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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

416 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schröcker, Hubert

Titel/Untertitel:

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham.

Verlag:

Berlin: Akademieverlag 2003. 536 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes, 49. Geb. Euro 69,80. ISBN 3-05-003747-4.

Rezensent:

Volker Leppin

Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die starke Betonung der Allmacht im Denken Wilhelms von Ockham (ca. 1285-1347) nicht die Rede von einem "Willkürgott" (Blumenberg) erlaubt. Mit der Münchener katholisch-theologischen Dissertation von Hubert Schröcker liegt nun eine umfassende Studie zu diesem zentralen Thema des Ockhamschen Denkens vor.

In einem ersten Hauptteil wendet Sch. sich der Frage nach den Grenzen der Allmacht Gottes bei Ockham zu. Bei der Bestimmung des Verhältnisses von potentia ordinata und potentia absoluta im ersten Kapitel betont Sch. die Intensität der Verschränkung beider Aspekte ineinander, insofern die potentia absoluta alles Widerspruchsfreie, mithin auch den Handlungsbereich der potentia ordinata umfasse. Der Bereich des nicht-widersprüchlich Möglichen wiederum wird faktisch und logisch eingegrenzt, indem Gott sich für einen bestimmten Weltenlauf entscheidet.

Das zweite Kapitel geht Gottes Verhältnis zur Sünde nach. Ironischerweise ist es gerade die Freiheit Gottes, die es unmöglich macht, dass Gott sündigt. Denn das moralisch Schlechte ist nach Ockham, das Gegenteil von etwas zu tun, wozu man verpflichtet ist - da Gott ungebunden ist, kann er in diesem Sinne nichts Schlechtes tun und also auch nicht sündigen.

Das dritte Kapitel über Allmacht Gottes und Trinität stellt über weite Strecken eine Auseinandersetzung mit der Ockham-Deutung des Rezensenten dar, die eine vorlogische Strukturiertheit des trinitarischen Seins Gottes von dem an logische Gesetzmäßigkeiten gebundenen Handeln Gottes abhebt. Sch. zieht demgegenüber einen von Ockham zwar erwogenen, aber als theologisch nicht maßgeblichen Begriff der Allmacht heran, der diese auch auf innertrinitarische Vollzüge beziehen lässt, und füllt diesen dann von der ausdrücklich dem göttlichen Wirken ad extra vorbehaltenen potentia absoluta her, um das Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch auch auf Vorgänge ad intra beziehen zu können (167-170). Doch selbst diese keineswegs zwingende Argumentation kann das Problem nicht beheben, dass die singuläre Anwendung der distinctio formalis auf die Trinität bei Ockham es ermöglicht, dass Widersprüchliches vom selben verifiziert werden kann (191). So scheint mir die Annahme einer Vor-Logizität Gottes nach wie vor den durch Sch.s gründliche Recherche an Komplexität reicher gewordenen Befund am besten zu erklären.

Der folgende zweite Hauptteil geht der Frage nach der ontologischen Begründung der Möglichkeit nach. Dabei rekonstruiert Sch. die Diskussionssituation, wie sie sich aus dem Ersten Buch des Sentenzenkommentars, d. 43 q. 2, ergibt. Das vierte Kapitel ist daher Heinrich von Gent (gest. 1293) gewidmet. Dessen Antwort ist zunächst bemerkenswert schlicht: Grund für die Möglichkeit ist die als unendliche Macht verstandene Allmacht Gottes. Doch entsteht hieraus keine Willkür, denn den Rahmen für das Möglichkeitsverständnis Heinrichs bildet die Vollkommenheit Gottes, die die in Gott angenommenen Ideen des Möglichen prägen. Letztlich ist so Gottes Macht durch sein Wesen restringiert.

Das fünfte Kapitel behandelt den komplizierten Weg des Duns Scotus (1265/6-1308) von der Position des Heinrich zu einer eigenen Position, an dessen Ende die ausgeformte Lehre der Ordinatio steht. Für diese ist wesentlich die Unterscheidung ontologischer Grade in den Begriffen "esse intelligibile" und "esse possibile": Erstes ist Gegenstand und Produkt des allem vorausliegenden göttlichen Intellekts. Erst auf dieser Basis kann es sich formal aus sich heraus als möglich erweisen, erhält also ein esse possibile. Das Verhältnis von Allmacht und Möglichkeit wird damit komplexer als bei Heinrich: Die Allmacht liegt als perfectio einerseits dem Möglichen voraus, insofern sie aber tätig wird, setzt sie ihrerseits die Möglichkeit des Möglichen voraus. Die einfache lineare Zuordnung von Allmacht und Möglichem ist also einem interdependenten Beziehungsgeflecht gewichen.

Das sechste Kapitel kehrt nach diesen geistesgeschichtlichen Exkursen zu Ockham zurück: Der Venerabilis Inceptor verzichtet auf eine eindeutige theologische oder ontologische Folgebeziehung und lehrt stattdessen eine logische Simultaneität des Vermögens Gottes, Mögliches zu machen, und des Vermögens des Möglichen, gemacht zu werden. Letztlich also sind die Macht Gottes und die Möglichkeit des Möglichen zugleich - eine Einsicht, die nach Ockham allerdings allein dem Glauben zugänglich ist. Für das Allmachtsverständnis allerdings bedeutet dies, dass die Grenzen eng gezogen sind - ein "Willkürgott" ist dieser Ockhamsche Gott gewiss nicht.

Sch. bestätigt so vorhandene Forschungstendenzen und vertieft sie zugleich durch die gründlichen historischen Analysen und die gelegentlichen vorsichtigen systematisierenden Erwägungen.