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft in der "Dialektik von andringender Nähe der unbedingten Forderung Gottes und bergender Nähe der bedingungslosen Liebe Gottes. Beides hat er [...] an das Auftreten seiner Person gebunden" (II, 119). Obwohl er sich in Bezug auf den Anbruch der Gottesherrschaft irrte, ist er so zur "Wurzel einer neuen Religion innerhalb einer alten" geworden (II, 61). Er selbst aber ist mit seinem Vollmachtsanspruch am Kreuz gescheitert (vgl. II, 91-97). Auch sein Leben endet mit der Theodizeefrage (vgl. II, 96.108), ja mit dem "Tode Gottes" (?!) (vgl. II, 130). Damit wäre jedoch die Christologie am Ende, bevor sie angefangen hat. Selbst wenn Jesus "der erste christlich glaubende Mensch" genannt wird (II, 85), erklärt das nicht, was "christlich" heißt. Der Vf. vollzieht darum schon hier einen Schwenk der Perspektive. Vom "Glauben Jesu" an Gott her wird Gott als der "eigentlich Handelnde (!) in diesem ganzen Geschehen" behauptet (II, 85). So wird z. B. die Aussage der Sündlosigkeit Jesu gerechtfertigt, die sich ja aus dem "Glauben Jesu" keinesfalls ergibt. An sich muss gelten, dass Jesus in den geschöpflichen Schuldzusammenhang verstrickt war. Doch nun heißt es: "Gott (!) ist es, der Jesus zum Sündlosen", zum "erlösten Erlöser" macht (II, 84). Die ganze Konzeption beruht also auf dem Glauben an Jesus.

Diesen Glauben legt der Vf. in den Bahnen einer Worttheologie aus, die "allein Gott" (II, 141) als Subjekt der Christuswerdung Jesu versteht. Jesus ist "Gottes Wort in Person" (G. Ebeling) (ebd.). Diese Aussage ist möglich, weil Ostern als eine Art Pfingsten interpretiert wird. Der Heilige Geist hat Jesus zum Glauben weckenden Wort Gottes gemacht, in dem Gott "geistig" gegenwärtig ist (vgl. II, 142). Was er dabei bewirkt, entfaltet der Vf. unter lockerer Verwendung der Drei-Ämter-Lehre als Glaube, Liebe und Hoffnung (vgl. II, 140-261). Der Grundgedanke ist: Die Liebe, von der sich Jesus bestimmen ließ, ist ein "Handeln Gottes an ihm und durch ihn", das auch auf uns übergreift (vgl. II, 154). Mit dieser Denkfigur soll einsichtig gemacht werden, inwiefern Gott uns von der Sünde befreit und "den Tod zu überwinden vermag" (II, 157). Denn Gott wird jetzt als "Subjekt des Heilshandelns" in Jesus erfahren (II, 206). Die Art seiner Anwesenheit in ihm besteht in "gnadenhafter Gleichzeitigkeit" (II, 10; vgl. II, 131).

In dieses Verständnis der göttlichen Auszeichnung Jesu trägt der Vf. die Spitzenaussagen der traditionellen evangelischen Soteriologie ein. Es soll z. B. die Rede von der "Alleinwirksamkeit" des Wortes Gottes bei der Rechtfertigung des Sünders begründen (vgl. II, 170), die der Vf. mit stark anti-römisch-katholischen Tönen vorträgt. Dabei ist auffällig, dass der Glaube mit fast mystisch anmutenden Kategorien als Verinnerlichung, ja "Versenkung" (vgl. II, 163) in Gottes "unendliche Nähe" beschrieben wird (vgl. II, 155): Wenn ich mich auf das Wort Christi "innerlich einlasse, dann kann ich mich als den Menschen sehen, dem vergeben worden ist" (II, 157). Charakteristisch ist auf dieser Linie die Deutung des "Opfers Christi" (vgl. II, 199-210). Es wird als "das Opfer Gottes selbst (!)" (II, 208) interpretiert, der "in Jesu Sterben die Ferne von sich selbst, die eigene Ohnmacht" erleidet und im "Schmerz über die Entfremdung des Menschen" zum "Stellvertreter des Menschen" wird (II, 207 f.). Solche Kenntnis des Vf.s über das innere Wesen Gottes überrascht. Wie kann eine "Begegnungsweise" Gottes sich opfern? Wenn Gott jedoch "sich selbst" opfert, dann ist er als Gott tot und nicht mehr Gott. Wenn er nur etwas von sich opfert, dann ist es kein "Selbstopfer". Die Weigerung, das christliche Gottesverständnis auch zu denken, führt hier also in lauter Aporien. Jene Aussagen werden bloß zitiert, um das die Herzen innerlich anrührende Wesen der Liebe Gottes zu illustrieren. Der Vf. sagt in diesem Sinne: Gottes leidende Liebe "ergreift" denjenigen "unmittelbar", der sich seinem Sichopfern "aussetzt" (II, 207). Denn durch sein Leiden will Gott "das Herz des Menschen für sich" gewinnen (II, 208), so dass die Gottesentfremdung schwindet.

Die Konsequenz eines derartigen Glaubensverständnisses besteht einerseits darin, dass Gottes Überwindung des Bösen "nur im Verborgenen" wahrgenommen werden kann (vgl. II, 216). Die Theodizeefrage, auf welche die Christologie doch antworten sollte, erfährt deshalb eine "komplizierte Nichtantwort" (II, 200): Der Glaubende ist fähig, das "unbegreiflich Schicksalhafte [...] hinzunehmen" (II, 184). Andererseits wird der Glaube strikt als Sache des Einzelnen profiliert. "Herrschaft Christi" bedeutet Herrschaft über das Innere einzelner Menschen (vgl. II, 218-223). Sie zielt wohl auf alle Menschen. Es ist damit zu rechnen, dass der Geist Gottes auch in Menschen anderer Religionen wirkt, so dass sie "am Heil teilhaben können" (II, 233). Aber diese Herrschaft wird nie in der Welt darstellbar. Denn sie geht nicht in einem weltlichen Zustand auf, vor allem nicht in der Kirche.

3) Die Ekklesiologie dieser Glaubenslehre steht unter der Überschrift "Gemeinschaft im Geist und Institution" (vgl. II, 268-420). Sie hat damit zu ringen, dass die Kirche als Institution überhaupt in der Äußerlichkeit der Welt existieren muss. Denn Christus, der sich "unseren Herzen und Gewissen kundmacht" (II, 271), sorgt zuerst für den "Primat" (II, 292) der "Intensität der persönlichen Gottesbeziehung" (II, 282). Das "Wort Gottes" und ein bisher nicht bekannter "Heilsplan" Gottes zielen darüber hinaus aber auch auf die "Extensität" der Verbreitung des Glaubens (vgl. ebd.). Er muss vermittelt werden. Das geschieht, indem der Geist eine "Gemeinschaft des Glaubens" schafft, deren "Gemeingeist" er wird (II, 292). Die Kirche als Institution ist demgegenüber eine sich auf dieser Gemeinschaft "aufbauende menschliche Schöpfung" (II, 293). "Ihre Vermittlungsfunktion ist eine geschichtlich notwendige, keine heilsnotwendige" (II, 283). Doch wie kann "das Heil" überhaupt "extensiv" werden ohne die Verkündigung der Kirche und die Verwaltung der Sakramente, die notwendig "institutionelle" Organisation erfordern? Der Vf. müht sich mit diesem Problem redlich ab. Seine Lösung ist: Jesu "Gegenwart im Heiligen Geist bedient sich in der sichtbaren Kirche der Verkündigung und des Sakraments", obwohl er weder die Kirche gegründet noch die Sakramente eingesetzt hat (II, 311). Er ist also mittelbar Grund dieser von Menschen geschaffenen Kirche, die auf diese abgeleitete Weise "creatura verbi" (vgl. II, 293) heißen kann. "Heilsvermittlung" mit dem Menschenwort (vgl. II, 294) sowie mit den "Symbolen" der Kindertaufe und des Abendmahls geschieht, indem sich der Heilige Geist dieser menschlichen Aktivitäten annimmt und durch sie die "Gemeinschaft der Gläubigen" schafft und erhält (vgl. II, 291-312).

Bei diesem ekklesiologischen Vorgehen ist dem Vf. vor allem daran gelegen, dass die Kirche nicht zur Institution des Heilsbesitzes und der Machtausübung wird, wie es der römisch-katholischen Kirche angelastet werden muss (vgl. II, 265.287. 329-337). Aber auch sonst gilt mit E. Hirsch: Konfessionsunterschiede sind "überlehrmäßiger Art, d. h. sie betreffen diese Weise des Christseins selbst" und sind darum nicht durch Konsensusgespräche zu beseitigen (II, 332; vgl. 359 sowie die Einschränkungen im Hinblick auf die "Leuenberger Konkordie", 335). Die Kirche muss in der Welt der Sünde "ein Wagnis" bleiben und darf keinen Anspruch auf ihre gleichsam göttliche Legitimation erheben (vgl. II, 312-315). Gegen diese Gefahr hilft nur eine "Zwei-Reiche-Lehre" in der Kirche (vgl. II, 344), die alle Kirchenordnung, aber auch Amt und Ordination sowie das Kirchenrecht "als Erfordernis der sozialen Lebensform und nicht als Ergebnis einer göttlichen Setzung" ansieht (II, 341). Hin und wieder leuchtet bei diesem Verständnis der Kirche auch auf, dass es so etwas wie eine menschlich verantwortete "Abbildung" der Stellung des Menschen vor Gott und in Beziehung auf seine Liebe geben kann (vgl. II, 352.371). Jeder Anspruch auf ein "Leitbild" der Kirche wird aber zurückgewiesen. Eine "Bekenntniskirche" z. B. sei "im Dritten Reich und in der DDR (!) [...] überlebenswichtig" gewesen, in Westdeutschland sei sie "kontraproduktiv" (II, 411). Das "Drängeln" auf das Bekenntnis (E. Herms) sei nicht offen für die Möglichkeiten der Freiheit von Menschen (vgl. II, 413). Derart verkürzende Aussagen über eine auf ihr Zentrum konzentrierte Kirche sollen der Einsicht dienen, dass allein der Geist Gottes Glauben schafft und es Gott überlassen bleibt, auf welche Weise er seine Herrschaft durchsetzt (vgl. II, 420). In diesem Sinne schließt sich die Eschatologie an die Ekklesiologie an (vgl. II, 421-473).

Eschatologische Aussagen sind für den Vf. "Extrapolationen von gegenwärtigen Überzeugungen des Glaubens in dessen Hoffnung auf die ihm verheißene Vollendung" (II, 426). Extrapolation soll nicht "Spekulation" sein, aber doch der Versuch, so etwas wie jenseitige Zustände "umfassend zu denken" (II, 442) und nicht bloß mit Bildern zu beschreiben. Was dabei herauskommen kann, ist, wie der Vf. selbst an einer Stelle sagt, "abstrakt" (vgl. II, 449). Denn die Vollendung der Herrschaft der Liebe Gottes wird durch den "ganz Anderen" geschehen (vgl. II, 427), der alle unsere Kategorien sprengt und der verborgene Gott bleibt (vgl. II, 456). Dennoch kann man aus dem Glauben des einzelnen Menschen, der auch hier im Zentrum des Interesses steht, Folgendes "extrapolieren": Menschen sterben "in Gott hinein" (II, 463). "Ewiges Leben" ist demnach "Leben in der Gemeinschaft mit Gott, dem Ewigen" (II, 433). Es ist ein "Leben ohne Tod" (vgl. II, 458-464), in dem der Mensch "die vollendete Gottoffenheit [...] aktiv annimmt und ihr damit entspricht" (II, 449). Da aber Gottes Ewigkeit nicht zeitlos ist, "fällt für den sterbenden Menschen der Zeitpunkt seines Todes mit dem des Endes der Welt schlicht zusammen" (II, 434). Darum können wir aus unserem Glauben "extrapolieren", dass "auch die Welt in der Ewigkeit aufgehoben" wird (II, 440). Da wir soziale Wesen sind, zielt die Extrapolation des ewigen Lebens auf die Einheit von "Individualität und Sozialität" (II, 439).

Der unglückliche Begriff der "Extrapolation" will nicht in Frage stellen, dass ein derartiges "ewiges Leben" "allein Gottes Werk" ist (vgl. II, 462). Um darüber hinaus alle menschliche Sicherheit auszuschließen, wird die "Drohung des Gerichts" stark gemacht (II, 457). Der Vf. meint, ohne diese Drohung befinde sich das Christentum in der "Krise". Sie moralisiere dann das Eschaton zum Werk des bloß "lieben Gottes", statt die Hoffnung auf das ewige Leben als Flucht "von der unheimlichen Seite Gottes in seine Gnade hinein" zu begreifen (vgl. ebd.). Die "Glaubenslehre" endet dementsprechend damit, dass die Alternative zwischen der Verdammung der meisten, welche die Lehre von der "doppelten Prädestination" behauptet, und der Annahme einer "Apokatastasis panton" zur "offene[n] Frage" erklärt wird (II, 473). Für den Vf. ist das ein guter Abschluss, weil er zeigt, "dass das ganze System der Glaubenslehre offen bleibt" (ebd.).

"Offenheit" theologischen Systematisierens und Unentschiedenheit in Sachen des Heils dürften aber wohl zwei verschiedene Dinge sein! In der Verschränkung von beidem hat diese Glaubenslehre jedoch ihr facettenreiches und beachtlich gedankenvolles Profil. Darin liegt andererseits auch ihre besondere Problematik. Denn der Glaube, der hier zur Darstellung kommt, trägt seine Infragestellung allzeit selber mit sich herum, um im "Wagnis", das nie endet, seine "Identität" zu finden. Je mehr die Glaubenslehre fortschreitet, umso mehr verliert sich dementsprechend auch das Interesse daran, diesen Glauben modernistisch den Erfahrungsmöglichkeiten von Menschen unserer Zeit "stimmig" zu erschließen. Wie bei seinen lutherischen Vorgängern im vorigen Jahrhundert wird für den Vf. die archaische Erfahrung der Unheimlichkeit, des Grauens und des Widersinns, das vom Deus absconditus ausgeht, zur Eingangstür und dauerhaften Begleiterin der Erfahrung des Glaubens. Das alles war schon einmal in der evangelischen Theologie da und ist in seiner Unklarheit und Problematik umfassend diskutiert worden. Diese Diskussion kann und braucht hier nicht wiederholt zu werden. Wenn der Vf. sich davon unberührt zeigt, dann hängt das sicherlich damit zusammen, dass er eine kräftige Alternative zur sog. "Dialektischen Theologie" schaffen will. Sie und Theologien, die in ihrem Gefolge angesiedelt werden (Pannenberg, Moltmann, Befreiungstheologie), erfahren in diesem Buch eine Behandlung, die man im Interesse freier, vorurteilsloser wissenschaftlicher Auseinandersetzung nur bedauerlich nennen kann. Das mag hier auf sich beruhen. Im Sinne des Vf.s geht es darum, abstrakter "Spekulation", Erfahrungsferne, Gegenwartsvergessenheit, theologischem Machtstreben, kirchlichen Besitzansprüchen und weltlichen Ideologisierungen der Wahrheit zu wehren. Ein solches Anliegen kann sich heute unzweifelhaft der Zustimmung aller erfreuen. Die evangelische Theologie wäre sicher einen Schritt vorangekommen, wenn das auch für die Wege gelten könnte, auf denen es hier verfolgt wird.