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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

405 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Duchhardt, Heinz, u. Gerhard May [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geschichtswissenschaft um 1950.

Verlag:

Mainz: von Zabern 2002. X, 173 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Beiheft 56. Geb. Euro 29,80. ISBN 3-8053-2999-7.

Rezensent:

Hartmut Lehmann

Von den neun Beiträgen des vorliegenden Bandes, der die Vorträge enthält, die im Mai 2000 aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz gehalten wurden, befassen sich drei mit Themen der Theologie- und Kirchengeschichte sowie mit der Geschichtsschreibung über Theologie und Kirche.

Dominique Bertrand vom Institut des Sources Chrétiennes in Lyon berichtet, warum die Beschäftigung mit der Patristik in Frankreich in den Jahren von 1942, also mitten im Zweiten Weltkrieg, bis 1958, also bis weit in die Nachkriegszeit, einen erstaunlichen Aufschwung nahm. Wie er betont, fanden in der Zeit der deutschen Besetzung von Frankreich und somit vor dem Hintergrund der Résistance zum ersten Male die kirchlich gebundenen Patristiker und die an den französischen Universitäten arbeitenden Wissenschaftler, die sich für die Texte des antiken Christentums interessierten, zu intensiver Kooperation zusammen. Die Ergebnisse dieser produktiven Zusammenarbeit fielen in die Nachkriegsjahre. Sie umfassten die Publikation von Textsammlungen, die Erarbeitung von Monographien und Nachschlagewerken sowie die Organisation von großen internationalen Kongressen. Durch diese Aktivitäten wirkten die französischen Gelehrten weit über Frankreich hinaus. Bertrands Beitrag führt deutsche Leser in ein Forschungsfeld ein, das hierzulande nur den Spezialisten vertraut sein dürfte.

Victor Conzemius (Luzern) setzt sich unter dem Titel "Im Aufbruch zur Ökumene" vor allem mit den historiographischen Leistungen von Joseph Lortz, der 1950 zum Leiter der religionsgeschichtlichen Abteilung des Mainzer Instituts ernannt wurde, sowie von Hubert Jedin auseinander. In seinen Lutherstudien wurde Lortz, wie Conzemius betont, zum "erfolgreichen Brückenbauer zwischen den Konfessionen" (132). Ähnlich wie Jedin, der sich seit 1939, als er vor den Nationalsozialisten ins römische Exil flüchtete, vor allem als Geschichtsschreiber des Konzils von Trient auszeichnete, waren und blieben jedoch auch Joseph Lortz stets die Grenzen zwischen den Konfessionen bewusst. Die Sensibilität, mit der Conzemius die Bindung an die katholische Kirche und die Öffnung für ökumenische Perspektiven bei Lortz erörtert, ist bemerkenswert.

Kurt-Victor Selge (Berlin) widmet sich in seinem Beitrag ausschließlich dem Leben und Werk seines Lehrers Heinrich Bornkamm. Persönliche Erinnerungen prägen seine Urteile. Für alle, die sich für das Wirken von Bornkamm im Heidelberg der 1950er Jahre interessieren, sind Selges Ausführungen deshalb von besonderem Interesse. Ob es, wie Selge es tut, aber richtig ist, Bornkamms Bekenntnis für die neue nationalsozialistische Regierung 1933/34 zu relativieren (es habe, wie er S. 153 schreibt, "fast etwas Banausisches", wenn man auf diese Vorgänge, die Bornkamm selbst später bereut habe, verweise), sei dahingestellt. Lohnender wäre es gewiss gewesen, wenn Selge nicht nur über die Diskontinuitäten in Bornkamms Werk nachgedacht, sondern auch nach den Kontinuitäten gefragt hätte.

Es ist hier nicht der Ort, um auch die anderen Beiträge dieses Bandes zu diskutieren. Was die drei Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte betrifft, so behandeln diese spezielle Aspekte der "Geschichtswissenschaft um 1950". Diese Aspekte sind geeignet, um die Situation zu erhellen, in der das Mainzer Institut vor 50 Jahren entstand, und um die großen wissenschaftlichen Leistungen dieses Instituts im vergangenen halben Jahrhundert zu würdigen.