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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

544–546

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Blaschke, Olaf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. 356 S. m. 8 Abb. 8. Kart. Euro 36,00. ISBN 3-525-36254-4.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Der Herausgeber legt in seinem Vorwort und in einführenden Überlegungen ("Der Dämon des Konfessionalismus") Rechenschaft über seine Intentionen ab: Es gilt also, den Aspekt der konfessionellen Prägung der deutschen Gesellschaft (wie ihre religiöse Prägung überhaupt) im 19. und noch lange im 20. Jh. vor dem Vergessen durch die Geschichtswissenschaft zu retten: Nicht fortschreitende Säkularisierung, sondern anwachsende und beständige Konfessionalisierung war an der Tagesordnung. Ihr eigentliches Gewicht soll die Thematik aber durch die Einordnung als "zweites konfessionelles Zeitalter" gewinnen: "Was sich zwischen etwa 1800 und 1970 abspielte, erinnert sehr an die Zeiten von Reformation und Gegenreformation" (8). Eine Grundfrage ist darum, ob sich die Konfessionalisierungsdebatte aus dem 16. und 17. Jh. ins 19. und 20. übertragen lässt.

Helga Schnabel-Schüle arbeitet in ihrem Beitrag "Vierzig Jahre Konfessionalisierungsforschung - eine Standortbestimmung" einige Grundprobleme des "Konfessionalisierungsparadigmas" heraus: Ist "Konfessionalisierung" ein Schlüssel- oder ein Teilprozess der Frühen Neuzeit? Ist das Jahr 1648 wirklich als Abschluss anzusehen, wo doch Religion und Konfession in Staat und Gesellschaft weiterhin eine prägende Funktion hatten? Die Vfn. beschreibt die Aufgabe der Konfessionalisierungsforschung zusammenfassend dahingehend, es gehe darum, die "konfessionsspezifischen Wechselwirkungen der Konfessionalisierungsprozesse mit anderen frühneuzeitlichen Prozessen herauszuarbeiten", unter denen sie Verrechtlichung, Sozialdisziplinierung und Territorialisierung hervorhebt. Entsprechende Wechselwirkungen werden an Beispielen aufgezeigt.

Martin Friedrich gibt seinem Beitrag "Das 19. Jahrhundert als Zweites Konfessionelles Zeitalter?" den Untertitel: "Anmerkungen aus evangelisch-theologischer Sicht". Er problematisiert Blaschkes Perspektive, und dies besonders im Blick auf die von diesem so genannte "äußere Konfessionalisierung", da die Konfession im 19. Jh. nicht mehr wie im 16. und 17. einen Staat und Gesellschaft prägenden Charakter hatte und der von Blaschke verwendete Konfessionsbegriff nicht definiert ist - immerhin lässt sich der Protestantismus im 19. Jh. kaum mehr als einheitliche Konfession beschreiben.

Manuel Frey beschreibt mit "Toleranz und Selektion" "Konfessionelle Signaturen zwischen 1770 und 1830" und macht dabei darauf aufmerksam, dass trotz der aufklärerischen Toleranzdebatte am Ende des 18. Jh.s die Konfession als Differenzmerkmal eine wichtige Rolle spielte und dies in erster Linie, weil das protestantische Bürgertum damit sein eigenes Selbstbewusstsein stärken konnte. Friedrich Nicolai und andere etwa verfestigen in ihren Reiseberichten trotz aufklärerisch-toleranter Intentionen unter Zuhilfenahme einer Charakterisierung der jeweiligen "Religionsphysiognomie" das Bild eines Unterschiedes zwischen dem fortschrittlichen norddeutschen Protestantismus und dem rückständigen süddeutschen Katholizismus.

Siegfried Weichlein behandelt in seinem Beitrag "Der Apostel der Deutschen" gemäß dem Untertitel "Die konfessionspolitische Konstruktion des Bonifatius im 19. Jahrhundert", die sich wesentlich dem Kölner Kirchenstreit und dem Kulturkampf verdankte. Aus dem überkonfessionell rezipierbaren Missionar wurde der ultramontane "Apostel der Deutschen", ja der Reichsgründer vor Karl dem Großen. Dieses Anliegen wurde durch den Bonifatiusverein und die Feiern zum 1100. Todestag 1855 publik gemacht.

Tobias Dietrich untersucht die "Konfessionelle Gegnerschaft im Dorf im 19. Jahrhundert" anhand einiger Simultangemeinden im südwestdeutschen Raum, in Frankreich und in der Schweiz. Dabei zeigt sich, dass sich die Annahme einer wirtschaftlichen und sozialen Überlegenheit der Protestanten zwar erhärten, nicht aber für alle Dörfer generalisieren lässt. In einem weiteren Schritt stellt der Vf. die im Dorf verwurzelten konfessionellen Vorurteile der protestantischen "Ketzer" gegen die katholischen "Ultramontanen" vor. Simultankirchen mit ihren Bildern und Prozessionen boten vielfältigen Anlass für handfest ausgetragene Konflikte.

"Katholisch-protestantische Mischehen im 19. und 20. Jahrhundert" behandelt Tillmann Bendikowski in seinem Beitrag mit dem Obertitel "Eine Fackel der Zwietracht". Zunehmende Mobilität und Urbanisierung förderten die Heirat konfessionsverschiedener Paare. Zum zentralen, durch den Mischehenstreit in Preußen verschärften Problem wurde die Frage der konfessionellen Kindererziehung, die man gelegentlich auch vor Gericht austragen ließ. Diese Thematik erlebte durch den Kulturkampf eine weitere Intensivierung. Die nationalsozialistische Kirchenpolitik ließ - schon angesichts der Okkupation des Begriffs "Mischehe" - dieses Thema zeitweise in den Hintergrund treten, doch wurde es nach 1945 gerade von katholischer Seite noch einmal aufgegriffen.

"Konfessioneller Konflikt und politische Kultur in der Weimarer Republik" ist das Thema des Beitrags von Manfred Kittel, der zuerst darauf hinweist, dass gerade dieses Thema in den gängigen Darstellungen zur Weimarer Zeit kaum Berücksichtigung findet. Dabei spielte die Konfession schon bei der Haltung zu Demokratie und Republik und später zum aufkommenden Nationalsozialismus eine nicht unwesentliche Rolle. Auf dem Land blieben die Konfessionsgrenzen scharf gezogen, dies zeigte sich u. a. an den schon traditionellen Fronleichnamskrawallen und der Mischehenfrage. In Politik und Gesellschaft ließ sich mit der Konfession Personal- und Parteipolitik machen, und selbst der Nationalsozialismus versuchte sich an einer konfessionellen, pro-protestantischen Profilierung.

Thomas Fandel untersucht den Zusammenhang von "Konfessionalismus und Nationalsozialismus" am Beispiel der Pfalz. Hier ist manches typisch: Die katholische Pfarrerschaft stand dem Nationalsozialismus ablehnend, die evangelische ihm positiv gegenüber; dazu trug bei, dass man im Nationalsozialismus ein willkommenes Mittel gegen den politischen Einfluss des Katholizismus sah. So wurde die NSDAP vor allem im ländlichen Raum zur protestantischen Milieupartei, während sich die katholische Wählerschaft wie auch sonst in Deutschland als relativ resistent erwies. Daran änderten bis ins Jahr 1933 hinein auch die nationalsozialistischen Vereinnahmungs- und Beschwichtigungsversuche nichts. Ein besonderer Testfall für das Verhältnis der Konfessionen zum Nationalsozialismus war die Saarabstimmung 1935.

Wilhelm Damberg stellt unter dem Obertitel "Milieu und Konzil" Beobachtungen "Zum Paradigmenwechsel konfessionellen Bewusstseins im Katholizismus der frühen Bundesrepublik Deutschland" vor. Damberg setzt das Ende des zweiten konfessionellen Zeitalters mit dem Zerfall der konfessionellen und zuletzt des katholischen Milieus an: Nach 1945 konnte und sollte dieses Milieu nicht wieder etabliert werden. Schon in den 50er Jahren zeigte sich ein massiver Traditionsabbruch und eine Erosion des katholischen Milieus, die aber durch das II. Vatikanum in eine Transformation überführt werden konnte.

Da inzwischen die Debatte um das "erste konfessionelle Zeitalter" in eine Krise geraten ist (vgl. Th. Kaufmann in ThLZ 121 [1996], 1008-1025.1112-1121), ließe sich auch hinter den Untertitel dieses Sammelbandes ein Fragezeichen setzen. Die Teilbeiträge zeigen, dass es eine Fülle von Einzelargumenten sowohl für wie wider Blaschkes These gibt. Dementsprechend wird man weitergehende Aufschlüsse nur erhalten, wenn man sich in Analogie zur ersten Konfessionalisierungsdebatte daran macht, den Problemen je nach Einzelstaat, Zeitphase und politischen Umständen detaillierter nachzugehen, was sich fraglos lohnen würde. Welche politische Potenz von den Konfessionen immer noch ausging, zeigt schon, dass die Deutsche Nationalversammlung 1848 es nach den Mischehenstreitigkeiten in Preußen und Bayern und der Politik des Ministeriums Abel peinlich vermied, konfessionellen Streit in ihre Debatten hineinzutragen.