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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

556–558

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kessler, Eckhard, u. Ian Maclean [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Res et verba in der Renaissance.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz (in Kommission) 2002. 398 S. gr.8 = Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, 21. Geb. Euro 84,00. ISBN 3-447-04654-6.

Rezensent:

Sebastian Lalla

Der Sammelband greift mit fünfzehn Beiträgen das Themenfeld einer Tagung in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel auf, in deren Mittelpunkt das Verhältnis von Schrift und Sprache als Bezugsgrößen zur Wirklichkeit im Übergang vom Spätmittelalter zur humanistisch geprägten Renaissance stand. Dabei sind res und verba, die Schlüsselbegriffe einer dualistisch strukturierenden Perspektive, keineswegs so unumstritten in ihrem Anspruch, die Wirklichkeit des Zeichenhaften bestimmen zu können. Öffnen sie doch allererst einen viel weiteren Horizont, der die Relation von Signifikant und Signifikat über eine äußerst intensiv diskutierte Struktur mentaler Repräsentation zu klären versucht, so dass aus dem problemgeschichtlichen Bestand zumindest noch der conceptus in den Titel aufgenommen werden sollte - die Betrachtung, die ihm im Band zukommt, zeugt von der gewichtigen Rolle, wenngleich die dezidierte Fragestellung einer Repräsentation als semantisches Paradigma von Signifikation nicht eigens erörtert wird.

Aber auch so decken die Beiträge ein sehr breites Feld ab, sie reichen von grundlegenden Darstellungen über die mentale Sprache im 16. Jh. und die Rolle des Universalienproblems hin zu spezifischen Untersuchungen literaturwissenschaftlicher und philosophischer Detailforschung. Aus diesem Wechselspiel entsteht ein gelungenes Geflecht interdisziplinärer Auseinandersetzung, dessen Stärke nicht zuletzt darin liegt, die generellen Ausführungen sowohl als Hintergrund aufzubauen, vor dem die jeweiligen Aspekte ihre Erkenntniskraft gewinnen, als auch an ihnen selbst paradigmatisch die Polyvalenz einer durchgängigen Thematik der Renaissance aufzuzeigen. Denn gemeinsam ist allen Beiträgen die verlorene Selbstverständlichkeit, mit der eine- im erkenntnistheoretischen Sinne naive - Betrachtung der Realität mittels epistemologischer Realismen als common sense für die Beschreibung methodischer Reflexion auf die Divergenz zwischen Wirklichkeit und Repräsentation gelten konnte. Was im Anschluss an die verschiedenen Spielarten des Nominalismus der Renaissance als Aufgabe philosophischer und theologischer Klärungsbemühungen vorgestellt war, ist genau die Bestimmung der Relation von Worten und Sachen in einem Kontext prinzipieller Heterogenität.

Die Probleme dieser Verhältnisbestimmung werden paradigmatisch an den mentalistischen Ansätzen spätmittelalterlicher Sprachmodelle erörtert (D. Perler), wobei zweierlei deutlich wird. Zum einen die Kontinuität einer Diskussion, die über historisierende Epochengrenzen hinweg die sachlichen Probleme als Diskursfeld wissenschaftlicher Kommunität bereitstellt - und so gesehen ist die Trennung in Spätmittelalter und Renaissance eine, die eher die parallele Interferenz von scientia-Parametern betonen sollte. Zum anderen die Öffnung des logischen Horizontes hin zu einer semantischen Betrachtung der Dependenz jeder Interpretation durch Zeichen von ihren mentalistischen - aber eben auch darüber hinausweisenden - Repräsentationen.

Eine instruktive Klärung der diesbezüglichen Terminologie stellt die Untersuchung zu "Words and Things" dar (B. Vickers), deren Verdienst nicht zuletzt in der Tatsache besteht, durch den breiten Skopus analysierter Texte einen deutlichen Kontrapunkt zu jeder vereinheitlichenden Tendenz zu setzen, die faktische Divergenz der Positionen zu Gunsten einer "Renaissance" als Klassifikationskategorie sui generis zu reduzieren. Es ist erfreulich, dass sowohl in synchroner Hinsicht (mit den Beiträgen von H. Mikkeli, U. Langer und M. L. Bianchi) als auch in diachroner Perspektive (C. Leijenhorst und M. Friedrich) Standpunkten Raum gegeben wird, die eine plurale Diskontinuität im Ähnlichen nicht scheuen; dass trotz aller Gemeinsamkeiten, die die Renaissance-Philosophie aufweist, eben auch eine Distanz zu mittelalterlichen Parametern (etwa in der Frage nach dem Nominalismus, der in den grundlegenden Darstellungen von Kessler als ein "wesentliches Movens der Philosophie im Übergang von der Scholastik zur frühen Neuzeit" [76] herausgestellt wird) besteht, muss beachtet werden, um nicht der These einer wesentlichen Traditionskontinuität zu sehr entgegenzukommen. Hier eine Balance zu wahren, um den Streitpunkt, in welchem Maße die Renaissance eine parallele, interne oder eine konträre Bewegung zur scholastischen Philosophie des späten Mittelalters gewesen sei, zunächst an die Texte selbst zurückzuführen, vor allem aber noch offen zu lassen, weil noch zu wenig große Untersuchungen verfügbar sind, ist einer der deutlichen Pluspunkte dieses Sammelbandes.

Die Entschiedenheit des Urteils muss hinter dieser Erkenntnis keinesfalls zurückstehen - und tut dies auch nicht. Die Beiträge von D. Perler, I. Maclean und C. H. Lohr, um nur drei markante des Bandes zu nennen, zeigen auf sehr verschiedene und doch sehr eindrückliche Weise, wie eine komplexe Sachlage nicht nur übersichtlich dargestellt werden kann, sondern auch in einen weiteren Kontext, der über die Renaissance selbst hinausgeht, richtungsweisend für die weitere Forschung gestellt werden sollte: Die Trennung in allzu rigide Epochengrenzen, die mehr als heuristische Instrumente der Hermeneutik sind, durch Arbeit an den Problemen der Zeit als eben nicht nur Problemen einer Zeit überwunden zu haben, ist eine auch methodisch geschickte Lösung, um die Diskussion über die zentralen Fragen von Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und Metaphysik pointiert und nicht endgültig beantwortet zugleich sein zu lassen. Mitunter fällt dabei die weitgehende Beschränkung auf die Quellen selbst (J. Rohls, C. H. Lohr) als anregender Zugang zu einem durch umfangreiche Forschung bereits zugestellten Gebiet auf. Dass nicht mit jedem Beitrag auch der letztgültige Forschungsstand umfassend dokumentiert sein muss, ist - sonst wäre eine inhaltliche Diskussion in diesem Rahmen nicht mehr umzusetzen - nicht nur eine pragmatische Entscheidung, sondern auch eine Aufforderung an die Arbeit mit Texten, sich im Bereich der Sammelbände nicht von der philologischen Grundlage philosophischer und theologischer Denkmöglichkeiten zu entfernen. Dass insgesamt die einzelnen Studien auf ebenso hohem wie aktuellem Niveau präsentiert werden, ist davon selbstverständlich unberührt. Insofern ist die Eröffnung des Bandes mit "Marsilio Ficino on the Life of Text" (M. J. B. Allen) nicht nur eine Darstellung der Auseinandersetzung Ficinos mit der platonischen Sprachtheorie, sondern auch eine programmatische Einladung, den Bereich in den Mittelpunkt zu stellen, in und an dem renaissancephilosophische Entwürfe das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit zuallererst und zuletzt aufsuchen: am Text, der wie kein anderes Medium geeignet ist, die Zeichenhaftigkeit aller Realität selbst vor Augen zu führen, zu interpretieren und dabei zugleich dem letzten Verständnis wieder zu entziehen. So bleiben die Antworten auch als Fragen zurück, die Lücken, die im Verständnis geschlossen werden, öffnen zugleich neue Türen. Der Band "Res et verba in der Renaissance" ist eine viel versprechende Einladung, möglichst viele von ihnen zu entdecken.