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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

508 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Köckert, Matthias, u. Erhard Blum [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottes Volk am Sinai. Untersuchungen zu Ex 32-34 und Dtn 9-10.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2001. 191 S. m. 4 Abb. 8 = Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, 18. Kart. Euro 34,95. ISBN 3-579-05346-9.

Rezensent:

Erik Aurelius

Die so genannte hintere (nichtpriesterliche) Sinaiperikope Ex 32-34 (par. Dtn 9-10) aktualisiert allerlei ungeklärte Fragen der alttestamentlichen Exegese, unter anderen diejenigen nach eventuellen deuteronomistischen Bearbeitungen des Pentateuchs, nach der Unterscheidung zwischen Vor- und Nachpriesterlichem im nichtpriester(schrift)lichen Stoff, nach Redaktionen des Pentateuchs, des Hexateuchs und/oder des Enneateuch, nach dem zeitlichen Verhältnis zwischen biblischen Rechtstexten, aber auch nach dem Gottesbild (auf Formeln gebracht: "ein barmherziger und gnädiger Gott", Ex 34,6; "ein eifersüchtiger Gott", 34,14). Bei der Tagung der Fachgruppe Altes Testament der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie am Himmelfahrtswochenende 2000 in Bad Herrenalb war dieser Textbereich das gut gewählte Thema, und es ist zu begrüßen, dass die sechs Vorträge in einem handlichen Band mit ausführlichen Literaturlisten und einem Stellenregister zugänglich sind.

Konrad Schmid (Israel am Sinai. Etappen der Forschungsgeschichte zu Ex 32-34 in seinen Kontexten) gibt einen vorzüglich klaren Forschungsüberblick zur nichtpriesterlichen Sinaiperikope, zuerst im Dreischritt Wellhausen - von Rad und Noth - Perlitt, sodann nach drei jetzigen Grundrichtungen gegliedert: Fortführungen der neueren Urkundenhypothese, Annahmen umfassender deuteronomistischer Prägung, nachdeuteronomistische und nachpriesterliche Einstufung der meisten nichtpriesterlichen Texte.

Norbert Lohfink (Deuteronomium 9,1-10,11 und Exodus 32-34. Zu Endstruktur, Intertextualität, Schichtung und Abhängigkeiten) will mit Hilfe einer ausführlichen Strukturanalyse von Dtn 9 f. die Zahl der angenommenen Entstehungsstufen möglichst gering halten; verständlicherweise greift er dabei auf seine Analyse von 1963 (Das Hauptgebot) zurück. Die Absicht ist lobenswert. Allerdings braucht man wohl einen guten Magen, um eine Grundschicht zu verdauen, der alles außer 9,1-8.22-24 und 10,6-9 zugehören soll, z. B. auch Moses Auf- und Abstieg 10,1-5, der anscheinend auch in Lohfinks Gliederung des Textes (nach dem wiederkehrenden Ausdruck "40 Tage und 40 Nächte") zwischen die Stühle fällt. Den Grundstock von Ex 32 hält Lohfink für vorexilisch und unabhängig von 1Kön 12, Ex 32-34 im Wesentlichen für älter als Dtn 9 f., aber jedenfalls und wohl zu Recht Ex 32,13 für einen Zusatz aus Dtn 9,27 (vgl. Vermeylen, Römer, Groß und in diesem Band Gertz).

Jan Christian Gertz (Beobachtungen zu Komposition und Redaktion in Exodus 32-34) konzentriert sich auf Ex 32, setzt sich mit Eckart Ottos These eines priesterschriftlichen Einflusses auf die Grundschicht auseinander, gibt den Einfluss in 32,1b und 5b zu, aber zählt die betreffenden Formulierungen nicht zur Grundschicht. Diese sei von Ex 19-24*, 1Kön 12,26 ff., 2Kön 17,21-23 und Ri 8,24-27 abhängig und erst nach 587 anzusetzen. Diese Datierung scheint sich allmählich durchzusetzen und wird von Gertz gut begründet.

David Carr (Method in Determination of Direction of Dependence: An Empirical Test of Criteria Applied to Exodus 34,11-26 and its Parallels) will Klarheit über die Kriterien bei Annahmen von Abhängigkeit verschaffen. Aus Fällen, wo die Richtung klar ist (vom Masoretischen Text zur Tempelrolle, zum Samaritanus etc.), schließt er auf fünf wiederkehrende Zeichen der Abhängigkeit (vor allem die Kombination sonst verstreuter Elemente). Daraus folgt für Ex 34,11-26 ein klares Votum für die Spätdatierung nach den Parallelen. Ob ein Frühdatierer davon überzeugt wird, sei dahingestellt. Jedenfalls schreibt Carr ausgewogen und ohne einfältigen Methodenfanatismus.

Ruth Scoralick ("JHWH, JHWH, ein gnädiger und barmherziger Gott ..." [Ex 34,6]. Die Gottesprädikationen aus Ex 34,6 f. in ihrem Kontext in Kapitel 32-34) weist auf die vielen Beziehungen zwischen 34,6 f. und dem Kontext Ex 32-34 hin, betont demgemäß die Bedeutung der Verse im Kontext und behandelt eingehend die notorischen Fragen, ob JHWH oder Mose den Gottesnamen (aus- oder an-)ruft in V. 5 und in V. 6, warum V. 6 den Gottesnamen zweimal nennt, wie sich V. 6 zu V. 7 verhält und anderes mehr. Bei alledem geht es der Autorin, wenn ich die Intention richtig verstanden habe, nicht um irgendwelche Autorenintentionen, sondern um den Sinn, der sich aus der jetzigen Gestalt des Textes und Kontextes ergibt. Aber auch wer nicht der Meinung ist, man sollte bei der Exegese gewisse (nämlich entstehungsgeschichtliche) Fragen und Kenntnisse ausblenden, kann den Aufsatz mit Gewinn lesen.

Friedhelm Hartenstein (Das "Angesicht Gottes" in Exodus 32-34) bringt endlich einige Bilder zum Thema, freilich nicht vom goldenen Kalb, aber von göttlichen und königlichen Audienzen. Die kultischen Konnotationen liegen in Ex 32 auf der Hand, ebenso auch in Ex 34 (Theophanie, Kultkalender). Hartenstein expliziert aber mit Hilfe biblischen und außerbiblischen Vergleichsmaterials auch und vor allem den weniger häufig besprochenen kultischen Hintergrund in 33,12-17 und 18-23, und zwar auf historisch und theologisch ergiebige Weise.

Ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, gibt der Band einen instruktiven Einblick in die jetzige Forschungslage - und reizt den Appetit.