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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

503–505

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Janowski, Bernd, u. Peter Riede [Hrsg.] 2) Neumann-Gorsolke, Ute, u. Peter Riede [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

1) Die Zukunft der Tiere. Theologische, ethische und naturwissenschaftliche Perspektiven.

2) Das Kleid der Erde. Pflanzen in der Lebenswelt des alten Israel.

Verlag:

1) Stuttgart: Calwer Verlag 1999. 211 S. gr.8. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-7668-3624-2.

2) Stuttgart: Calwer Verlag; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. X, 374 S. m. zahlr. Abb. gr.8. Kart. Euro 39,00. ISBN 3-7668-3653-6 (Calwer); 3-7887-1818-8 (Neukirchener).

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

"Zu der bedenkenlosen Ausrottung ganzer Tierarten [pro Stunde sterben etwa drei Tierarten aus] kommt der Teufelsspuk der industriellen Massentierhaltung. [...] Ein Kalb hat in modernen Haltungssystemen drei Monate Leidenszeit vor sich. [...] Solche mörderischen Lebensbedingungen stehen die Kälbchen nur unter hohem Einsatz von Chemikalien durch [...] Bis zu 25 Prozent dieser gepeinigten Jungtiere sterben vor dem eingeplanten Ende der Mast. Die übrigen dürfen ein einziges Mal in ihrem Dasein ihre Beine benutzen: wenn sie zur Schlachtung aus den Boxen getrieben werden. [...] Seufzende, gepeinigte Kreatur! Das ist ihre Wirklichkeit!" (Ingeborg Gräßer, 123). Auf diesem Hintergrund, der den Alltag zahlloser Tiere umreißt und direkt zusammenhängt mit unserem persönlichen Ess- und Konsumverhalten, fällt es nicht leicht, die eigene Betroffenheit zu überwinden und das engagierte und mit Gewinn zu lesende Buch Die Zukunft der Tiere zu rezensieren. Die meisten der acht in dem Band vereinigten Beiträge von Theologen (Bernd Janowski, Peter Riede, Gerhard Bodendorfer, Ingeborg Gräßer, Martin H. Jung), Philosophen (Jean-Claude Wolf, Lutz Röhrich) und einem Naturwissenschaftler (Franz M. Wuketits) stammen von einer Tagung, die 1997 von der Ev. Theol. Fakultät der Universität Tübingen und der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen veranstaltet wurde. Um nichts weniger als eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Gott, Mensch und Tier im Bewusstsein ökologischer Zusammenhänge geht es. Die Beiträge lohnen eine genaue Lektüre und bieten eine Fülle von Einsichten, aus denen ich nur wenige herausgreifen kann.

Mit besonderem Gewinn habe ich die Beiträge von Janowski ("Auch die Tiere gehören zum Gottesbund", 31-60) und Riede ("Tiere als Vorbilder und Lehrer des Menschen", 61-91) gelesen, die aufzeigen, wie vielfältig das Alte Testament von Tieren redet. Zentral ist der Gedanke, dass Mensch und Tier als Geschöpfe Teil der einen Schöpfung Gottes sind und sich die göttliche Segensverheißung an beide richtet. Damit stellen die beiden Beiträge ein wertvolles Korrektiv gegen Aspekte biblischer Wirkungsgeschichte dar, die den Menschen als "Krone der Schöpfung" und "Herrn der Welt" einseitig überhöhen. Ingeborg Gräßer ergänzt dies durch das paulinische Zeugnis vom "Seufzen der ganzen Kreatur" und ihrem Sehnen nach Erlösung. Auch hier bewahren wir mit der Bibel in der Tat einen Schatz kritischen Potentials: Das unselige Leiden von Tieren resultiert aus einer fundamentalen Entfremdung und ist nicht als "unvermeidbar" einfach hinzunehmen. In interessanter und oft höchst überraschender Weise setzen sich diese Gedanken fort im Beitrag von Martin H. Jung (128-154), der die prägende Rolle des Pietismus für die Entstehung der Tierschutzbewegung in Deutschland herausarbeitet und zeigt, wie die biblisch inspirierte persönliche Haltung der Empfindsamkeit für das Geschöpf und der Verantwortung vor Gott konkret gelebt worden ist und gesellschaftliche Früchte getragen hat. Kein geringerer als Albert Schweitzer ist von diesem Denken und Leben beeinflusst worden. Durch diese Beiträge wird ferner deutlich, dass eine christliche Naturethik, die biblisch bleiben will, nicht in der Schöpfungslehre allein verankert sein darf, sondern auch das kritische Potential einer eschatologischen "Utopie" durchhalten muss, und sei es auch "nur", um der Sinnleere des ökonomischen Rationalismus eine geistige Alternative entgegenzusetzen. Im Zusammenspiel mit den literaturwissenschaftlich und philosophisch ausgerichteten Beiträgen ergibt sich so ein wohl begründetes und höchst aktuelles Plädoyer für die Überprüfung unserer Werte und die Erneuerung unseres Verhaltens.

Obwohl ich diesem Anliegen gern zustimmen kann, will ich doch nochmals leise nach der Rolle der Bibel bei der Entwicklung einer christlichen Tierschutzethik fragen, zumal sich m. E. an manchen Stellen des Bandes ein gewisser "romantisierender Zug" zur Verklärung biblischer und nachbiblischer Texte und der zu ihrer Zeit herrschenden Lebensverhältnisse bemerkbar macht. Das in den Beiträgen entfaltete kritische Potential biblischer Texte verdankt sich ihrer Distanzierung von der heutigen Welt. Sie tun so gut, weil sie so anders sind. Doch wird dies der Bibel nicht immer ganz gerecht, romantisiert in gewisser Weise. Dieselbe Distanzierung hätte die ganze Abständigkeit der vorindustriellen israelitisch-jüdischen Gesellschaft mit ihrem zum Teil für uns brutalen oder völlig indifferenten Umgang mit Tieren stärker herausstellen können, zu der das tröstliche Bild vom eschatologischen Tierfrieden eben genauso gehört wie die vielfältigen blutigen Opfer (sie werden im Band nur ganz am Rande erwähnt). Der Unterschied zu heute liegt vielleicht eher darin, mit welch gnadenloser "Effizienz" und in welch grotesker Größenordnung wir die "Benutzung" des Tiers praktizieren. Das alles soll die Rolle der Bibel nicht kleiner machen, als sie ist, soll nur vor allzu entwaffnender Direktheit in ihrer Applikation bewahren.

Denn sieht man sich die Alternativen zur biblisch inspirierten Rede von der Geschöpflichkeit von Mensch und Tier an, so wird einem ihr unverzichtbarer Wert neu bewusst. Während man nämlich Franz Wuketits in der Bemühung nur zustimmen kann, unsere "säkularen" Zeitgenossen von der Notwendigkeit des Tier- und Artenschutzes zu überzeugen (17-30), greift seine Begründung für den Schutz in entlarvender Weise zu kurz. Das "ökonomistische" Argument, Artenschutz sei im eigenen Interesse des Menschen, da man sich dadurch die eigenen Ressourcen sichern würde, trägt nicht (und ist nicht weniger utopisch), da unregulierte ökonomische Prozesse kaum auf Nachhaltigkeit, sondern auf Gewinnmaximierung bedacht sind. Tierschutz nach ökonomischem Prinzip läuft dann eben nach den dort geltenden Regeln ab. Wo dies hinführt, können wir heute in der Welt sehen. Es ist aber gerade die Emotionalität des Erschreckens vor dem Leid der Kreatur und das Wissen darum, dass dies nicht sein soll, weil es nach Gottes Willen einst nicht mehr sein wird, die uns davor bewahren können, alles dem eigenen Nutzen zu unterwerfen, der nur von Tag zu Tag denkt.

Als Fortsetzung zu B. Janowski, U. Neumann-Gorsolke, U. Gleßmer (Hrsg.), Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, Neukirchen-Vluyn 1993 konzipiert, enthält der zweite hier zu besprechende Band Das Kleid der Erde zehn Aufsätze zur biblischen Pflanzenwelt. Drei der Beiträge (Z. Silberstein, W. Berg, O. Keel) wurden bereits an anderen Orten publiziert, hinzu kommen Originalbeiträge von K. Nielsen, U. Winter, I. Kottsieper, W. Zwickel und Chr. Cebulj. Die ersten acht Aufsätze widmen sich unterschiedlichen Aspekten zur literarischen, religiösen und kulturgeschichtlichen Bedeutung der Pflanzenwelt im Alten Testament, die beiden letzten Beiträge widmen sich der rabbinischen und neutestamentlichen Literatur. Sehr hilfreich sind die vielfältigen, von den Herausgebern in den Band eingestreuten, vor allem an Realien orientierten "Motive und Materialien" sowie Anhänge zu "Ausgewählte[n] Pflanzentexte[n] des Alten Testaments" (280- 300), eine ausführliche "Bibliographie zur Pflanzenwelt im Alten Israel und in seiner Umwelt" (301-323), das "Glossar der hebräischen und aramäischen Pflanzennamen" (324-352) und ein differenziertes Register.

Durch die breite thematische Streuung der Artikel und ihre sorgfältige Benutzung textlicher und erfreulich vieler bildlicher und archäologischer Quellen wird ein Höchstmaß an Information in gut lesbarer Form geboten. Die enzyklopädischen Anhänge tragen dazu bei, dass dem Band eine ähnlich grundlegende Bedeutung in der Forschung zukommen wird wie seinem "tierischen Vorgänger".