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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

486 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Aejmelaeus, Anneli, u. U. Quast [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen. Symposium in Göttingen 1997.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 415 S. gr.8 = Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens (MSU) XXIV. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse, 230. Kart. Euro 104,00. ISBN 3-525-82502-1.

Rezensent:

Bernd Janowski

Wie inzwischen allgemeiner bekannt, ist seit einigen Jahren erhebliche Bewegung in die Psalmenforschung gekommen, wofür nicht zuletzt das Interesse am Septuaginta-Psalter mitverantwortlich ist. Die LXX brachte den Psalter nicht nur in den Gottesdienst Griechisch sprechender Juden und Christen, sie - und ihr folgend die Vulgata - weicht auch von der Zählung der Hebräischen Bibel ab, indem sie Ps 9 und 10 sowie Ps 114 und 115 jeweils zusammenfasst und zum Ausgleich Ps 116 und 147 jeweils in zwei Psalmen aufteilt. Ps 151, den sie als Überschuss gegenüber dem hebräischen Psalmenbuch hat, kennzeichnet sie ausdrücklich als "außerhalb der Zählung" stehend. Wichtiger sind demgegenüber die Fragen der Textform, der Übersetzungstechnik und der theologischen Interpretation der LXX. Mit Übersetzungstechnik ist die komplexe Beziehung der Übersetzung (Zieltext) zum Original (Ausgangstext) gemeint, die für die einzelnen biblischen Bücher unterschiedlich aussieht und die lexikalische, syntaktische wie stilistische Besonderheiten aufweist. Zum Porträt des jeweiligen LXX-Übersetzers gehört auch der interpretative Aspekt, der sehr oft eine Verständnisalternative einbringt, was etwa daran deutlich wird, dass der LXX-Psalter nicht, das hat jüngst die Arbeit von H. Gzella, Lebenszeit und Ewigkeit. Studien zur Eschatologie und Anthropologie des Septuaginta-Psalters (BBB 134), Berlin-Wien 2002, deutlich gemacht, der dualistischen Anthropologie der griechischen Philosophie folgt, sondern mit den Begriffen soma "Leib" und psyche "Seele" zwei Termini für die eine menschliche Gesamtperson verwendet. Zu den interpretativen Aspekten des LXX-Psalters gehört auch die kreative Ausdeutung einiger Vertrauenspsalmen wie Ps 16 (15) LXX, 23 (22) LXX oder 101 (100) LXX auf das ewige Leben und die leibliche Auferstehung, aber auch auf das Gericht und die endzeitliche JHWH-Theophanie. Die Strahlkraft des LXX-Psalters, dessen geographisches und geistiges Milieu (alexandrinisches/palästinisches Judentum, vielleicht Mitte 2. Jh. v. Chr.) gegenwärtig Gegenstand intensiver Diskussion ist, beruht auf seinem eigenständigen Umgang mit der Leben/Tod-Problematik bei weitgehender Bindung an den hebräischen Ausgangstext.

Das sind nur einige wenige Aspekte, die durch die neuere Arbeit am LXX-Psalter jetzt deutlicher in Erscheinung treten. Der vorliegende Band bündelt diese Arbeit und entwirft mit seinen siebzehn Beiträgen ein faszinierendes Panorama der gegenwärtigen Septuaginta-Forschung:

R. Hanhart, Begrüßungsworte beim Empfang am 25. Juli 1997 (9-11) - A. Pietersma, The Present State of the Critical Text of the Greek Psalter (12-32) - E. Schulz-Flügel, Hieronymus, Feind und Überwinder der Septuaginta? Untersuchungen anhand der Arbeit an den Psalmen (33-50) - P.-M. Bogaert, Le psautier latin des origines au XIIe siècle. Essai d'histoire (51-81) - P. Nagel, Der sahidische Psalter - seine Erschließung und Erforschung neunzig Jahre nach Alfred Rahlfs' Studien zum Text des Septuaginta-Psalters (82-96) - J. Horn, Die koptische (sahidische) Überlieferung des alttestamentlichen Psalmenbuches - Versuch einer Gruppierung der Textzeugen für die Herstellung des Textes (97-106) - M. A. Knibb, The Ethiopic Translation of the Psalms (107-122) - R. J. V. Hiebert, The "Syrohexaplaric" Psalter: Its Text and Textual History (123-146) - K. D. Jenner, Syrohexaplarische und proto-syrohexaplarische Zitate in syrischen Quellen außer den individuellen Exemplaren des syrohexaplarischen Psalters (147-173) - C. E. Cox, The Armenian Version and the Text of the Old Greek Psalter (174-247) - A. Kharanauli, Einführung in die georgische Psalterübersetzung (248-308) - D. Fraenkel, Hexapla-Probleme im Psalter (309-322) - E. Ulrich, The Dead Sea Scrolls and Their Implications for an Edition of the Septuagint Psalter (323-336) - P. W. Flint, Variant Readings of the Dead Sea Psalms Scrolls against the Massoretic Text and the Septuagint Psalter (337-365) - A. van der Kooij, Zur Frage der Exegese im LXX-Psalter. Ein Beitrag zur Verhältnisbestimmung zwischen Original und Übersetzung (366-379) - F. Austermann, Thesen zur Septuaginta-Exegese am Beispiel der Untersuchung des Septuaginta-Psalters (380-386) - U. Quast, Einführung in die Editionsarbeit (387-399) - Verzeichnis der Bibelstellen (400-415).

Wie diese Übersicht zeigt, behandeln die meisten Beiträge die verwickelten Fragen der Psalterhandschriften und ihrer kritischen Edition. Um welche - auch gerade praktischen! - Probleme es dabei im Einzelnen geht, kann man sich etwa anhand des Schlussbeitrags von U. Quast plastisch vor Augen führen (vgl. den Katalog der Arbeitsschritte 394 ff.). Auf zwei Beiträge grundsätzlicherer Art sei besonders hingewiesen: auf A. van der Kooijs "Beitrag zur Verhältnisbestimmung zwischen Übersetzung und Original" (366-379) und auf F. Austermanns "Thesen zur Septuaginta-Exegese" (380-386). Während van der Kooij dafür plädiert, Differenzen zwischen MT und LXX-Psalter nicht allein auf der Wortebene, sondern auch und vor allem auf der Satz- und Kontextebene zu suchen, weil die LXX-Übersetzer als Übersetzer immer auch "Schriftgelehrte" waren und dem Modell "Lesen (auf Satzebene!) + Interpretation = Übersetzen" (377) folgten, fasst Austermann seine Überlegungen zur Septuaginta-Exegese in 11 Thesen und einem Schaubild (380) zusammen, wobei er mit van der Kooij danach fragt, "wie ein LXX-Übersetzer seine Vorlage interpretiert hat" (380). Annahmen über die Interpretation der Vorlage durch den Übersetzer sind, so Austermann, "auf ihre argumentative Kohärenz, ihre Plausibilität und ihr Erklärungspotential zu überprüfen. Nur Annahmen, die textkritischen, textgeschichtlichen, textrezeptionsgeschichtlichen und übersetzungstechnischen Beobachtungen nicht widersprechen, können als mögliche Kandidaten für die Hypothesenbildung gelten" (385).

Zusammen mit dem wenig später erschienenen, aber stärker auf die sprachlichen und theologischen Aspekte des Themas abhebenden Werk von E. Zenger (Hrsg.), Der Septuaginta-Psalter. Sprachliche und theologische Aspekte (HBS 32), Freiburg-Basel-Wien 2001, gibt der vorliegende Band einen vorzüglichen Einblick in die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme des Septuaginta-Psalters. Es unterliegt m. E. keinem Zweifel, dass von den hier erreichten Ergebnissen wichtige Impulse für die weitere Forschung ausgehen werden.