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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

566–568

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Barth, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen. Ein Lehrbuch.

Verlag:

2., korr. Aufl. Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 862 S. 8. Kart. Euro 49,95. ISBN 3-579-05325-6.

Rezensent:

Karlheinz Ruhstorfer

Der primäre Gesprächspartner für christliche Dogmatik ist traditionellerweise einerseits die Philosophie und andererseits die Tradition der Kirche. Die menschliche Vernunft und die verbindliche Auslegung des Glaubens durch die Kirche eröffneten einen Raum, in welchem die Dogmatik versuchte, den Glauben systematisch zu entfalten. In den kulturellen, politischen, ökonomischen und philosophischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeichnete sich eine globale Perspektive ab, die jenen traditionellen Raum der Dogmatik sprengte. Der Pluralismus der Kulturen und Religionen wurde für Philosophie, Theologie und Kirche in je eigener Weise eine Herausforderung. Angesichts dieser Situation beschreitet Hans-Martin Barth in seiner "Dogmatik" einen neuen, durchaus originellen Weg: Für ihn werden die nichtchristlichen Religionen zu den privilegierten Gesprächspartnern des Glaubens. Dabei steht eine christliche Dogmatik vor einer doppelten Aufgabe: Zum einem muss sie "mit der somit entstandenen Verunsicherung umgehen und Argumentationsangebote liefern, die erkennen lassen, wodurch der christliche Glaube sich von anderen Ansätzen unterscheidet und worin sie über diese ggf. hinausführt (oder auch hinter ihnen zurückbleibt)" und zum anderen ist damit die Chance gegeben, "daß in der Begegnung mit anderen Religionen der christliche Glaube sich selbst noch tiefer als bisher erfasst" (39).

Bevor B. diese Aufgaben angeht, werden in umfangreichen "Vorklärungen" (35-66) die genaue "Zielsetzung einer interreligiös sensiblen christlichen Dogmatik", "methodologische Probleme" und der "theologische Ansatz" des Projekts dezidiert entfaltet. Festzuhalten ist, dass B. weder beim bloßen religionsgeschichtlichen Vergleich verweilen (40 f.) noch eine neue Welteinheitsreligion stiften (41 f.) noch "pluralitätskonforme Apologetik" betreiben (43) will, vielmehr bleibt sein Bemühen wesentlich eine christliche, näherhin eine "evangelische Dogmatik", wobei das Werk von ökumenischer Weite ist und sich durchaus auch wiederholt auf katholische Autoritäten, wie die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu nichtchristlichen Religionen "Nostra aetate", stützt.

Das Buch bringt folgende acht zentrale Komplexe christlicher Dogmatik in eine neue Beziehung zu nichtchristlichen Religionen: "Glaube", "Begründung des Glaubens", "Gott", "Jesus Christus", "Heiliger Geist", "Welt und Mensch", "Erlösung", "Hoffnung über den Tod hinaus". B. ist sich des Problems der Vergleichbarkeit dieser spezifisch christlichen Glaubensinhalte durchaus bewusst (z. B. 233 f.375), dennoch unternimmt er den Versuch, jedes dieser umfassenden Themenfelder mit nichtchristlichen Entsprechungen bzw. mit vergleichbaren Inhalten zu konfrontieren. Dabei wird in jedem Kapitel zunächst in einem ersten Schritt das christliche Verständnis auf eine durchweg kenntnisreiche und dichte Weise dargestellt (A). In einem zweiten Schritt werden die außerchristlichen Zugänge entfaltet (B). Stets kommen hier Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus ausführlich zu Wort. Die Darstellung ist jeweils von Sympathie und dem Bemühen, der jeweiligen Religion gerecht zu werden, getragen. Auch werden klassische, zumeist deutschsprachige religionswissenschaftliche Erkenntnisse in bemerkenswerter Fülle eingearbeitet (z. B. Otto, Glasenapp, Heiler). Doch zeigt sich gerade hier auch eine Grenze des Unterfangens, denn es scheint einem einzigen Gelehrten kaum mehr möglich zu sein, die immense Fülle der vor allem englischsprachigen Literatur zu überblicken; dennoch gelingt es B. zweifelsohne, die vier nichtchristlichen Weltreligionen prägnant und zuverlässig vorzustellen. Die eigentliche und originelle Leistung B.s liegt darin, in einem jeweiligen dritten Abschnitt eine Synthese zu leisten (C). Darin tritt der trinitarische Glaube der Christen in Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von den anderen Religionen scharf konturiert hervor und dient letztlich dazu, auch diese noch besser zu verstehen, als dies ohne Trinität möglich wäre. Besonders deutlich wird dies etwa im Abschnitt 4.2.C. "Die Integrationskraft trinitarischen Denkens" (321- 340), in welchem B. das Christentum nicht nur als die vermittelnde Position zwischen den Religionen des Ostens (Hinduismus und Buddhismus) und den Religionen des Westens (Judentum und Islam) begreift, sondern das trinitarische Denken als "Grundstruktur des religiösen Bewusstseins" überhaupt heraushebt (335-338). Damit zeigt sich, dass B. sich im weitesten Sinne durchaus in jener Tradition evangelischer Theologie bewegt, die in Hegel, in der "Philosophie der Religion", ihren prominentesten Vertreter hat: Der christliche, trinitarische Glaube birgt in sich den Schlüssel zum Begreifen von Religion als der erfüllten Beziehung von Mensch und Gott. Doch ist B.s Unternehmen nicht auf ein letztes Begreifen auch noch des Anderen gesammelt, sondern - bescheidener - auf das bessere Verstehen des Eigenen. Weniger die absolute Wahrheit des Christentums als die relative Überlegenheit des christlichen Glaubens ist der Fokus seiner Überlegungen. In einem vierten Abschnitt (D) fasst B. die Ergebnisse seiner Argumentation jeweils noch einmal in knappen "Thesen" zusammen. Das Werk schließt mit einem "Epilog", in welchem das Verhältnis der Religionen zu den "Areligiösen" bedacht wird, und mit einer ausführlichen Bibliographie sowie mit recht hilfreichen Registern.

B.s Anspruch ist es nicht, in die Tiefen des theologischen Begriffs oder in die Höhen religionsphilosophischer Spekulation vorzudringen. Vielmehr ist seine Absicht, eine "Dogmatik", und zwar in Form eines "Lehrbuchs", zu schreiben. Entsprechend zeichnet sich das Buch durch klare Sprache und Argumentation und mithin durch gute Lesbarkeit aus. Durch das detaillierte Inhaltsverzeichnis wird ein schneller Zugriff auf bestimmte Fragestellungen möglich. Das Buch eignet sich somit, um präzise erste Informationen nicht nur zum christlichen Glauben, sondern auch zur Dogmatik der nichtchristlichen Weltreligionen zu erhalten.

Eine Zeit, in der die Welt endgültig eine geworden zu sein scheint, die sich durch das Ringen um das Verbindliche auszeichnet und die stets von einem clash of civilisations bedroht ist, braucht Bücher wie B.s "Dogmatik". Dem globalen Relativismus und Zerfall der Traditionen sowie der totalitären Herrschaft der Kommunikations- und Informationstechnologien, der entfesselten Megakonzerne und unkontrollierten Hypermächte haben alle Religionen etwas entgegenzusetzen - ein friedlicher Widerstand, der das Wesen des Menschen zu retten versucht. B.s Beitrag birgt nicht die Lösung der Weltprobleme. Auch ist er wohl nicht geeignet, den denkerischen Herausforderungen, die dem Christentum seitens der gegenwärtigen Philosophie gestellt sind, Paroli zu bieten, denn B. unterschätzt die bleibende Bedeutung gerade der zeitgenössischen Philosophie für den christlichen Glauben, und gewiss würde das Werk durch tiefere philosophische Reflexion deutlich gewinnen. Der Mangel an gründlicher Reflexion, der sowohl durch die Fülle des Materials als auch das Genus als Lehrbuch bedingt ist, verhindert auch, dass alle Ansprüche an eine Theologie der Religionen erfüllt werden. Die letzte Verhältnisbestimmung der christlichen zu den nichtchristlichen sowie der nichtchristlichen Religionen untereinander bleibt recht vage. Dennoch handelt es sich ohne jede Frage um ein gewichtiges Buch, das dazu beiträgt, die christliche Dogmatik tiefer zu verstehen, das Wege weist für eine weitere Forschung und das Brücken baut zwischen den Religionen, ohne den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion aufzugeben, denn "[a]ls Ausgangspunkt für das interreligiöse Gespräch ist das Stehen zur eigenen Überzeugung gewiss fruchtbarer als kompromißfreudige Relativierung" (63).