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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

484 f

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Moran, William L.

Titel/Untertitel:

The Most Magic World. Essays on Babylonian and Biblical Literature.

Verlag:

Ed. by R. S. Hendel. Washington, DC: The Catholic Biblical Association of America 2002. X, 212 S. gr.8 = The Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 35. Kart. US$ 11,50. ISBN 0-915170-34-5.

Rezensent:

Karin Schöpflin

Mit diesem Band legt der Herausgeber eine Sammlung von 15 ausgewählten Beiträgen des im Jahr 2000 verstorbenen, zuletzt in Harvard tätigen Assyrologen vor. Unter den 15 Beiträgen aus der Zeit zwischen 1963 und 1995 sind zwei bisher unveröffentlichte Vorträge. Selbst wenn man M.s Thesen im Einzelnen nicht immer zustimmen wird, bildet dieser Sammelband in jedem Falle eine anregende Lektüre.

Die ersten vier Artikel befassen sich mit dem Gilgamesch-Epos. Neben einer kurzen Notiz über die von Rilke geplante, aber zum Bedauern M.s nicht ausgeführte deutsche Übersetzung treten drei längere Untersuchungen, die von verschiedenen Ansätzen her die These entfalten, dass das Gilgamesch-Epos einen antiken Humanismus dokumentiere und im Grunde als Weisheitserzählung gelesen werden müsse, eben weil es darin letztlich um Grundaussagen menschlicher Existenz gehe.

Ebenfalls vier Beiträge sind Atra-hasis gewidmet. M. hebt den Igigi-Mythos, den er für ursprünglich selbständig hält, von der eigentlichen Sintfluterzählung ab, klärt einzelne Textprobleme und macht Beobachtungen zu Struktur und Komposition der beiden Bestandteile. Inhaltlich interessiert M. die Frage, ob menschliche Schuld die Sintflut in diesem Text auslöse. Er kommt zu dem Schluss, dass Schuld keine Rolle spielt, dass die Sintflut vielmehr das Gleichgewicht innerhalb der Schöpfung herstelle (insofern liege hier ein kosmogonischer Mythos vor), indem sie das Problem der Überbevölkerung löst und die Götter danach dem Menschen Grenzen setzen: Unfruchtbarkeit, Kindersterblichkeit, religiöse Askese erhalten so eine ätiologische Erklärung. In dem erstmals publizierten Vortrag "A Mesopotamian Myth and Its Biblical Transformation" stellt M. die Motive des Mehrungssegens und der menschlichen Schuld in der biblischen Genesis im Unterschied zu der mesopotamischen Fassung des Sintflutmythos heraus. Ein Beitrag befasst sich schließlich mit der Menschenschöpfung in Atra-hasis I 192-248.

Für ARM I 5,11-13 schlägt M. eine neue Interpretation vor, da er hier ein auch in Europa verbreitetes Sprichwort entdeckt ("die [wegen der kurzen Tragzeit] eilende Hündin wirft blinde Welpen"). Im längsten Beitrag der Sammlung macht M. die 1969 neu publizierten 14 Keilschrifttexte zugänglich, die Aufschluss über Prophetie in Mari geben. Neben Wiedergabe in Umschrift, Übersetzung und Kommentar treten Bemerkungen zu Sprache und Stil. Dem tritt die ähnliche Behandlung eines altbabylonischen Orakels zur Seite.

Die letzten vier Untersuchungen widmen sich biblischen Texten. Es geht zunächst um intertextuelle Bezüge zwischen Dtn 2-3 und Ex 15 sowie um erzähltechnische Kunstgriffe in Jos 2, 1-8. Das Motiv der wechselseitigen Liebe zwischen Gott und seinem Volk im Deuteronomium führt M. nicht auf den Einfluss Hoseas zurück, sondern auf ein profanes Konzept aus der altorientalischen Umwelt: Dort wurde Liebe als Ausdruck der Loyalität des Untergebenen gegenüber dem König gefordert; das Motiv der wechselseitigen Liebe begegne aber auch im Zusammenhang von Vertragsverhältnissen, was laut M. bestens zum Bundesgedanken des Deuteronomiums passe, zumal die Fluchformulierungen einen weiteren Berührungspunkt zu altorientalischen Verträgen bildeten.

Der hier erstmals publizierte Vortrag "The Babylonian Job" will "mesopotamische Prolegomena" zum biblischen Hiob-Buch bieten. M. liest Ludlul bel nemeqi als eine Problematisierung der herkömmlichen Religion: Das Leiden des "mesopotamischen Jedermann" besteht in der Krise der persönlichen Religion; der Leidende lernt, Marduk (der nicht mit dem persönlichen Gott, der ihn verlassen hat, identisch ist) als souveränen Gott zu verehren. Dies entspreche der Tendenz im 2. Jahrtausend, Marduk eine einzigartige Stellung im Pantheon zu verleihen.