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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

424–426

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heidegger, Martin

Titel/Untertitel:

Briefe an Max Müller und andere Dokumente. Hrsg. v. H. Zaborowski u. A. Bösl.

Verlag:

Freiburg-München: Alber 2003. 196 S. 8. Geb. Euro 40,00. ISBN 3-495-48070-6.

Rezensent:

Horst Bürkle

Der Band enthält über achtzig Briefe, die Martin Heidegger in der Zeit von 1930 bis 1974 an seinen einstigen Schüler und späteren Fachkollegen schrieb. Mit Ausnahme von fünf ausführlichen Briefen, die Max Müller an Heidegger richtete und die in diese Dokumentation aufgenommen werden konnten, sind uns alle anderen Briefe, auf die sich der Briefwechsel bezieht, nicht erhalten. Ein bedauernswerter Tatbestand, der uns veranlasst, aus den oft knappen Briefantworten Rückschlüsse zu ziehen auf die Briefe Müllers, auf die sich Heidegger bezieht. Man mag rätseln, welche Absicht sich mit der einseitigen Vernichtung auf der Empfängerseite dieser Korrespondenz verband. Die wenigen fünf dokumentierten Briefe von Max Müller sind im Unterschied zu den meist knapp gefassten Heideggerbriefen wesentlich ausführlicher und inhaltlich ergiebiger. Hinter der Korrespondenzpause (letzter Brief Heideggers vom 14. September 1937 und wieder sein erster vom 4. November 1947) verbirgt sich jene bewusste Distanz, die Heidegger in den Jahren seiner politischen Desorientierung zu dem sich zu seiner katholischen Grundhaltung bekennenden, ihm ansonsten treu ergebenen einstigen Schüler einnahm. Dies freilich änderte sich in den Jahren nach dem Krieg. In diese Zeit fällt (mit Ausnahme der vier Vorkriegsbriefe) der eigentliche Briefwechsel. Er spiegelt das Bemühen Heideggers wider, die ihm von seinem in dieser Zeit bewährten und in deren Verlauf bestätigten Schüler dargebotene Freundeshand zu ergreifen und zu Gunsten seiner eigenen Rehabilitation zu nutzen. ("Ich wünsche jetzt vor allem, daß der Fall Heidegger nun endlich gültig an der Universität erledigt ist. Das fortgesetzte Hin und Her der Verhandlungen belastet meine Arbeitsruhe ..." Heidegger an Müller unter dem Datum vom 14.8.1950). In einem anderen Zusammenhang bekennt Heidegger, dass die "Marburger Zeit das Fruchtbarste meiner ganzen akademischen Tätigkeit" war (27). Es waren die Jahre, in denen auch evangelische Theologen wie Rudolf Bultmann und sein Marburger Schülerkreis neben Philosophen wie Hans-Georg Gadamer, Gerhard Krüger, Karl Löwith und anderen der Arbeitsgemeinschaft mit Heidegger Wesentliches verdankten.

Neben den das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Lehrer und seinem ehemaligen Schüler (Heidegger: "In alter Anhänglichkeit") kennzeichnenden Inhalten dieser Briefe enthalten sie auch erhellende Hinweise auf Übereinstimmung und Unterschied beider Denkweisen. Müller geht es als einem katholischen Denker um ein mit dem Heideggerschen Grundansatz vereinbarungsfähiges anderes Metaphysikverständnis. Heidegger bekennt dem gegenüber: "Wenn ich frage Was ist Metaphysik? dann frage ich nicht mehr metaphysisch. Es gibt noch weniger eine Metaphysik der Metaphysik, als es eine Physik der Physik gibt." Dann aber gibt er Ermutigung zu Müllers geplanter Arbeit "zur Klärung der heute wieder überhandnehmenden Mixerei total verschiedener Positionen". Das jedoch wird gesagt mit deutlichem Rückgriff auf die eigene Position: "Der Glaube hat mit dem Seinsverständnis als solchem überhaupt nichts zu tun ... Es gibt keine christliche Philosophie." Der Theologie schreibt er ins Stammbuch: Sie soll "biblische Theologie" bleiben. Ihr logos soll "gläubiges Sagen" bleiben, und in dem Zusammenhang dann sogleich die Absage an jedes andere Denken: Solches Sagen des Theologen, hat "auch keine Sprachphilosophie nötig" (Brief vom 12.6.1965). Max Müller hatte in anderem Zusammenhang zuvor das Stichwort in Bezug auf "das dumme Frankfurter Asphaltgerede des Herrn Wiesengrund-Adorno" gegeben und seinen "Versuch, Sie in der Romantik der Jugendbewegung zu beheimaten" als "dumm und inadäquat" zurückgewiesen. "Aber was gehen uns diese Leute eigentlich an?" (Brief vom 15.12.1964).

Eingebettet in die Alltäglichkeiten eines freundschaftlichen Briefwechsels mit seinen Daten, Anlässen und persönlichen Mitteilungen finden sich immer wieder herausblitzende Bemerkungen, die für den zeitgenössischen Leser Erhellendes mitteilen. Karl Rahner hatte in München den von Romano Guardini übernommenen Lehrstuhl für "Christliche Weltanschauung" in der Münchner Philosophischen Fakultät zu Gunsten eines Rufes an die Theologische Fakultät in Münster gerade geräumt. Dazu Heideggers verständnisvoller Kommentar: "Pater Rahner hat den rechten Schritt getan an den Ort, wohin er gehört" (Brief vom 27.5.1967). Dem heute in München erfolgreich lehrenden und forschenden Philosophen Gerd Haeffner SJ bescheinigt er "begabt und gut unterrichtet" zu sein, konnte aber bei dessen Besuch nicht feststellen, "inwieweit er den phänomenologischen Blick hat" (Brief vom 16.11.1971). Das war auf Grund eines Besuches auch kaum möglich.

Der zweite Teil des Bandes ("Dokumente") enthält für die weitere Forschung wertvolle Texte. Dazu zählt das dreiseitige Gutachten Heideggers zur Habilitationsschrift seines Schülers Max Müller über "Wahrheit und Wirklichkeit", eine Auslegung der entsprechenden Lehrstücke des Thomas von Aquin unter Berücksichtigung aktueller Fragestellungen. Bei allem dieser Arbeit gezollten Lob bleibt Heidegger dann doch seinem eigenen Denkansatz verhaftet ("... die entscheidenden Fragen der Philosophie nicht gefragt, weil sie nicht gefragt sein können") und setzt ihn auf Kosten des Habilitanden in Geltung. Diesem geht es um eine Überwindung der die Philosophie der Zeit beherrschenden Erkenntnistheorie und darum, im Blick auf das Verhältnis von Wahrheit und Wirklichkeit die metaphysische Dimension wieder zur Geltung zu bringen. Heidegger lobt den Autor, versperrt ihm aber zugleich den Weg für eine Berufung in eine philosophische Fakultät. Max Müller hat diesen Weg trotz dieses ceterum censeo seines Lehrers erfolgreich beschritten. Was er in Freiburg und in München seinen Hörern und Lesern zu erschließen vermochte, war trotz Heidegger eine Brücke, die er vom Sein in die Metaphysik baute.

Ein wissenschaftlich und menschlich nobles Zeugnis stellt er seinem Lehrer in dem von ihm 1947 erbetenen 10-seitigen Brief "zur philosophischen Entwicklung Martin Heideggers" aus ("Er arbeitet in dieser erzwungenen Pause an großen Entwürfen. ... Trotzdem Heidegger dieses Jahr 58 Jahre alt wird, ist bei ihm noch alles im Flusse des lebendigen Ringen. ... daß das religiöse Problem und das christliche Problem eines seiner Hauptprobleme ist und daß er unablässig um die Frage des Absoluten kreist. ... Sicher ist, daß von ihm heute wie in Zukunft noch stärkste Anregungen und Antriebe des Philosophierens ausgehen werden" (80 f.).

Auf derselben Linie liegen und von gleicher Qualität sind die übrigen, hier dokumentierten Beiträge Müllers zu Werk und Person Heideggers aus verschiedenen Anlässen (71-143): Zur Verleihung der Ehrenbürgerurkunde an Heidegger in seiner Heimatgemeinde Meßkirch am 27.9.1959, zu seinem 75. und 80. Geburtstag sowie ein Gespräch über ihn (1985) in den Freiburger Universitätsblättern. Für weitere Arbeiten zu Heidegger ist der 50-seitige Anhang mit Anmerkungen zu den veröffentlichten Briefen von besonderem Wert.

Der Band eröffnet der Forschung manchen neuen Aspekt auf Person und Werk Heideggers. Mehr aber noch vermittelt er ein Bild vom Denken und von der Persönlichkeit eines seiner bedeutenden Schüler und Wegbegleiter über dessen vorliegendes eigenes uvre hinaus.