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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

446 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Josuttis, Manfred

Titel/Untertitel:

Religion als Handwerk. Zur Handlungslogik spiritueller Methoden.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 264 S. 8. Kart. Euro 29,95. ISBN 3-579-05388-4.

Rezensent:

Reiner Preul

Seit gut anderthalb Jahrzehnten hat Manfred Josuttis nach eigener Auskunft (Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrsg. von G. Lämmlin u. S. Scholpp, 2001, 26 f.) seinen Kurs praktisch-theologischer Theoriebildung korrigiert: Phänomenologie (der Religion) und Verhaltenswissenschaft sollen den Blick auf die religiöse Praxis, auf Spiritualität und religiöses Erleben erweitern und vertiefen und damit gewisse Engführungen, die einer der Theologie des Wortes Gottes verpflichteten Praktischen Theologie vielleicht nicht notwendig, aber faktisch eigen sind, überwinden. Dieser Zielsetzung ist zuzustimmen, denn es wäre in der Tat ein Missverständnis der "Kirche des Wortes", wenn man nicht sähe und, auch durch praktische Konsequenzen, zu würdigen wüsste, dass diese Kirche keineswegs auf das Medium des Wortes beschränkt ist. Auf seiner neuen Linie, die vor allem das Phänomenologieverständnis von Hermann Schmitz aufnimmt, hat J. in einer Reihe von Veröffentlichungen den Gottesdienst, die Qualität und Kompetenz des minister verbi und die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen neu bestimmt. Man kann das vorliegende Buch nur als das derzeit letzte in dieser Reihe würdigen. "Religion als Handwerk" - hier geht es um das, was diejenigen, die in besonderer Weise im Dienst des "Heiligen" stehen, auf professionelle Weise beherrschen müssten, was sie aber im Studium nach Meinung des Autors nicht lernen, allerdings, wie trotz aller herben Kritik schließlich konzediert wird (47), auch dort gar nicht lernen können: das "methodische Repertoire permanenter Frömmigkeitspraxis" (46). Dazu muss - das ist der Gegenstand des Buches - deren "Handlungslogik" reflektiert werden.

J. erörtert nach dreiteiligem Aufriss zunächst die Problematik religiöser Methoden" allgemein, um dann die Methodik "religiöser Handlungen" (Fasten, Beten, Weihen, Opfern, Segnen, Heilen) und schließlich die "religiöser Wahrnehmungen" (Hören, Träumen, Sehen) zu analysieren.

Spirituelle Methoden, definiert J., unterscheiden sich dadurch von allen anderen sozialen Aktivitäten, dass "sie auf göttlichem Einfluss beruhen und auf göttliche Beeinflussung zielen" (15). "Spiritualität" beinhaltet nicht nur Reflexion und Interpretation, sondern "eine leibliche Praxis, die sich der Einwohnung des Heiligen aussetzt. Diese Inkorporation kann ... räumlich, zeitlich, personal, also an heiligen Orten, in heiligen Ritualen, durch geheiligte Personen erfolgen." (233) Spirituelle Praktiken sind nicht Ausdruck von persönlicher Frömmigkeit, sie werden vollzogen, weil die Menschen "fromm werden wollen" (18). Sie zwingen das Göttliche zwar nicht herbei, aber sie schaffen eine Atmosphäre und Bedingungen, "unter denen sich Göttliches einzustellen bereit ist" (81), z. B. visionäre Erfahrungen gemacht werden können (252). Damit sind die Perspektive des Buches, sein eigentümliches religiöses Wirklichkeitsverständnis und auch seine aus den Einzeluntersuchungen zu den Formen religiösen Handelns und Wahrnehmens sich ergebende Quintessenz zusammenfassend charakterisiert.

Die Einzelbeschreibung im zweiten und dritten Teil erfolgt in der dem Leser aus früheren Veröffentlichungen schon bekannten Terminologie: von "Austauschprozessen" ist die Rede in Analogie zum indianischen Potlatsch (150), von "Flussgeschehen, das den Leib Christi durchzieht" (161), von "energetischen Strömen" und "Kraftgewinnen", von "Telefonie mit dem Göttlichen" durch den Namen Jesu (116); die "göttliche Segenskraft" wird bei der Krankensalbung nicht nur "sprachlich evoziert", sondern auch "leiblich einmassiert" (191). Der Leser, der sich zunächst fragt, ob hier in Gleichnissen geredet wird, erhält die - gewiss weiterer Erklärung bedürftige - Auskunft, dass die Grenze zur metaphorischen Redeweise nicht eindeutig festlegbar sei (166 f.), wie auch "magische Handlung und theologische Reflexion" keinen "wirklichen Widerspruch in der Sache bilden" (165). Das phänomenologische Verfahren hält sich an die Selbstaussagen derer, die religiöse Riten und spirituelle Praxis vollziehen (251), und traut ihnen mehr Realitätshaltigkeit in sacris zu, als modernes Denken wahrhaben wolle.

Der Reiz und Gewinn des Buches liegt in der Fülle des religionsgeschichtlichen, darunter auch des biblischen Materials, das J. für die Darstellung der spirituellen Methoden heranzieht, sowie in den vielfältigen Anknüpfungsversuchen an Religionsphänomenologie - etwa van der Leeuws - und humanwissenschaftliche (psychologische, soziologische und medizinische) Theorien und Modelle, wobei diese aber an der Fülle dessen, was der phänomenologische Zugang an Gegenwart und Wirksamkeit des Heiligen glaubt erfassen zu können, sich messen lassen müssen. So wird z. B. die Freudsche Traumdeutung verworfen, weil sie Träume nur als innerpsychische Prozesse ohne reale Einflussmöglichkeiten transzendenter Art gelten lässt.

Von kritischen Einzelbemerkungen (etwa zur Rehabilitation von "Weihe" und "Opfer" oder zum Gedanken einer "Beeinflussung" Gottes) abgesehen ist zu fragen, ob die Gradwanderung zwischen Festhaltenwollen am reformatorischen Glaubensverständnis und Öffnung gegenüber allen Arten von Spi- ritualität gelingt. Damit, dass der Autor gelegentlich vorführt, dass die Reformatoren weniger puristisch eingestellt waren als ein von der Aufklärung beeinflusster Protestantismus, ist das Problem noch nicht gelöst. Hier muss auf der Linie der Reformation in Erinnerung gerufen werden, dass alle Formen von praxis pietatis im engeren Sinne ihren Auslegungsmaßstab und ihr Kriterium in dem Verständnis dieses Begriffs im weiteren und grundlegenden Sinne finden: praxis pietatis als der gesamte, einem am Evangelium orientierten Ethos gehorchende Lebensvollzug des Christen (wie in Röm 12-15 als "logike latreia" entfaltet).

Wer sich ein fundiertes Urteil über den Ansatz des Autors bilden will, muss sich mit diesem Buch auseinander setzen, denn es bringt - übrigens in nicht mehr rhetorischer, sondern streng wissenschaftlicher Darstellungsweise - so ziemlich alles an Argumenten, was sich zu Gunsten dieser Position anführen ließe. Der Rez. empfiehlt eine selektive Rezeption nach Kriterien, die über J. hinaus zu formulieren wären.