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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

490–493

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Bibles imprimées du XVe au XVIIIe siècle conservées à Paris. Bibliothèque nationale de France, Bibliothèque Sainte Geneviève, Bibliothèque de la Sorbonne, Bibliothèque Mazarine, Bibliothèque de la Société de l'histoire du protestantisme français, Bibliothèque de la Société biblique. Catalogue collectif éd. par M. Delaveau et D. Hillard.

Verlag:

Paris: Bibliothèque nationale de France 2002. XLVIII, 862 S. m. zahlr. Abb. 4. Lw. Euro 130,00. ISBN 2-7177-1846-X.

Rezensent:

Stefan Strohm

Das Korpus des Katalogs mit 712 Seiten und 4825 Eintragungen gedruckter Bibeln, Testamente, Bibelteile und einzelner biblischer Bücher und Buchgruppen lädt trotz seines Umfangs ein, wenn nicht von vorne bis hinten geradezu durchgelesen, so doch zunächst einmal durchgegangen zu werden, da nur so sich erschließt, wonach alles gesucht werden kann, und mehr noch, wie sehr man durch Ungesuchtes bereichert wird.

Der Aufbau des Katalogs ist selbstredend streng systematisch und zwar nach den Regeln eines Bibliothekskatalogs. Also ist erstes Ordnungsprinzip der Umfang der bibliographischen Einheit, zweites die Sprache, drittes das Erscheinungsjahr, sodann der Druckort und Drucker.

Das heißt, dass man den ersten hebräischen Bibeldruck, einen Psalter von 1477, wohl aus Bologna, unter Bible. A. T. Psaumes (hébreu). auf S. 345 mit der Nummer 2157 verzeichnet findet, den ersten griechischen Bibeldruck, ebenfalls einen Psalter, 1481 in Mailand gedruckt, mit der Nummer 2227 bald dahinter auf S. 353 entdeckt unter Bible. A. T. Psaumes (grec-latin), doch den zweiten griechischen Bibeldruck, einen liturgischen Psalter aus Venedig von 1486, mit der Nummer 2212 zwei Seiten davor unter Bible. A. T. Psaumes (grec). suchen muss, den ersten Bibeldruck überhaupt, die Gutenbergbibel von 1454, mit der Nummer 677 auf S. 120 unter Bible (latin), mit der Datierung freilich Ca 1455, eingetragen sieht und schließlich den ersten deutschen Bibeldruck, welcher 1466 in Straßburg erfolgt ist, weiter vorne unter der Nummer 108 bei Bible (allemand). aufspüren kann.

Die Ordnung der Sprachen ist das Alphabet, nur dass die Polyglotten in jeder Sektion voranstehen, gefolgt von den Ursprachen Hebräisch und Griechisch (auch für das Alte Testament), sodann erst kommen die Übersetzungen; Latein ist abweichend von der Übung deutscher Kataloge zu Recht im Alphabet eingeordnet. Die Reihenfolge alttestamentlicher Buchgruppen (Livres sapienteux, sc. Psalmen bis Hohes Lied, oder Petits Prophètes) und Einzelausgaben biblischer Bücher ist eigenartigerweise durch das Alphabet vorgegeben, selbstredend nach der französischen, nicht etwa der lateinischen Benennung von Büchern und Buchgruppen: Die unter den Apokryphen zu suchende Weisheit Salomos (Sagesse) folgt somit auf Ruth und steht vor den Samuelisbüchern; Hagiographes (hébreu), die "Schriften" des hebräischen Kanons, finden sich zwischen Habakuk und Jesaja; neutestamentliche Teile jedoch wie Evangelien und Briefe, auch die Ausgaben von einzelnen Evangelien oder Briefen, folgen der Ordnung des Neuen Testaments, also stehen zuerst die Evangelien, dann einzelne Evangelien, es schließt sich die Apostelgeschichte an, dann kommen die Briefe, dann das Corpus Paulinum, dann der Römerbrief etc., dann die Katholischen Briefe, "endlich schließt die Offenbarung das gesamte" Bücherbuch, nein, hinter Apocalypse sind noch Apocryphes verzeichnet.

In großer Einheitlichkeit ist für dreieinhalb Jahrhunderte dokumentierten Bibeldrucks die Eintragung für jeden Band gestaltet: (1.) In der ersten Zeile jeden Eintrags steht die Katalognummer, (2.) es folgt eine Zeile, welche die Katalogeinheit festlegt, e. g.: [Bible. A. T. Daniel (français) 1624]. (3.) Der nächste Absatz enthält die Titelaufnahme, (4.) der sich anschließende eine Kennzeichnung des Inhalts, (5.) der nächste bibliographische Zitate. (6.) Geschlossen wird mit der Beschreibung der individuellen Merkmale.

1. und 2.: Die Katalognummern sind durchgehend vergeben. Die folgende normierte Zeile dient einer ersten Identifikation jeden Drucks nach Umfang, Sprache und Erscheinungsjahr. Damit erlaubt sie einen raschen Überblick. Ihre hauptsächliche Funktion ist die oben beschriebene Einordnung. Beide Zeilen sind halbfett gedruckt.

3.: Die Titelaufnahme ist auf kluge und übersichtliche Weise normiert: Sie erfolgt diplomatisch, allerdings werden Eigenheiten der Druckersprache normalisiert: Kürzel sind aufgelöst, "v" am Wortanfang wird gegebenenfalls zu "u" verwandelt et vice versa "u" im Wortinnern zu "v", Groß- und Kleinschreibung, insbesondere von Namen, ist reguliert, die Lautung der Zeit jedoch bleibt exakt beibehalten (dabei wird auch "ß" zu "ss" geändert, Umlaute aber bleiben gewahrt). Diese Normalisierung ist mit bewundernswerter Konsequenz und Genauigkeit durchgeführt. Die Angaben von Druckort, Drucker und Verleger sowie die Erscheinungszeit sind durch Kursivsatz abgehoben und dann in Klammern wiedergegeben, wenn sie nicht vom Titelblatt, sondern aus dem Buchinnern, meist dem Kolophon, erhoben sind. Zeilenfall ist nicht bezeichnet, wohl aber die Sonderheiten der Zeichensetzung (Virgel, Doppelpunkte).

Die Seitenzählung schließt sich unmittelbar an, gefolgt von Hinweisen auf Illustrationen und schließlich der Formatangabe auf Grund der Bogenbrechung. Kollationsformeln werden nicht mitgeteilt.

4.: Die Beschreibung der Edition gibt Übersetzer und Bearbeiter sowie weitere literarische Beigaben wie e. g. Vorreden oder textkritische Marginalien an. Zum Teil können diese Erschließungen nicht aus dem Druck selbst erhoben werden, sondern müssen mit der dann genannten Sekundärliteratur bestimmt werden. (Ob man dabei allerdings bis auf LeLong-Masch aus dem letzten Viertel des 18. Jh.s zurückgreifen muss?) So gedrängt und auf das Wesentliche beschränkt hier auch verfahren wird, so aufschlussreich ist gerade dieser oft den meisten Raum einer Katalogaufnahme einnehmende Absatz für den Benutzer.

5.: Wertvoll ist die Identifikation der Drucke über ausgewählte bibliographische Zitate, insbesondere mit Hilfe des nach wie vor maßgeblichen Katalogs von T. H. Darlow and H. F. Moule (Historical Catalogue of the printed editions of Holy Scripture ..., London 1903-1911). Erfreulicherweise wird auch der im Entstehen begriffene Katalog einer der wichtigsten Bibelsammlungen (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart) herangezogen (das ist nur für die griechischen und deutschen Bibeldrucke möglich gewesen, der lateinische Katalog ist etwa gleichzeitig erschienen).

Fehlen für die deutschen Bibeln etwa bibliographische Zitate aus Stuttgart, so ist das für die Zeit von 1600 an besonders bezeichnend, weil dann das "Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts" nicht mehr auf die in Stuttgart nicht vorhandenen Ausgaben aufmerksam machen kann. Auch für das 15. Jh. können rasch etliche Bibeldrucke ausfindig gemacht werden, die in Stuttgart nicht verzeichnet sind. Allerdings sind nicht alle leer bleibenden Stellen zugleich Hinweise auf einen größeren Bestand in Paris, da dort auch Nachdichtungen wie Lobwassers Psalmen aufgenommen sind, die weder der Katalog der Landesbibliothek Stuttgart noch das VD 16 unter den Bibeln verzeichnen (an einer Stelle, dem zweiten griechischen Druck, ist versehentlich die Stuttgarter Nummer nicht genannt, es wäre "C 2" zu Nummer 2212 zu ergänzen).

Eine an Vollständigkeit fast heranreichende Dichte der Sammlung nun, wie sie für einzelne Gebiete in Stuttgart zu finden ist, wird man für vergleichbare Bereiche in den Pariser Sammlungen nicht erwarten. So sucht man dort vergeblich nach der geschlossenen Reihe der vorlutherischen deutschen Bibel: Es fehlen drei der vierzehn frühneuhochdeutschen und eine der niederdeutschen Bibeln. Natürlich wird man für französische Druckorte dafür reichlich fündig. Doch selbst für einige lateinische Drucke aus Lyon oder Paris kann aus andern Katalogen noch etwas hinzugewonnen werden. Andererseits findet man für das 17. Jh. zahlreiche deutsche Bibeln, die man gerade in Stuttgart vergeblich sucht. Das ist insgesamt eine Einschränkung, die Bestandskataloge notorisch bieten müssen, ihr Vorteil aber, die grundsätzliche Autopsie, macht das längst gut, indem der Leser nicht auf Chimären angesetzt wird.

6.: Die individuellen Merkmale wie Einband, Provenienzen, handschriftliche Annotierungen sowie die verwahrenden Bibliotheken und Signaturen schließen die Beschreibung (die Siglen für die Bibliotheken und die Signaturen sind wieder halbfett gedruckt). Man stößt auf persönliche Eigennamen aus ganz Europa und auf Klostergemeinschaften, besonders aus Paris, auf die Verzeichnung von Handeinträgen und Ex-libris sowie kostbare Einbände. Eine der Abbildungen zeigt das annotierte hebräische Alte Testament des Bibelübersetzers Immanuel Tremellius.

Wertvolle und ausführliche Register, insbesondere zu den Druckern und Druckorten, den literarischen Beiträgern und Provenienzen erschließen den Katalog; eine historische Darstellung der sechs Pariser Bibliotheken, welche die aufgeführten Drucke verwahren, leitet ein.

Darf gesagt werden, dass die Lektüre Vergnügen bereitet? Auf jeden Fall ist in den Vordergrund zu stellen, dass die gedrängte und übersichtliche Darstellung aller generellen und individuellen Merkmale der Drucke wohltuend ist. Die wohlüberlegte typographische Gestaltung unterstützt die Übersichtlichkeit. Für jeden, der sich mit der Geschichte und Überlieferung der gedruckten Bibel befasst, ist das Nachschlagen in diesem Werk Gewinn, sei es, dass er seine Kenntnis der gedruckten Bibelüberlieferung zu erweitern sucht, sei es, dass er bibliographische Daten vervollständigen muss, sei es, dass er Editoren, Übersetzer und literarische Beigaben kennen lernen möchte, besonders wo sie nicht im Titel schon genannt sind. Hervorzuheben ist die große Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Identifikation der Drucke, der Titelaufnahmen und der erschließenden Beschreibungen.