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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

396–398

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lo, Peter

Titel/Untertitel:

Einfältiges Bekenntnis. Abendmahlstraktat an die Christen in Elberfeld von 1556. Hrsg. u. eingel. v. H.-P. Eberlein.

Verlag:

Waltrop: Spenner 2002. 26 S. u. ca. 250 S. unpaginiertes Faksimile. Kart. Euro 18,00. ISBN 3-933688-80-9.

Rezensent:

Martin Ohst

Im Jahre 2002 feierte Elberfeld, seit 1929 zu Wuppertal gehörig, sein 450. Reformationsjubiläum. Bezugspunkt des Festes war nicht der Beginn reformatorischer Predigt in der Stadt - er hatte schon spätestens 1527 (Adolf Clarenbach) stattgefunden, sondern der Anfang reformatorischer Gemeindebildung, welcher in das Jahr 1552 fiel: Der aus Elberfeld stammende und auf dem Dortmunder Gymnasium gründlich gebildete Peter Lo, Kaplan an der damaligen Laurentius-Kirche, der heutigen Alten Reformierten Kirche, reichte Laien, auch in Privathäusern, das Abendmahl in beiderlei Gestalt und hielt, ebenfalls in einem Privathaus, Bibelstunden. Seitens altgläubiger Geistlicher wurde er deshalb als "Sakramentierer" denunziert und musste 1555 auf Barmer Gebiet fliehen, das damals dem Grafen von Waldeck verpfändet war. Von hier aus wandte er sich nach Mengeringhausen im waldeckischen Kernland und verfasste dort 1556, also im Geburtsjahr des eben in Mengeringhausen geborenen Philipp Nicolai, sein einzig bekanntes literarisches Werk, das in Marburg gedruckte "Einfältige Bekenntnis".

Anlässlich des Reformationsjubiläums hat Hermann-Peter Eberlein, u. a. bekannt als profunder Kenner der Bergischen Kirchengeschichte, auf Anregung des Kirchenkreises Elberfeld einen technisch ganz vorzüglichen Faksimile-Druck dieses extrem seltenen Werks (nur fünf Exemplare sind bekannt) veranstaltet und ihn mit einer präzisen, höchst instruktiven und anregenden Einleitung versehen (vgl. auch H.-P. Eberlein, Peter Lo, der Reformator Elberfelds, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 52/2003, 271-295). Sie führt präzise in die Schrift selber ein und fasst die (wenigen) zuverlässigen Informationen über den wendungsreichen Lebensgang des in Elberfeld 1581 wohl an der Pest gestorbenen Lo zusammen: Neben seinem Pfarramt war er nicht nur als Agent des Grafen von Waldeck tätig, sondern trieb zeitweilig auch Garnhandel.

Das beherrschende Zentrum des "Einfältigen Bekenntnisses" ist die communio sub utraque, die Lo mit bemerkenswerter Gelehrsamkeit verficht: Er stützt sich dabei auf die extensiv zitierte, auch allegorisch ausgelegte Bibel und auf die Autorität Martin Luthers, "des tewren propheten und eynigen außerwelten rüstzeugs Gottes zu dieser letsten zeit" (Bl. d4 v). Auffällig sind seine beachtlichen Kenntnisse der patristischen Literatur, die er vor allem in den "dilutiones" der "objectiones" der altgläubigen Gegner der Kommunion unter beiderlei Gestalt einsetzt. Woher mag einem Mann, der wohl weder je an einer Universität studiert hat noch in einer Universitätsstadt schreibt, dieses Argumentationsarsenal zur Verfügung gestanden haben? Eine mögliche Lösung dieser Frage deutet sich an, wenn man beachtet, dass er an das Römische wie vor allem auch an das Kanonische Recht appelliert, um zu erweisen, dass die communio sub utraque Christi unveränderlicher, weil letztwillig-testamentarischer Willensbekundung entspricht (vgl. Kap. II, Bl. B 4v-C 4v). In Stichproben habe ich festgestellt, dass die patristischen Stellen, die Lo zitiert, weithin auch im Decretum Gratiani stehen (De consecratione, bes. dist. 2); daneben kommt als Vermittlungsinstanz auch die Sentenzensammlung des Petrus Lombardus in Frage (vgl. den Hinweis von Eberlein, 23).

Es müsste in weiter ausgreifenden Vergleichen genauer untersucht werden, ob hier nur jemand aus der Not eine Tugend macht oder ob hier nicht vielmehr eine besondere Strategie der Auseinandersetzung vorliegt: Der konfessionelle Widerpart wird gezielt mit solchen Zeugnissen wider sich konfrontiert, denen seine eigene Kirche besondere Autorität zuschreibt! - Aber auch in jüngeren Überlieferungszusammenhängen kennt Lo sich aus, wie seine extensive Zitation und Kritik der einschlägigen Konstitution des Konstanzer Konzils zeigt (vgl. Bl. e 4r-f 2r). Sicher, Lo ist, wie Eberlein betont, keineswegs als origineller reformatorischer Theologe anzusprechen (24 u. ö.). Aber seine Schrift ist in anderer Perspektive nur um so interessanter: Sie dokumentiert, dass sich im protestantischen Bereich schon Jahre vor dem Abschluss des Trienter Konzils ein inhaltlich sehr reiches und ausdifferenziertes Arsenal an Argumenten und Argumentationsmustern zur Legitimation der eigenen theoretischen und praktischen Optionen akkumuliert hatte. Los Werk wäre in dieser Perspektive zu deuten als unscheinbare, aber doch charakteristische Etappe auf dem Weg zu den großen Klassikern der Kontroversliteratur, die mit den Namen Matthias Flacius Illyricus, Martin Chemnitz und Johann Gerhard verbunden sind. Um das wirklich nachzuweisen, müsste Los Werk einer genauen überlieferungsgeschichtlichen Untersuchung unterzogen werden, die zeigt, welche unterschiedlichen Traditionen hier zusammenfließen.

In seiner Einleitung gibt Eberlein seiner Hoffnung Ausdruck, er habe "seiner Vaterstadt und ihrer evangelischen Kirche" (9) mit der Neupublikation der verschollenen Schrift Los einen Dienst erwiesen. Das hat er sicherlich getan. Aber mehr noch: Er hat der Forschung eine wichtige Quelle in Erinnerung gerufen und zur Verfügung gestellt, an der sich exemplarisch erschließen lässt, wie sich die innovatorischen reformatorischen Impulse material angereichert und so historisch fundierte wie systematisch reflektierte Lehrsysteme hervorgetrieben haben, die es auch demjenigen, der nicht in die erste Reihe der Protagonisten gehörte, möglich machten, seinen konfessionellen Standpunkt in der Situation des Widerspruchs offensiv und plausibel zu vertreten.