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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

447–450

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas

Titel/Untertitel:

Zeichen und Spiel. Semiotische und spieltheoretische Rekonstruktion der Pastoraltheologie.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2003. 505 S. 8 = Praktische Theologie und Kultur, 11. Kart. Euro 39,95. ISBN 3-579-03490-1.

Rezensent:

Thomas Erne

Integrale Theorien zweiter Ordnung für die breit aufgefächerte Praktische Theologie verlangen ein hohes Maß an Abstraktion, verbunden mit großer deskriptiver Genauigkeit. So fokussiert Wilhelm Gräb die vielfältigen Phänomene religiöser Praxis im Problem der Selbstbegründung von Subjektivität und deutet die religiöse Dimension der modernen Kultur vor dem Hintergrund einer subjekttheoretisch gefassten Rechtfertigungslehre. Dagegen setzt Wolfgang Steck bei der sozialphänomenologischen Genese der modernen Religionskultur an. Auch Steck sieht in der Rechtfertigungslehre das Integral religiöser Pluralität, und zwar, weil die Rechtfertigungslehre durchgängig das christliche Wirklichkeitsverständnis prägt und deshalb die gegenwärtige Religionskultur aus sich selbst heraus verständlich machen kann. Als Dritter im Bund entwirft der neue Ordinarius für Praktische Theologie in Rostock Thomas Klie eine umfassende Theorie der religiösen und kirchlichen Praxis, und zwar als eine pragmatische Theorie von Zeichenspielen.

K.s Habilitationsschrift "Zeichen und Spiel" gibt sich im Untertitel bescheiden als semiotische und spieltheoretische Rekonstruktion der Pastoraltheologie, aber diese Zurückhaltung betrifft nicht die Reichweite der Theorieanlage. Nach innen geht es ihm darum, die auseinander driftenden Teildisziplinen der Praktischen Theologie in einen konsistenten Theorierahmen zu integrieren (vgl. 16), nach außen soll die semiotisch-spieltheoretische Rahmung der kirchlichen Praxis den religiösen Zeichengebrauch anschlussfähig machen für Zeichenprozesse in der modernen Kultur (vgl. 14). Theoretisches Herzstück für die Verbindung von Zeichen und Spiel ist die Zeichentheorie Ecos (vgl. Kap. 3).

K. positioniert Eco zwischen Derrida und Peirce. Eco ist einerseits Peirce in seiner pragmatischen Lesart der Wahrheit als Anerkennung von Zeichenroutinen verpflichtet, ohne allerdings dessen Konvergenzthese zu folgen. Ecos "Vereinbarungsrealismus" lässt Pragmatik und Semantik in eins fallen und widerspricht daher der idealistischen Annahme Peirces, dass Natur und Kultur, physische Wirklichkeit und kulturelle Semiose in the long run in der "regulativen Idee des so genannten finalen Interpretanten" (218) konvergieren. Andererseits wendet sich Eco gegen Derrida und dessen radikale Dekonstruktion jeglicher realistischer Fundierung der Zeichen mit dem Hinweis auf "Resistenzen des Seins" (221). Dieser Rest-Realismus in Ecos Zeichentheorie verweist auf etwas, das dem Zeichengebrauch vorgegeben ist, ohne sagen zu können, worin dieses etwas besteht. Es ist nur als Widerstand, an dem sich die Signifikationsreihen brechen, semiotisch bedeutungsvoll (vgl. 225). Reales kann bei Eco aber immerhin "als allen Semiosen vorgegeben gedacht werden" (ebd.), ohne von diesen Semiosen vollständig getrennt zu sein. Insofern kann K. im Rahmen von Ecos Semiotik Gott als "nicht naive Wirklichkeitsunterstellung" (ebd., Dalferth zitierend) jenseits aller Zeichen denken, die jeder religiösen Semiose vorgegeben ist und doch auf diese bezogen bleibt, insofern nur im Horizont bestimmter Zeichenprozesse von Gott die Rede sein kann. K. will Dogmatik und Pragmatik verschränken, ohne das extra nos des Glaubens zu gefährden, aber auch ohne darauf zu verzichten, die "semantischen, syntaktischen und pragmatischen Wirkungen und Wahrnehmungen des in jeder Gegenwart gegenwärtigen Gottes" (226) zu beschreiben. Für diese Verschränkung ist in K.s Sicht die Zeichentheorie Ecos eine Idealbesetzung, gerade auf Grund ihrer Abstinenz in Fragen der Wahrheit (vgl. 14.169) und Wirklichkeit (vgl. 192.226) der von ihr beschriebenen Zeichenprozesse. Denn Ecos theoretische Bescheidenheit schließt realistische Annahmen nicht völlig aus, ohne sie jedoch semiotisch zu vereinnahmen. Zumal der dreistellige Zeichenbegriff, den Eco mit Peirce gemeinsam hat, die Differenz zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit der Zeichen von Gott in jede Gottes-Signifikation einschreibt. Auch die für K.s Projekt zentrale Verbindung von Zeichen und Spiel entwickelt K. aus Ecos Semiotik.

Eco entwirft seine Zeichentheorie als eine Lese- und Rezeptionstheorie, in der Texte wie Spielfelder fungieren, auf der sich unabschließbare, aber nicht beliebig offene Zeichenprozesse entlang der Dialektik von Ordnung und Invention entwickeln. Das angemessene Lesen eines Textes folgt deshalb bei Eco dem Modell des Theaters, und zwar als Rollenspiele von Autor und Leser. Einen Text zu entziffern, bedeutet auf dem Spielfeld, das der Text begrenzt, eine Leser-Rolle zu übernehmen, sich dann in die Ordnung der Regeln, die der Text vorgibt, einzufügen, um schließlich mit diesen Regeln zu spielen (vgl. 228 f.). Lesen umschreibt ein Spiel mit Rollen, bei dem sich der Leser dem "Erlebnis der Selbstveränderung" (229) stellt. Dieses zentrale dritte Kapitel erschließt das vorhergehende wie das nachfolgende Kapitel. Der semiotischen Grundlegung voraus liegt die Rekonstruktion des Spielbegriffs im zweiten Kapitel.

Die Rezeption des Spiels in der Praktischen Theologie zeigt, was bereits geleistet wurde (2.1). Die Elemente, die für einen gehaltvollen praktisch-theologischen Spielbegriff fehlen, arbeitet K. im Durchgang durch die außertheologischen Spieldebatten heraus (2.2). Semiotisch anschließbar ist die Auffassung von Spiel als höhere, nicht mindere Form des Ernstes (Huizinga), die Betonung des artifiziellen Charakters des darstellenden Spiels (Craig) und die Formalisierung und Operationalisierung des Spiels (Piaget). Die Skizze einer praktisch-theologisch relevanten pragmatischen Spieltheorie (Kap 2.3) leitet zur semiotischen Perspektive im dritten Kapitel über. Im vierten Kapitel "Kirchliche Praxis und ihre Spielräume" zeigt K., was mit einer semiotisch-spieltheoretischen Perspektive auf die kirchliche Praxis zu gewinnen ist. Für jemanden, der es in der pastoralen Praxis mit der Kommunikation des Evangeliums in der Liturgie, Predigt, Seelsorge und Religionsunterricht zu tun hat, bietet K.s Lesart einen erheblichen Zugewinn an Genauigkeit in der Wahrnehmung. Die äußerst differenzierte Analyse der Parameter, die in den pastoralen Praxisfeldern im Spiel sind, gehört in der Verbindung von kategorialer Klarheit und dichter Beschreibung zu den Höhepunkten des Buches.

Sofern es überhaupt einen Mangel in dieser sorgfältig gearbeiteten, begrifflich klaren und materialreichen Studie gibt, liegt er am ehesten darin, dass die grundlegenden Passagen zur Verschränkung von prinzipiellen und pragmatischen Gesichtspunkten (vgl. 12.168 f.176 f.224 ff.) über das ganze Buch verstreut sind. Diese Ausführungen hätten in dem klaren Theorieaufbau einen eigenen Abschnitt verdient. Vermutlich entstehen deshalb im Blick auf die Verschränkung von prinzipiellen und pragmatischen Momenten in K.s Zeichenspielen die meisten Fragen. Man kann sich nämlich nicht des Eindrucks erwehren, es handele sich bei Gott um eine transzendente Realität jenseits der Zeichen. "Gott ... ist Vorzeichen vor der Klammer, in der die Phänomene und Zeichen als Phänomene und Zeichen thematisch werden." (168) Aber wie kommt es unter dieser Bedingung zu einer wirklichen Verschränkung von prinzipiellen und pragmatischen Gesichtspunkten? Eine zeichentranszendente Realität Gottes wahrt zwar das extra nos des Glaubens. Referentielle Kurzschlüsse sind ausgeschlossen. Gott geht nicht auf "in einer religiös motivierten Semiose" und wird damit "Gegenstands-los" (225), aber um den Preis, nicht in nobis zu wirken außer als nicht näher bezeichenbare Resistenz. Alternativ könnte an dieser Stelle das extra nos des Glaubens, das K. zu Recht wahren möchte, nicht im Jenseits der Zeichen liegen, sondern in einem unerschöpflichen Sinnüberschuss, der sich an jedem Zeichen auftun kann. Die Frage nach einer zureichenden Vermittlung von prinzipiellen und pragmatischen Gesichtspunkten stellt sich auch am Ort des Zeichens selbst. Der dreistellige Zeichenbegriff kommt sicher dem theologischen Interesse entgegen, in jedem Zeichen von Gott zugleich die Differenz von Zeichen und Gott selbst zu artikulieren, aber diese Differenz ist bei Eco nicht spezifisch religiös. Der religiöse Zeichengebrauch wäre vom Zeichengebrauch in anderen Symbolwelten nicht unterschieden, außer dass im Horizont christlicher Deutungskonventionen die Differenz von res und signa pneumatologisch oder eschatologisch interpretiert wird. Aber stellt sich nicht im Horizont des christlichen Glaubens das allgemeine Problem des Zeichens noch einmal auf eine spezifische Weise, die eigentümlich mit dem Gegenstand des Glaubens verknüpft ist? Und schließlich: Lassen sich die angeschnittenen Fragen nach einer Verschränkung von prinzipiellen und pragmatischen Gesichtspunkten, die der kirchlichen Praxis nicht äußerlich bleibt, auf dem Hintergrund der von K. favorisierten Zeichentheorie Ecos überhaupt befriedigend lösen? Das sind Anfragen innerhalb einer großen Zustimmung zu K.s Generalthese, dass Spiel und Zeichen eine grundlegende Perspektive auf die kirchliche und religiöse Praxis darstellen. In dieser Perspektive haben nicht nur die Phantasie und Imagination, sondern auch der Raum, die Leiblichkeit, die Inszenierung und professionelle Rollenkompetenz ihren theoretisch exakt bestimmbaren Stellenwert. Gleichwohl ist dieses Buch nicht nur für die professionelle Selbstreflexion sehr zu empfehlen.