Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2004

Spalte:

450 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schlemmer, Karl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ausverkauf unserer Gottesdienste? Ökumenische Überlegungen zur Gestalt von Liturgie und zu alternativer Pastoral.

Verlag:

Würzburg: Echter 2002. 183 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 50. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-429-02457-9.

Rezensent:

Irene Mildenberger

Nur ein geringer Prozentsatz der Kirchenmitglieder geht regelmäßig zum Gottesdienst. Daneben gibt es die Gruppe derer, die an Knotenpunkten ihres Lebens nach Kirche und Gottesdienst fragen. Um diese und darüber hinaus Menschen am Rande der Kirche zu erreichen, wurde in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Entwürfen für alternative Zielgruppen- und Event-Gottesdienste entwickelt.

Angesichts dieser Situation, die Karl Schlemmer in seiner Einführung benennt, fragte das 5. Passauer Symposion "Liturgie und Ökumene" im Jahr 2000 nach dem "Ausverkauf unserer Gottesdienste?" Nicht nur der Ort des Gottesdienstes in der gegenwärtigen Gesellschaft zwischen einem "liturgischen Rubriken-Fundamentalismus" und einem "Beliebigkeitspluralismus" (Schlemmer, 10), sondern zugleich übereinstimmende Überzeugungen im Gottesdienstverständnis der verschiedenen Konfessionen waren dabei Thema.

Wolfgang Ratzmann (Tradition und Kommunikation. Zum Profil des lutherischen Gottesdienstes nach dem neuen Evangelischen Gottesdienstbuch, 19-32) sieht das innovative Potential des Evangelischen Gottesdienstbuches in seiner kommunikativen Ausrichtung. Die geforderte Beteiligung aller und die notwendige Kommunikation unter den Menschen zielen dabei auf die Begegnung mit Gott.

Kurt Koch (Gottesdienst als Werk Gottes oder Werk der Gemeinde? Oder: Was feiern wir im Gottesdienst? Überlegungen zu einer notwendig gewordenen Unterscheidung der Geister in der Liturgie, 33-57) möchte unterscheiden zwischen der unbeliebigen Gestalt der sakramentalen Liturgie im eigentlichen Sinn mit ihrer "Transparenz für das Heilige" (47) und anderen vorrangig wortorientierten Feierformen, die bei der Lebenssituation der Menschen ihren Ausgang nehmen.

Michael Staikos (Liturgie als Quelle des Lebens, 72-81) stellt das orthodoxe Gottesdienstverständnis dar, das das ganze Leben der Gläubigen umfasst und in der Eucharistie sein Zentrum hat.

Karl-Heinrich Bieritz (Gottesdienste im Prozeß der [De-]Zivilisation, 82-108) befasst sich mit der Frage nach der Rolle des Körpers im Gottesdienst und betont angesichts der "Domestizierung" des Körpers im Hochkulturschema einerseits wie der ekstatischen Dimension einer als Beispiel dargestellten Techno-Messe andererseits, dass der "Körper Kirche" (106) von Anfang an ganzheitlich als Mahlgemeinschaft und Leib Christi bestimmt war.

Michael N. Ebertz (Gottesdienst als symbolische Interaktion. Plädoyer für eine Kasualisierung des Liturgischen, 109-125) erkennt in der Überschätzung der gemeinschaftsbildenden Kraft der modernen Pfarrgemeinde den Hauptgrund für die Erosion der Sonntagsgottesdienste. Er fordert eine Rehabilitierung der Kasualchristen und des religiösen und liturgischen Augenblicks. Neben einem Ausbau des Spektrums der Kasualien müsse auch im Sonntagsgottesdienst zumindest die Ansprache zielgruppenorientiert und damit kasualisiert werden.

Der Anglikaner George Guiver CR (Von der Mission zum Bund in der Liturgie, 58-71) sieht eine fruchtbare Reibung zwischen Leben und Liturgie, analog der Reibung zwischen Bogen und Saite, die Klang erzeugt. Diese "friction" dürfe nicht durch Vermischung aufgelöst werden. Gleichzeitig unterscheidet er zwischen missionarisch-stärkenden Gottesdienstformen und solchen, die eine feste Beziehung zwischen Gott und Mensch voraussetzen.

Eugen Biser (Das Christentum auf der Suche nach seiner Mitte. Auf der Schneide der Zeit - Durchbruch zum Gott der Liebe, 126-141) fragt grundsätzlich nach dem, was nicht ausverkauft werden dürfe, vielmehr auch heute für alle Menschen von Bedeutung sei.

Johanna Haberer (Wenn die Oper in die Kirche kommt - Operngottesdienste, 142-153) stellt ein besonders exponiertes Gottesdienstprojekt zur Diskussion.

Karl Schlemmer betont in seinem auswertenden Beitrag (Menschen von morgen für den Glauben gewinnen. Innovative und alternative Seelsorge und Feierformen, 154-179) noch einmal die Notwendigkeit neuer gottesdienstlicher Formen, wie sie in unterschiedlicher Form und Benennung auch bei anderen Autoren des Bandes (vor allem Koch, Ebertz und Guiver) gefordert wurde. Er unterscheidet hierbei zwischen (prä-)katechumenalen Feierformen und der Feier der kirchlichen Sakramente.

Insgesamt ist dieser Band gerade auch in seiner ökumenischen Weite ein lesenswerter Beitrag zu einem brennenden Thema von Kirche und Theologie.