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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

439–441

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gössmann , v. E. H., Kuhlmann , E. Moltmann-Wendel , I. Praetorius , L. Schottroff , H. Schüngel-Straumann , D. Strahm und A. Wuckelt

Titel/Untertitel:

Wörterbuch der Feministischen Theologie. Redaktion: B. Wehn. 2., vollständig überarb. u. grundlegend erw. Auflage.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2002. X, 628 S. m. 8 Porträts. gr.8. Geb. Euro 69,00. ISBN 3-579-00285-8.

Rezensent:

Dorothee Schlenke

Feministische Theologie versteht sich gegenwärtig weder als primär geschlechtsgebundene "Theologie der Frau" (148) noch als auf weibliche Lebenszusammenhänge begrenzte, ergänzende "theologische Frauenforschung" (219), sondern als eine an der sozialen Strukturkategorie des Geschlechts (gender) orientierte, "die Theologie als ganze hinterfragende Feministische Theologie" (ebd.). Dieser Anspruch eines Paradigmenwechsels rechtfertigt in sich bereits die Existenz eines "Wörterbuchs der Feministischen Theologie", das in grundlegender Überarbeitung der 1. Aufl. von 1991 jetzt die Ergebnisse einer Dekade intensiver feministisch-theologischer Forschung vorlegt.

In der neu vorgenommenen Trennung der Artikel Feminismus und Feministische Theologie, welche in der 1. Aufl. noch zusammen mit dem Stichwort "Frauenbewegung" abgehandelt wurden, spiegelt sich bereits das modifizierte Selbstbewusstsein der nunmehr dritten Generation feministischer Theologinnen wider: Als prägendes Dilemma des neuzeitlichen Feminismus (sog. "Wollstonecraft-Dilemma", 137) wird die Spannung zwischen feministischer Kritik und intendierter Veränderung traditioneller Weiblichkeit und Geschlechterhierarchie einerseits und dem hermeneutischen Ausgangspunkt bei spezifisch weiblichen Lebenserfahrungen zugleich auch als Bezugspunkt emanzipatorischer Bestrebungen andererseits benannt. Aus dem "doppelten methodischen Blickwinkel" (220) dieser zu vermittelnden "Gleichheit" und "Differenz" habe sich die innere Umorientierung der Feministischen Theologie zur theologischen Gender-Forschung in eins mit einer folgenreichen Erweiterung ihres Themenbestandes zu vollziehen. Dass dieser gender turn bisher weder methodologisch noch inhaltlich in vollständiger Konsequenz umgesetzt wurde, wird im Art. Gender selbstkritisch vermerkt (vgl. 219). Vorhandene Gendersensitivität zeigt sich nicht nur in der konkreten Entfaltung einzelner Themen dieses "Wörterbuchs" (vgl. exemplarisch Anthropologie, Gottebenbildlichkeit), sondern auch in der Aufnahme neuer Stichworte wie z. B. Mädchen/Junge, Vater u. a. Nicht selten dominiert allerdings noch die hermeneutische Engführung auf die rein weibliche Perspektive (vgl. z. B. Frieden/Feministischer Pazifismus, Märtyrerin, Diakonin/Diakonisse u. a.).

Ihre eigene Dynamik erhält diese mit dem gender turn eröffnete thematische Vielfalt Feministischer Theologie auch durch die Struktur der feministisch-theologischen Debatte als "Inter-Diskurs" (150) d. i. als Diskurs, der interdiszplinär, interreligiös, interkonfessionell, interkulturell, international und interkontinental bestimmt ist (vgl. ebd.). Konkret wird diese "Inter"-Dimensionalität in der je kontextuell bestimmten Aneignung theologischer Themen und Inhalte, welche auf den nahezu klassisch gewordenen, erkenntnisleitenden Prinzipien feministischer Theoriebildung wie Beziehung (62 ff.), Erfahrung (102 ff.), Patriarchat(skritik, 440 ff.) und einem pragmatistischen Wahrheitsverständnis (vgl. 318 sowie Parteilichkeit, 439 ff. und Affidamento, 8 f.) beruht. Feministische Theologie artikuliert sich so als eine offene, vieldimensionale Suchbewegung, weshalb auch dieses "Wörterbuch" erklärtermaßen nicht "als Station auf einem Weg ... in eine geschlossene Dogmatik" (Vorwort, IX) verstanden werden will. Diese programmatische Pluralität feministisch-theologischen Arbeitens spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Heterogenität der behandelten Themen wider: So finden sich klassisch weibliche Themen wie Blut/Menstruation, Geburt/Natalität, Haushalt, Mutter/Mütterlichkeit, Prostitution, Schwesterlichkeit, Weiblichkeit neben unterschiedlichsten Stichworten aus zeitgenössischen Diskussionslagen wie z. B. Bioethik, Inkulturation, Lebensformen (in der 1. Aufl. noch Ehe), Ökofeminismus, Postmoderne u. a.

Insofern mit der fortschreitenden Akademisierung der Feministischen Theologie auch eine verstärkte Reflexion ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlagen einherging, werden in der vorliegenden Neuauflage auch zunehmend zentrale erkenntnisleitende Kategorien (Androzentrismus, Beziehung, Differenz, Erfahrung, Erkenntnis, Ganzheit, Gefühl, Gegenseitigkeit, Gender, Kommunikation) ebenso wie methodische Zugänge (Biografie/Biografieforschung, Hermeneutik, Sprache/Sprachveränderung) erneut bzw. neu abgehandelt. Auch die weitergehende enzyklopädische Differenzierung der Feministischen Theologie verdankt sich dieser Entwicklung. So ist erstmals ein Artikel zur Feministischen Religionspädagogik vertreten (138 ff.) ebenso wie zur Soziallehre/Sozialethik (509 ff.), hier mit dem erklärten Ziel, die klassische Entgegensetzung von frauenbezogener, gleichsam privater Individualethik (Familie, Sexualität etc.) und männlicher, öffentlichkeitsbezogener Sozialethik (Recht, Politik, Wirtschaft etc.) produktiv zu überwinden. Im Rahmen feministischer Re-lektüre des Neuen Testaments ist ein Artikel über Paulus hinzugekommen; auch etliche dogmatische Zentralthemen wurden neu aufgenommen, wie z. B. Abendmahl/Eucharistie, Gebet, Glauben/Bekennen, (Heil/)Rechtfertigung, Sakrament/Sakramentalität, Segen.

Während insbesondere am neu bearbeiteten Artikel Trinität (564 ff.) die Interessen und Chancen feministischer Kritik und konstruktiver Re-interpretation im Kontext klassischer dogmatischer Bestimmungen erhellend zu Tage treten, leiden nicht wenige andere Artikel an einer hermeneutischen Engführung der dogmatischen Tradition auf maßgebliche, vor allem weibliche Kontextualität, verbunden mit provozierenden systematisch-theologischen Schlussfolgerungen: So folge etwa aus der geschlechtsspezifisch und lebensgeschichtlich bedingten Ausprägung des Glaubens, dass es "kein für beide Geschlechter und alle Lebenssituationen gleich lautendes Bekenntnis geben [kann]" (239). Ähnlich gelte für eine feministische Christologie: "Prüfstein für die Wahrheit christologischer Aussagen ist eine befreiende Praxis; sie müssen sich in einer Praxis der Gerechtigkeit und des Wohlergehens aller bewahrheiten" (311). Damit verbindet sich folglich die jeden christologischen Exklusivitätsanspruch relativierende Überzeugung, "dass das Christusgeschehen sich in kontextuellen Christaphanien re-lokalisiert" (ebd.). Es erstaunt zudem, dass zentrale fundamentaltheologische Themen wie z. B. der Offenbarungsbegriff auf ebenso knappem Raum abgehandelt werden wie etwa die Stichworte Schamanin oder Hexen (jeweils 2-3 Seiten).

Die Lektüre insbesondere auch der systematisch-theologisch ausgerichteten Artikel wird durch fehlende Vereinheitlichung der Gliederung und z. T. mangelnde Abstimmung der Unterabschnitte zusätzlich erschwert. Manche Stichwort-Differenzierungen wirken zudem unübersichtlich, so hätte man z. B. die Einzelartikel Biblische Frauengeschichte, Frauen im nachbiblischen Judentum und Frauen in Weltreligionen zusammenfassend unter dem Stichwort "Frau" mit entsprechender Untergliederung abhandeln können. Auch die Trennung von Hermeneutik (Feministisch-theologisch, Interkulturell, Historisch,) und Bibel. Hermeneutik überzeugt weder systematisch noch unter dem Gesichtspunkt sachlicher Ausgewogenheit. An vielen Stellen wären Querverweise wünschenswert gewesen; das sehr ausführlich angelegte Stellen-, Sach- und Personenregister bietet dafür nur unzureichenden Ersatz.

Dennoch: Unbeschadet aller Kritik im Einzelnen stellt das hier in 2. Aufl. vorgelegte "Wörterbuch Feministischer Theologie" eine unverzichtbare Grundlage allen feministisch-theologischen Arbeitens dar und im Sinne des mit dem gender turn anvisierten Paradigmenwechsels auch darüber hinausgehender Diskurse.