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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

479–481

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Braun, Joachim

Titel/Untertitel:

Music in Ancient Israel/Palestine. Archaeological, Written, and Comparative Sources.

Verlag:

Transl. by D. W. Stott. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2002. XXXVI, 368 S. m. zahlr. Abb. gr.8 = The Bible in its World. Geb. US$ 30,00. ISBN 0-8028-4477-4.

Rezensent:

Hans Seidel

Die vorliegende Publikation ist die revidierte und erweiterte Übersetzung von "Die Musikkultur Altisrael/Palästinas", Freiburg-Göttingen 1999. Die Grundlage bleibt unverändert: "Apart from the sparse written records, the only information we have is that provided by stone, bone, or metal unearthed by archaeologists" (XI). Der Vf. hat Schwierigkeiten mit Texten, wenn keine archäologischen Zeugnisse vorhanden sind (vgl. besonders Kap. IV.6). In der Einleitung (Kap. I) versucht der Vf. eine dem Buchtitel entsprechende geographische, chronologische und kulturelle Grenzziehung seines Titels "Altisrael/Palästina" (AIP). "Palästina" ist für ihn das Gebiet des heutigen Staates Israel (eingeschlossen die "besetzten" und unter palästinensischer Hoheit stehenden Gebiete!), ein kleiner Teil Jordaniens und in Einzelfällen Südsyrien und Libanon. Der Zeitrahmen spannt sich vom 10. Jh. v. Chr. bis zum 5. Jh. n. Chr. "Altisrael" im Buchtitel (AIP) wird irreführend auf den gesamten Zeitraum angewendet. Primäre Quelle für die Darstellung der Musikkultur sei "doubtless the archaeological-iconographic evidence". Trotz der negativen Aussagen über das Alte Testament im Vorwort wird der hebräische Text als die wichtigste, aber auch umstrittenste Quelle angesehen. Alle Übersetzungen - von der LXX bis zur Gegenwart - seien fast unbrauchbar. Dagegen wird der Kreis um die "written auxiliary sources" ohne Rücksicht auf den gesetzten Zeitrahmen um Mischna, Talmud, Apokryphen, Schriften der Kirchenväter und rabbinische Responsa (8.-14. Jh.!) erweitert. Die jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit sind dem Vf. anscheinend unbekannt. Der Abschnitt "Biblische Musikinstrumente" ist aus MGG 21994,1 unrevidiert übernommen und methodisch und inhaltlich veraltet.

Mit Kap. II beginnt die Zuordnung von Artefakten zu den archäologischen Perioden Palästinas. Die Abbildungen sind in den Text eingefügt. Aus der Steinzeit bietet die Natufische Kultur Schmuckketten aus Muscheln und Tierzähnen als Grabbeigaben, die als Tanzketten gedient haben sollen. Das Chalkolithikum ist mit zwei Beispielen vertreten: 1. Eine sitzende Frau mit einem Gegenstand unter dem Arm, den der Vf. entgegen der sonstigen Deutung als Sanduhrtrommel bezeichnet und dem Dumuzi-Kult zuordnet. 2. Eine Ritzzeichnung aus Megiddo zeigt eine Harfenspielerin. Diese Triangulärharfe soll der Ausgangspunkt einer Entwicklung in Richtung Kykladen, Anatolien und bis zum Kaukasus und Sibirien gewesen sein.

Die Funde der Bronzezeit (3200-1200 v. Chr.) Kap. III lassen ein komplexeres Bild der Musikkultur entstehen. Eine eigenständige kanaanäische Kultur wird anhand der Instrumentenbelege (Leier, Harfe, Rahmentrommel, Becken) herausgestellt. Mit Finkelstein/Naaman hält der Vf. die These von der "Landnahme" Altisraels für überholt und ordnet Altisrael in die kanaanäische Kultur ein. Daraus folgt für ihn, dass die Psalmen und der "Musiker David" den Höhepunkt einer Entwicklung darstellen, "what has been taught in the academies of Canaan since at least three centuries before his birth". Mit einer fundierten wissenschaftlichen Analyse haben solche Thesen wenig zu tun. Die Themen der Unterabschnitte lauten: "Dance with lyres and drums", "The Lute", "Egyptian - Canaanite Music - Gods and Musicians", "Music in the Symposium", "Clay Rattles: Mass Music - Mass Cults - Mass Culture", "The Priests' Bronze Cymbals" (zahlreiche Funde), "The Megiddo Flute".

Für die Eisenzeit (1200-587 v. Chr.) Kap. IV häufen sich die Funde (Trommlerinnen, Doppelrohrblattinstrumente, Leiern, Musiker und Tänzer, Tritonshörner), und es bieten sich Texte des Alten Testamentes und aus Ugarit zur Deutung an. Einen eigenen Abschnitt widmet der Vf. dem Zeitraum zwischen 587-333 v. Chr. (IV.6 The mystery of absence). Hier fehle archäologisches Material, so dass den vorhandenen Texten des Alten Testamentes (Esra/Nehemia) kein Realitätsgehalt zukomme. Hier hätten die Bücher der Chronik genannt werden müssen. "The mystery" ist aber nicht die genannte Diskrepanz, sondern die völlig verfehlte Auslegung der Texte, ihre zeitliche Ansetzung und literarische Schichtung.

Bei der hellenistisch-römischen Zeit (Kap. V) stehen Bronzeglöckchen und die Fresken in den Gräbern von Marescha im Mittelpunkt. Zwei Artefakte aus Petra (2. Jh. v. Chr.) und die safaitischen Steinzeichnungen aus dem Nordosten Jordaniens (1. Jh. v. Chr. bis 4. Jh. n. Chr.) werden zur "Nabatean-Safaitic Culture" zusammengefasst. Das einmalige "Instrumententrio" werde auch in Qumran (1QH XI,22 f.) zitiert. Leider verkennt der Vf. die poetische Struktur des Qumrantextes, der kein Trio, sondern ein Trikolon anzeigt. Fragmente von Blasinstrumenten wie Aulos, Mosaikbilder von Zurna-Spielern, Syrinx (Panpfeife), Orgeldarstellungen auf Öllämpchen zeichnen das Bild eines "Hellenistic cultural syncretism ... the golden age of music in ancient Israel/Palestine" (222). Es wird vervollständigt durch Terrakotten mit Laute, Winkelharfe, Leier und kleinen Becken (Kastagnetten?). Der Abschnitt über den Dionysos-Kult ist durch den Vergleich von Fußbodenmosaiken aus Skythopolis, Schech Zuwejid und Sepphoris interessant. Informationen über die Musik im Gebiet von Samaria liefern eine Münzabbildung des 4. Jh. v. Chr. und zahlreiche Abbildungen auf Öllämpchen. Mit diesen Belegen möchte der Vf. beweisen, dass die Religionsgruppe der Samaritaner Instrumente in ihrem Kult benutzt habe, was in der Forschung bestritten wird (zur Kritik vgl. Seidel, Leqach 1, 2001). Den Symbolcharakter von Instrumenten auf Münzen betont der folgende Abschnitt anhand der Caesarea-Paneas-Münzen (2./3. Jh. n. Chr.) und der Bar Kochba Münzen (132 ff. n. Chr.). Der letzte Abschnitt ist dem Schofar gewidmet, einem Naturhorn, das als militärisches und kultisches Signalinstrument häufig im Alten Testament erwähnt wird. Da es keinen archäologischen Beleg für den Schofar aus alttestamentlicher Zeit gibt, hätte der Vf. nach seinem eigenen Ansatz nicht auf die Texte bauen dürfen, sondern die Existenz des Instruments bestreiten müssen. Erst ab dem 3. Jh. n. Chr. gibt es Abbildungen in Mischna und Talmud. Die Abbildungen zeigen den Schofar nicht als Klanggerät, sondern "as a symbol ... it could symbolize Judaism in the larger sense" (303). Träger des Motivs sind Mosaiken in Synagogen, Grabsteine, Öllämpchen, Siegel usw., die bis in das 7. Jh. n. Chr. datiert werden können.

Den Gewinn des Buches bilden 216 Abbildungen, die in den Text eingefügt sind. Gegenüber der deutschen Ausgabe fielen etwa 25 Abbildungen fort. Neu sind z. B. die Trompetenzeichnung von Beth-Shean (92-93), Objekte aus Tel Miqne (178), der leierspielende David aus der Synagoge von Gaza (272). Im Literaturverzeichnis mit über 500 Titeln stehen 65 neuen Titeln rund 250 nicht übernommene Titel aus der deutschen Ausgabe gegenüber. Das Standardwerk von Piccirillo, The Mosaics of Jordan, 1993, fehlt.

Wer sich über den gegenwärtigen Stand der Musikarchäologie in der Levante informieren möchte, wird die Abbildungen dieses Buches mit Gewinn nutzen. Der erklärende Text muss dagegen kritisch gelesen werden. Phantasievolle Thesen z. B. zum "Schwirrholz" (54) oder zum Marzeach-Kult im "Phoenician, Punic, and Israelite-Judean milieu" (97) bieten dem Leser keine wissenschaftlich fundierte Information. Die unkritische Behandlung und Verwendung von Texten (nicht nur der biblischen, ebenso der jüdischen!) und das Auslassen ganzer Literaturbereiche (z. B. Ugarit, Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit) sind ein schwer verständlicher Mangel. Eine Diskussion mit der Fachliteratur findet leider kaum statt. Schade.