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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

433–435

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Stenmark, Mikael

Titel/Untertitel:

Scientism. Science, Ethics and Religion.

Verlag:

Aldershot-Burlington-Singapore-Sydney: Ashgate 2001. XII, 152 S. gr.8 = Ashgate Science and Religion Series. Kart. £ 16,99. ISBN 0-7546-0446-2.

Rezensent:

Markus Huppenbauer

In den 80er und 90er Jahren des 20. Jh.s haben Naturwissenschaftler wie Edward Wilson, Richard Dawkins, Carl Sagan, Francis Crick und andere Thesen zur Funktion und Reichweite der Naturwissenschaften verbreitet, die auch in einer breiten Öffentlichkeit viel Beachtung fanden. Behauptet wurde hier von teilweise sehr renommierten Autoren, dass Fragen der Erkenntnis, der Ethik und der Religion durch neue, insbesondere biologische Theorien nach Jahrhunderten des nutzlosen Streites einer definitiven Lösung zugeführt werden könnten. Es war klar, dass hier Naturwissenschaftler versuchten, spezifisch naturwissenschaftliche Methoden und damit den Anwendungsbereich ihrer Wissenschaft auf andere Bereiche menschlichen Denkens und Lebens auszudehnen. Der Vf. spricht bezüglich dieses Expansionismus und Reduktionismus von Szientismus ("scientism").

Der Vf. - Professor für Religionsphilosophie an der Universität Uppsala - unterzieht Ausführung, Anspruch und Geltung insbesondere entsprechender evolutions- und soziobiologischer Thesen einer glasklaren Analyse und Kritik. Er verzichtet dabei - ich halte das aus methodischen Gründen für sehr berechtigt - mit Ausnahme der Thesen zu einem nicht-darwinistischen Verständnis von Ethik (41 ff.) und Religion (84 ff.) auf das Entwickeln eigener, inhaltlich bestimmter religionsphilosophischer und theologischer Thesen.

Nach einer Einführung in verschiedene Typen des Szientismus diskutiert der Vf. insbesondere vier davon: 1. den epistemischen Szientismus mit der These, dass die einzig wahre Form der Erkenntnis naturwissenschaftlicher Art sei; 2. den ontologischen Szientismus mit der These, dass nur die Dinge existieren, welche durch die Naturwissenschaften (zumindest prinzipiell) erkennbar sind; 3. den axiologischen Szientismus mit der These, dass nur die Naturwissenschaften unsere moralischen Fragen beantworten und damit traditionelle Ethik entlarven und ersetzen können; 4.den existenziellen Szientismus mit der These, dass nur die Naturwissenschaften unsere existenziellen Fragen nach Sinn und Bedeutung des Lebens beantworten und damit traditionelle Religion entlarven und ersetzen können. Schon damit wird deutlich, dass der Vf. nur bestimmte extreme Formen des naturwissenschaftlichen Wahrheitsanspruches und Reduktionismus thematisiert. Von diesen nimmt er allerdings an, dass sie in der Öffentlichkeit einen großen Einfluss haben (x).

Epistemischer und ontologischer Szientismus sind Thema des 2. Kapitels (18-33), der axiologische Szientismus ist Thema des 3. (34-52) und 4. Kapitels (53-77), der existenzielle Szientismus ist Thema des 5. (78-90) und 6. Kapitels (91-132). Ein 7. Kapitel (133-142) mit präzisen Zusammenfassungen schließt den Band ab. Der axiologische und der existenzielle Szientismus werden in Bezug auf jeweils drei so genannte Projekte untersucht: Der Versuch, Ethik und Religion darwinistisch zu erklären (A); der Versuch, mit neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen traditionelle Ethik und Religion zu entlarven (B); der Versuch, eine naturwissenschaftliche Ethik und Religion qua "scientific naturalism" zu entwickeln (C).

In formal vorbildlicher Weise rekonstruiert der Vf. jeweils die entsprechenden Thesen und Argumente besonders der Biologen Wilson und Dawkins. Um deren Geltung oder Anspruch einer Kritik zu unterziehen, bedient sich der Vf. im Wesentlichen vier Verfahren:

1. Er zeigt, dass einige dieser ja als naturwissenschaftlich auftretenden Aussagen mit Fakten widerlegt werden können. Bezüglich des epistemischen Szientismus beispielsweise zeigt er, dass es neben naturwissenschaftlichen auch andere Formen der Erkenntnis gibt. Von diesen Erkenntnisformen außerhalb und unabhängig von den Naturwissenschaften sind Letztere sogar teilweise abhängig. Er nennt "observational" (26), "introspectiv" (27), "self-reflective" (28), "linguistic" (29) und "intentional knowledge" (30) und zusätzlich "beliefs of memory" (29). Oder dann zeigt der Vf., dass eine nicht-darwinistische Erklärung von Religion (84 ff.) die Fakten besser als eine darwinistische berücksichtigt. Sehr schön dazu die Beobachtung, dass eine darwinistische Erklärung das missionarische Verhalten der großen Religionen gerade nicht erklären könne, weil hier ja nicht in die eigenen Gene "investiert" werde (88 ff.).

2. Er zeigt, dass einige der analysierten szientistischen Aussagen in sich selbst widersprüchlich sind. Die Behauptung, dass beispielsweise der epistemische Szientismus wahr sei, kann nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln erhärtet werden, widerspricht also eben dieser Behauptung (32). Die entsprechenden Aussagen sind also "self-refuting".

3. Er zeigt, dass einige der szientistischen Thesen auf Begriffsunklarheiten gründen. Viel Verwirrung entsteht beispielsweise auf Seiten der Religionskritiker, weil sie Religion fälschlicherweise als quasi-wissenschaftliche Hypothese interpretieren (97ff.). Ein anderes Beispiel: Der Vf. kann der soziobiologischen These nicht folgen, dass Moral letztlich "selfish" sei. Er kann nachweisen, dass die entsprechenden Autoren "do not clearly distinguish between selfishness and altruism in its moral and in its biological sense" (137).

4. Er zeigt, dass szientistische Behauptungen in der Regel außernaturwissenschaftliche Ansprüche implizieren, mithin nicht naturwissenschaftlicher, sondern philosophischer und weltanschaulicher Art sind und entsprechend diskutiert werden müssen (vgl. 77 oder 132).

Der Vf. legt eine Arbeit vor, die man jedem empfehlen muss, der sich mit Fragen des Verhältnisses von Theologie, Ethik und Biologie beschäftigt. Er plädiert dafür, dass die Naturwissenschaften die ihnen durch ihre Methoden selbst gesetzten Grenzen nicht übersteigen sollten. Man findet hier also keine unsachliche Kritik an den Naturwissenschaften generell, sondern nur an gewissen Auswüchsen: Szientismus ist, wie der Vf. immer wieder betont (vgl. zusammenfassend 131), keine Voraussetzung für naturwissenschaftliches Arbeiten. Er weiß allerdings, dass der Erfolg der Naturwissenschaften leicht zu den erwähnten Auswüchsen verführen kann. Den dabei zu beobachtenden missionarischen Eifer mit glasklarer Logik und rationalen Argumenten in seine Schranken zu weisen, dies ist dem Vf. meines Erachtens hervorragend gelungen.