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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

459–462

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Malek, Roman [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Chinese Face of Jesus Christ. Vol. 1. Jointly published by Institut Monumenta Serica and China-Zentrum St. Augustin.

Verlag:

Nettetal: Steyler 2002. 391 S. m. Abb. gr.8 = Monumenta Serica Monograph Series, L/1. Geb. Euro 40,00. ISBN 3-8050-0477-X.

Rezensent:

Theodor Ahrens

Die Gestalt Jesu ist während der langen und wechselvollen Geschichte der chinesischen Christenheit von Missionaren ebenso unterschiedlich präsentiert worden, wie sie von Chinesen unterschiedlich rezipiert wurde. Das ist auch in der westlichen Welt beobachtet und diskutiert worden. Dem Herausgeber des hier zu besprechenden ersten Bandes eines auf fünf Bände angelegten Werkes geht es darum, einen interdisziplinär angelegten Überblick vorzulegen, der Beiträge aus chinesischer und nichtchinesischer Feder vereint und das Verständnis Jesu von Nazareth als einer historischen Figur und Jesu Christi als des christlichen Erlösers, seiner Botschaft, seiner Wirkung in der chinesischen Geschichte erhellt. Die Leitfragen des Herausgebers (22ff.) eröffnen ein breites Feld: Wie haben ausländische Missionare aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten die Jesusfigur in China präsentiert? Welchen Ort gewinnt Jesus Christus im chinesischen Denken von der nestorianischen Epoche im 7. Jh. über die franziskanische Intervention und das jesuitische Projekt bis hin zur Mission der kolonialen Epoche im 19. Jh. und zu den revolutionären Umbrüchen des 20 Jh.s in China? Wie lässt sich der Einfluss des Christentums auf die Entwicklung im modernen China einschätzen? (22 ff.) Weder der Westen noch China präsentierten ein uniformes Jesusverständnis. Umwälzungen in der chinesischen Kulturgeschichte waren daher ebenso zu berücksichtigen wie Brüche in der Geschichte des syrischen wie des lateinischen Christentums (25 ff.).

Der erste Band des Gesamtwerkes gliedert sich in vier Abschnitte: Roman Malek führt in die Gesprächslage ein und erläutert die Gesamtanlage des Werkes (19-61). Der Überblick über das Gesamtwerk (1-12) kündigt an, dass in den Bänden 1 bis 3 Texte vorgestellt werden, die sich mit Wahrnehmungen Jesu Christi von der Tang Dynastie (618-907) bis zur Gegenwart befassen. Bd. 4 wird eine kommentierte Bibliographie westlicher und chinesischer Äußerungen zur Christologie in China und einen Generalindex mit Glossar enthalten. Bd. 5 wird ikonographische Perspektiven auf das Gesamtthema diskutieren. Paul H. Welte wird Raum gewährt für eine skeptische Anmerkung zum herausgeberischen Anliegen. Er fragt, ob hier ein Unternehmen angesponnen wird von Christen, die es ablehnen würden, von einer polnischen oder deutschen Christologie zu sprechen (55-61). Benötigt Jesus ein sinologisches Facelift?

Dem ersten Hauptteil werden - im Sinne hermeneutischer Präliminarien - vier Arbeiten vorangestellt (65-155), deren gemeinsamer Nenner in der Frage liegt, ob bzw. inwiefern im daoistischen Verständnis des Dao ein evangeliumsgemäßes Äquivalent für den Logos des Evangeliums gesehen werden kann. Es folgt Teil 1 des Gesamtwerkes (159-257). Er enthält sechs Texte, die Gesichter und Bilder Jesu Christi von der Tang bis zur Yuan Zeit (618-1367) vorstellen und analysieren. Die annotierte Anthologie I (295-391) stellt die Materialgrundlage der voraufgehenden Analysen in Exzerpten vor. Es handelt sich um acht nestorianische und manichäische Texte des 6. bis 9. Jh.s, Belege für erste christologische Versuche im Kontext chinesischer Kultur. Die analysierenden Texte beleuchten die Anthologie wie umgekehrt.

Zu den Präliminaria: Livia Kohn arbeitet in ihrem Beitrag (Embodiment and Transcendence in Medieval Taoism, 65-86) strukturelle Analogien und inhaltliche Differenzen zwischen dem (westlichen) Christentum und daoistischen Vorstellungen zu Verkörperung und Transzendenz heraus. Im Daoismus werde die Welt und der menschliche Körper als eine Verkörperung des göttlichen Prinzips Dao gesehen. In dem Maße, in dem Welt verfällt, bedarf es einer Kultivierung des Körpers und dazu wiederum einer heilsamen Initiative des Dao, die sich im Lord Lao verkörpert. Abstieg und Aufstieg der Heilbringerfiguren im Christentum und im Daoismus weisen Ähnlichkeiten in der Struktur und in der Motivik auf. Gleichzeitig muss beachtet werden, dass das Dao ganz und gar nicht der christlichen Idee Gottes entspricht, denn das Dao ist körperlos, formlos, unberührbar, eine Kraft, die sich spontan ohne Willen und ohne Absicht bewegt. Auch die Beziehung zwischen dem Lord Lao und dem Dao als der tiefsten bewegenden Kraft des Universums und die Beziehung zwischen Gott und Jesus sind "not at all the same in the two systems" (86).

Joseph H. Wong (Tao - Logos - Jesus: Lao Tzu, Philo and John, 87- 125) beleuchtet drei Traditionen, vertreten durch Lao Tzu, Philo von Alexandrien und das Johannesevangelium. Sowohl der Tao als auch der Logos haben kosmologische und anagogische Funktionen. Philo sieht er stärker mit der kosmologischen Funktion des Logos, den johanneischen Prolog mehr mit der anagogischen Rolle des Logos befasst. Bei Lao Tzu hingegen seien die beiden Funktionen des Tao gleichgewichtig entwickelt. Die Vorstellung des Weisen als einer wahrhaftigen Verkörperung des Tao macht die johanneische Inkarnationsvorstellung "more accessible to Taoist thought" (124). In seinem Sich-völlig-auf-Gott-verlassen gibt Jesus ein perfektes Beispiel des Nichthandelns, Kennzeichen des taoistischen Weisen. Die Gemeinschaft Jesu mit dem Vater erinnert an die Erfahrung des taoistischen Weisen, eins mit dem Tao zu sein. Zwei wesentliche Differenzen: Jesu Einheit mit dem Vater wird als ein Archetyp und als Quelle für die Gemeinschaft der Jünger mit Jesus und mit Gott dargestellt. Im Taoismus hingegen kann der Weise ein Modell für andere sein, ohne dass es erforderlich wäre, eine Beziehung mit dem Weisen zu etablieren, um Einheit mit dem Tao zu gewinnen. Sodann wird Jesu Beziehung mit dem Vater als eine liebende und personale Beziehung dargestellt, während die Beziehung des Weisen zum Dao einer transpersonalen Leitvorstellung folgt.

J. D. M. Derrett (St. John's Jesus and the Buddha, 127-140) unterbreitet die These, der Verfasser des Kap. 6 des Johannesevangeliums habe in ein buddhistisch geprägtes Milieu sprechen wollen. Wie immer es um die religionsgeschichtliche Plausibilität, der Verfasser von Joh 6 habe Kenntnis buddhistischer Heilbringerfiguren gehabt, bestellt sein mag, Derrett zeigt im Hinblick auf das Motiv selbstloser Hingabe zu Gunsten anderer Möglichkeiten gegenseitiger Auslegung zweier unterschiedlicher religiöser Traditionen auf.

Jost O. Zetsche (Indigenizing the "Name above all Names": Chinese Transliterations of Jesus Christ, 141-155) beleuchtet das Problem der Wiedergabe biblischer Gottesnamen anhand chinesischer Bibelübersetzungen. Er zeigt, dass das Chinesische zwar nur begrenzte Möglichkeiten hat, phonetisch korrekte Transliterationen für Namen aus anderen Sprachen vorzunehmen, andererseits Spielräume bietet, durch Kombination von Schriftzeichen neben der Transliteration zusätzliche semantische Komponenten mit der Wiedergabe des Namens zu verbinden (142).

Zu den Beiträgen in Hauptteil I: Yves Raguin ("China's First Evangelization by the 7th and 8th Century Eastern-Syrian Monks. Some problems posed by the first Chinese expressions of the Christian traditions", 159- 179) informiert über die Wege, Hintergründe und literarische Hinterlassenschaften, die aus der Zeit des syrisch-nestorianischen Christentums zwischen dem 7. und 9. Jh. in China erhalten geblieben sind - insgesamt zehn Texte. Abgesehen von dem berühmten Steinmonument aus Xian stammen alle aus der Höhle von Dunhuang, Gansu Provinz, und wurden 1908 entdeckt. Obwohl das nestorianische Christentum in China anfangs willkommen war, waren die Bedingungen für eine Vermittlung christlicher Inhalte nicht besonders gut. Raguin stellt fest, dass die syrischen Mönche das Chinesische nur schlecht verstanden (161) und dass diejenigen, die ihnen beim Übersetzen behilflich waren, keine Kenntnis der christlichen Lehren hatten. Während die frühen Texte wohl mit Hilfe buddhistischer Mönche übersetzt wurden, dürften die späteren (ca. 780) unter Einfluss daoistischer Intellektueller zustande gekommen sein.

Steve Eskildsen, "Christology and Soteriology in the Chinese Nestorian Texts", 181-218) untersucht, in welchem Umfang die Nestorianer in ihrem Bemühen, das Christliche in daoistischen Begriffen zu präsentieren, zentrale christologische und soteriologische Lehren festhalten konnten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dies in den frühen Schriften der Fall war, in den späteren Texten (8. Jh.) hingegen daoistische Lehren die essentiellen christlichen Lehren überlagerten oder gar ersetzten, und macht dies fest an dem Umstand, dass in den späteren Schriften die Passionsgeschichte faktisch völlig ignoriert und der historische Jesus als ein Asket und erleuchteter Prediger gezeichnet wird, der für die einzuschlagenden Wege zum Heil dieselben Wahrheiten unterbreitete wie der Daoismus (188 ff.). Der Stolperstein: Für Daoismus und Buddhismus war die Vorstellung eines Gottes, der in die Hände der Uneinsichtigen fällt und darum stirbt, im Prinzip unakzeptabel (202).

Gunnar B. Mikkelsen und Hans-Joachim Klimkeit zufolge ist es den Manichäern in China besser gelungen, die Identität ihres religiösen Systems aufrechtzuerhalten. Mikkelsen ("Quickly guide me to the Peace of the Pure Land": Christology and Buddhist Terminology in the Chinese-Manichaean Hymns Scroll, 219-242) berichtet zunächst zur Entdeckungs- und Editionsgeschichte der manichäischen Handschriften aus Dunhuang und bespricht anschließend manichäische Hymnen des 8. und 9. Jh.s, wie sie im Anhang beispielsweise aufgeführt wurden (369 ff., zitiert nach der Ausgabe von Helwig Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 1987). Mikkelsen beobachtet, dass die Übersetzer bei der Transkription der Namen aus dem manichäischen Pantheon mit großer Genauigkeit verfuhren, während sie buddhistische religiöse Termini strategisch einsetzten, ohne dass dies Verfahren das Kernanliegen der manichäischen Missionen berührte (225.227). Die manichäischen Missionare wurden so in Stand gesetzt, ihre Botschaft unter Benutzung buddhistischer Terminologie attraktiv, verständlich und verdaulich zu präsentieren (231). Was die Gestalt Jesu angeht, erscheinen in der chinesischen Hymnenrolle drei der sechs in manichäischen Textkorpora unterscheidbaren Jesusfiguren, nämlich Jesus das Licht, Jesus der Richter und weniger explizit der leidende Jesus. Das Leben Jesu, seine Verfolgung, Kreuzigung und Auferstehung sind ein Vorbild und ein Symbol des Weges, den die Lichtseele der Menschen einschlägt (241). Dem entspricht das manichäische Verständnis der Eucharistie.

Hans-Joachim Klimkeit (Jesus Entry into Parinirvana, Manichaen Identity in Buddhist Central Asia, 243-257) diskutiert, ob der Manichäismus seine Identität als gnostische Religion erhalten konnte (255) anhand des homiletisch benutzten Erzählmaterials, in das auch buddhistische Materialien einflossen. Doch die Logik des manichäischen Religionssystems steuert den Adaptionsprozess. Grundbegriffe manichäischer Kosmologie und Mythologie blieben erhalten. Dazu gehörte, dass Jesus eine zentrale Rolle im Heilsprozess zugeschrieben wurde. Das Aufeinandertreffen von Christentum, Manichäismus und Buddhismus in Innerasien war keine nur äußerliche Begegnung, sondern lief auf eine Neuinterpretation westasiatischer Glaubensformen im Sinne östlicher, vor allem buddhistischer Begrifflichkeit und Symbolik hinaus. Freilich ist auch der Buddhismus von christlichen, manichäischen und islamischen Vorstellungen her geprägt worden.

Klimkeits Studie (Das Kreuzessymbol in der zentralasiatischen Religionsbegegnung. Zum Verhältnis von Christologie und Buddhologie in der zentralasiatischen Kunst, 259-284) liest sich wie ein Echo der besprochenen Arbeiten. Während das Kreuz in der lateinischen Tradition vor allem als Hinweis auf die Passion Jesu und seinen Tod verstanden wird, ist das nestorianische Kreuz Symbol für den erhöhten, triumphierenden, dem Tod überlegenen Christus. In der zentral- und ostasiatischen Religionsbegegnung gewinnt das Kreuz auf der Ebene der Volksreligion eine magische, apotropäische Bedeutung. Auf einer mehr reflektierten Ebene wird es zu einem kosmischen Symbol. In gnostischen Vorstellungs- und Denkzusammenhängen repräsentiert es in der Welt verstreute gequälte Lichtpartikel. Hier ergibt sich eine Verknüpfung mit der buddhistischen Leidenstheologie. Die Lehre vom Bodhisattva, der alle Leiden auf sich nimmt, entspricht dem gnostischen Bild des Lichtgesandten.

Der letzte Beitrag von Franz Xaver Peintinger ("In Nomine Domini. Ein christlicher Grabstein in Yangzhou [1344]"), gibt eine Darstellung des Weltenrichters und der Arma Christi und beleuchtet, dass die franziskanischen Missionare, freilich nicht nur sie, der Maßstäblichkeit Jesu Christi eingedenk, versuchten, treue Zeugen ihres Meisters in einer fremden und fernen Kultur zu sein.

Der buddho-daoistische Christus ging mit der Verfolgung 845 unter, und die Frage, ob eine Synthese zwischen chinesischer Religiosität und Christentum möglich war, blieb späteren Generationen zu beantworten vorbehalten. Christliche Identitäten im zentralasiatischen wie im westeuropäischen Raum änderten sich ebenso wie chinesische Befindlichkeiten - ohne dass mit dieser Beobachtung bestimmte Kontinuitäten in Abrede gestellt werden müssten -, auf christlicher Seite etwa die Zentralstellung des Juden Jesus und damit die Privilegierung des Alten Testamentes, die Bedeutung der Passionserzählung für das christliche Symbolsystem. Sind damit für Versuche einer theologischen Würdigung chinesischer Kulturen unüberwindbare Stolpersteine gesetzt? Von chinesischer Seite enthält die Vielzahl der Verkörperungen des Dao eine Anfrage an das Verständnis der Inkarnation als eines einmaligen und endgültigen christologischen Datums.

Die Frage, welches Gesicht und welches Verständnis die Jesusfigur in China gefunden hat, berührt grundlegende Fragen der Anthropologie, der Psychologie, der Linguistik, der Missionsgeschichte, der Theologie. Das interdisziplinär angelegte Gesamtwerk verspricht, den Gesprächsstand der Forschung in den beteiligten Disziplinen zu bündeln und Anregungen für weitergehende Diskussionen zu geben. Der Leser kann sich darauf freuen, dass die Außenseitersicht auf China in späteren Bänden ihr Gegengewicht in Beiträgen chinesischer Autoren findet.