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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

527 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Reiser, Marius

Titel/Untertitel:

Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. XIV, 256 S. kl.8 = UTB für Wissenschaft, 2197. Kart. Euro 14,90. ISBN 3-8252-2197-0.

Rezensent:

Jürgen Dummer

Die Schriften des Neuen Testaments haben es lange schwer gehabt, einen festen Platz in der Geschichte der griechischen Literatur der Antike zu finden; allzu oft wurden sie in den einschlägigen Darstellungen nur partiell oder überhaupt nicht behandelt. Der Vf. des vorliegenden Buches macht zu einer entsprechenden Positionsbestimmung einen erneuten Versuch, und zwar auf der Grundlage einer intensiven Untersuchung der Sprache und der literarischen Formen, die sich in den einzelnen Partien des Neuen Testaments finden. In einem ersten Teil (2-90) äußert er sich über "Sprache und Stil" der neutestamentlichen Schriften mit einführenden Erörterungen über die im Imperium Romanum gesprochenen Sprachen (unter besonderer Berücksichtigung Palästinas) und die griechische Koine. Sodann finden sich Beobachtungen über das Griechische des Neuen Testaments und die Stilistik der neutestamentlichen Schriften. Es folgt in einem weiteren Hauptteil (92-194) eine Untersuchung der im Neuen Testament vorhandenen "literarischen Formen", unterteilt nach "Großformen" (Biographische Erzählung, Geschichtsschreibung, Brief und Apokalypse) und "Kleinformen", worunter in sehr detaillierter Aufgliederung Erzählformen, Erzählmuster, Redeformen und Stiltypen behandelt werden.

Es gelingt dem Vf. eine sorgfältig gearbeitete und saubere Vorstellung aller dieser genannten literarischen Gegebenheiten im Neuen Testament, die durchaus als "Eine Einführung" - so der Untertitel des Buches - gelten kann, und dabei ist sicher nicht nur an Studenten gedacht. Allerdings sind hinsichtlich der Schlussfolgerungen, die der Vf. für die literargeschichtliche Einordnung daraus zieht, mindestens zwei Fragen zu stellen. Natürlich ist es richtig, auf die starke sprachliche Bindung der neutestamentlichen Schriften an die Septuaginta hinzuweisen. Daraus aber in einer bewussten Engführung der Untersuchung die Schriften des Neuen Testaments als eine spezielle Erscheinung jüdisch-hellenistischer Literatur zu reklamieren - im bewussten Unterschied etwa zu Philo und Josephus -, übersieht natürlich, dass die Definition dessen, was jüdisch-hellenistische Literatur ist, auch anders angelegt sein kann. Zum anderen ist zu bedauern, dass Justins Zuordnung der Evangelien zur antiken Apomnemoneumata-Literatur Apol. 66,3 (101 und 136 zwar positiv erwähnt, aber nicht unter dem Gesichtspunkt des literarischen Genus) nicht diskutiert, auch die dazu vorhandene Literatur nicht angegeben wird.

Auf einem ganz anderen Blatt als diese Zuordnung der neutestamentlichen Schriften steht die Bestimmung ihrer literarischen Qualität. Diese wird, um es salopp zu sagen, leider geradezu hochgejubelt. So lesen wir S. 192 f. (etwas zurückhaltender, 90) unter Berufung auf den anonymen Autor "Über das Erhabene", über den allerdings viel zu sagen wäre, ehe man ihn so verwendet, dass die Evangelien "an literarischer Qualität selbst die besten vergleichbaren Werke der zeitgenössischen hohen Literatur übertreffen." Genannt werden Dio Chrysostomus und Plutarch! Geschmacksurteile sind in historischen Untersuchungen wohl immer misslich. Und wenn uns der Vf. (159-161) Jesus als Sprachschöpfer vorführt, wird mancher Leser wohl eine theologische Präjudizierung vermuten.

Angefügt sind (196-223) mit Kommentar neun "Beispieltexte", von denen einer aus der LXX (Gen 2,15-25) und acht aus dem Neuen Testament (Lk 1,1-4; 9,51-56; Mk 2,1-12; Joh 1,1-18; Gal 2,1-10; Eph 1,3-14; Offb 1,1-8) stammen. Voransteht jener hübsche und immer wieder herangezogene Brief des frechen kleinen Theon an seinen gleichnamigen Vater POxy 119. Abgesehen davon, dass man bei schriftlich vorfindlichen Itazismen nicht von Fehlern sprechen sollte, ist mir nicht klar, warum der Brief, wenn man einmal von seinem Unterhaltungswert absieht, hier wiederum abgedruckt ist. Natürlich war es nicht die Aufforderung Adolf Deißmanns, über dessen Motiv hier nicht nachzudenken ist (Licht vom Osten, 2. u. 3. Aufl. Tübingen 1909, 138): "Den Stil empfehle ich zur Prüfung allen Spezialisten zur Aufspürung des semitischen Rassenstils." Tempora mutantur - glücklicherweise.

Kurzum: Trotz mancher zu hinterfragender Urteile ist ein brauchbares Buch entstanden!