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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

537–539

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Döpp S., u. W. Geerlings [Hrsg.] unter Mitarbeit v. P. Bruns, G. Röwekamp, M. Skeb u. B. Windau.

Titel/Untertitel:

Lexikon der antiken christlichen Literatur.

Verlag:

3., vollständig neu bearb. u. erw. Aufl. Freiburg-Basel-Wien: Herder 2002. XVIII, 763 S. gr.8. Lw. Euro 65,00. ISBN 3-451-27776-X.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Von einer (mindestens einer) Erfolgsgeschichte ist hier zu berichten! Im kurzem Abstand erschienen im Freiburger Herder-Verlag zwei Werke, die jeweils auf ganz unterschiedliche Weise ein höchst erfolgreiches Verlagsprodukt - den heute vor genau 100 Jahren zuerst erschienenen "Grundriß der Patrologie" von Gerhard Rauschen, seit seiner Neubearbeitung durch Berthold Altaner (10.-11. Aufl. 1931), nur noch "Patrologie" betitelt und seit 1938 auch, fürs Erste, allein noch unter Altaners Namen erscheinend - zu "beerben" trachteten.

Seit der 7. Auflage (1966) figurierte A. Stuiber, der bereits 1960 in Altaners Auftrag eine Neuauflage herausgebracht hatte, als Mitverfasser bis einschließlich der 9. und letzten Auflage des "Altaner-Stuiber", die im Jahre 1980 erschien; danach ist irgendwann noch ein Nachdruck veranstaltet worden, bei dem man selbst auf jede Literaturergänzung verzichtete.

Es hatte sich nämlich längst herausgestellt, dass das nützliche Werk allein durch bibliographische Aktualisierungen und Einarbeitung von neu erschienener Literatur, wie das nach Altaners Tod der inzwischen ebenfalls bereits verstorbene Alfred Stuiber (Bochum) fast zwei Jahrzehnte lang, entsagungsreich und so gut es eben ging, versucht hatte, nicht am Leben zu halten sei. 1994 legte darum der Paderborner Patrologe Hubertus R. Drobner ein neues "Lehrbuch der Patrologie" vor, welches sich das Ziel setzte, "einerseits in einprägsamer Form das Grundwissen des Fachgebietes dar[zu]stellen, andererseits durch eine treffende Auswahl der wichtigsten Quellen- und Literaturangaben ein vertieftes Weiterstudium [zu] ermöglichen und so sowohl als Studienbuch als auch als erstes Referenzwerk für den Fachgelehrten [zu] dienen" (Vorwort [vgl. die Besprechungen von G. Haendler in dieser Zeitschrift, Jg. 120, 1995, 807 f., und von H. C. Brennecke u. a. in: ZAC 1, 1997, 131-137]). 1998 erschien in 1. Auflage, unter derselben Herausgeberschaft und mit Unterstützung nahezu derselben Mitarbeiter wie die hier zu besprechende 3. Auflage, das "Lexikon der Antiken Christlichen Literatur", das sich trotz des geänderten Titels bewusst in die Tradition des für Generationen an der christlichen Antike Interessierter unentbehrlichen "Altaner" stellt. In der Tat hatte dieser, ähnlich wie Drobners Werk, durchaus "höhere" Ambitionen verfolgt, war aber kaum je als Ganzer gelesen, sondern eben wie ein Lexikon zur Erstinformation herangezogen worden. Darin, dass er dies nicht nur zuließ, sondern auch sehr leicht machte, lag mindestens teilweise das Geheimnis seines Erfolges begründet. Andere wichtige Vorzüge des "Altaner" waren die Straffheit der Berichterstattung und die Zurückhaltung des Urteils, bei aller durchaus erkennbaren "katholischen" Grundorientierung. All das machten sich die Autoren um S. Döpp und W. Geerlings jetzt zu Nutze; ja man ging sogar noch wesentlich weiter, indem die Herausgeber "sich entschlossen, mit der historisch-genetischen Darstellung des Altaner zu brechen und dessen lexikalische Nutzung in ein konsequent aufgebautes Lexikon umzusetzen" (so das Vorwort zur 1. Aufl., das im Auszug auch der 3. vorangestellt ist). Das trage auch der heutigen wissenschaftlichen Situation Rechnung, da kein einzelner Forscher mehr die gesamte christliche Literatur überblicken werde, zumal die Erforschung der orientalischen Nationalliteraturen zahlreiche neue Erkenntnisse hervorgebracht habe.

Wer wollte da widersprechen? Man ging sogar so weit, dass in aller Regel darauf verzichtet wurde, "bei den einzelnen Schriftstellern theologische Lehrinhalte anzuführen". Nur bei "wichtigen" Autoren (wie Ambrosius, Athanasius und Augustin) wurde versucht, "inhaltliche Grundlinien aufzuzeigen", wobei das Auswahlkriterium weniger seine Bedeutung für die spätere Dogmatik als die Frage bildete, "inwieweit sein Werk schon den Zeitgenossen bedeutsam erschien" (Vorwort). All das findet natürlich die spontane Zustimmung aller historisch Denkenden, seien sie Theologen oder nicht, wird freilich, wie sich zeigt, nicht von allen Autorinnen und Autoren gleichermaßen strikt befolgt.

Die mit dem in Rede stehenden "Lexikon" verbundenen Intentionen sind so gut aufgenommen worden, dass binnen Jahresfrist die Erstauflage vergriffen war und eine zweite Auflage nötig wurde, bei der freilich nur "offensichtliche Unkorrektheiten und Druckfehler" verbessert werden konnten. Die 3. Auflage bezeichnet sich selbst schon deshalb mit vollem Recht als "vollständig neu bearbeitet und erweitert", weil sie in der Tat um mehr als 112 großformatige und eng bedruckte Seiten "zugelegt" hat. Es hat eine Menge neuer Artikelstichworte gegeben; und das hängt überwiegend mit der - sicher diskutablen! - Entscheidung der Herausgeber (in Reaktion auf Rezensentenwünsche) zusammen, die in der Erstauflage (genauso wie bei Altaner und Drobner etwa) eingehaltene "traditionelle" zeitliche Obergrenze in der lateinischsprachigen Literatur bei Isidor von Sevilla ( 636) aufzugeben und sie mit Beda Venerabilis ( 735) neu zu fixieren. Es sind aber auch schwer verständliche Lücken in der Erst- und zwangsläufig auch Zweitauflage (s. o.) endlich geschlossen worden.

So gibt es jetzt Artikel zu: "Agrapha, Archiv/Bibliothek, christlich", "Artes liberales", "Buchwesen", "Kallist von Rom", "Kanon" (beide besonders glänzend!) und viele andere mehr. Schwierig - und doch willkommen - ist die Ergänzung um einen Artikel "Aquila", die durch die im Vorwort genannten Gesichtspunkte nicht (ganz) gedeckt ist.

Manche Artikel sind neugefasst, z. T. auch von neuen Autoren und Autorinnen (wie die über "Athanasius von Alexandrien" und über "Ekphrasis"), viele überarbeitet (oder mindestens bibliographisch aktualisiert).

Schade fand ich, dass zu "Antonius der Einsiedler" das glänzende Buch von B. Müller, Der Weg des Weinens, Göttingen 2000 (FKDG 77), u. a. mit weiterführender Kritik an Rubenson, weder im Text noch in der Bibliographie berücksichtigt wurde; dass Verweise unterblieben, dass das unter "Anonymus Sicilianus" und "Anonymus Valesianus" Gesuchte jetzt an anderer Stelle (unter "A. Romanus" bzw. "Excerpta Valesiana") zu finden sei; dass die Herausgeber haben durchgehen lassen, dass der armselige "Acacius von Konstantinopel" den in Chalkedon (can. 28) "festgeschriebenen Ehrenprimat" Konstantinopels zu einem "Jurisdiktionsprimat für den Osten aus(baute) (5); oder, noch weit schlimmer, dass die "Altercatio Ecclesiae et Synagogae" jüdische Ansprüche "durch christologische Exegese des AT und den Hinweis auf die niedere soziale Stellung der Juden im chr. Imperium erfolgreich widerlegt" habe (17; Sperrung von mir); und anderes mehr. Vielleicht sollte in einer Neuauflage auch die Schreibweise von "Mileve" (statt Mileu[m]) an altertumswissenschaftliche Standards angepasst und diejenige von "Porfyrius" - Rechtschreibreform hin oder her - überdacht werden, wo es doch aus nahe liegenden Gründen bei "Photius" etc. geblieben ist.

Summa summarum: die Absicht von Herausgebern, Mitarbeitern und Autoren, "ein wesentlich verbessertes Arbeitsinstrument vorzulegen" (s. Vorwort), ist mit der 3. Auflage des "Lexikon" in eindrucksvoller Weise in Erfüllung gegangen.