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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

393–395

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wick, Peter

Titel/Untertitel:

Die urchristlichen Gottesdienste. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der frühjüdischen Tempel-, Synagogen- und Hausfrömmigkeit.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 423 S. gr.8 = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 150. Kart. Euro 40,80. ISBN 3-17-016692-1.

Rezensent:

Bernd Kollmann

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die Habilitationsschrift von W., die 1999 von der Theologischen Fakultät der Universität Basel angenommen wurde. Die Arbeit versteht sich vor allem als Gegenentwurf zu der einschlägigen Studie von Ferdinand Hahn (Der urchristliche Gottesdienst, 1970), die den Beitrag des jüdischen Gottesdienstes für die Entstehung der christlichen Gottesdienstformen eher gering veranschlagt hatte. Demgegenüber will W. zeigen, dass die enge Verbindung von Christentum und Judentum sich auch im Bereich des Gottesdienstes widerspiegelt und das Neue Testament dem alttestamentlichen Kult gegenüber keineswegs ablehnend eingestellt ist.

Nach terminologischen Vorbemerkungen (Kap. 1) und einer allzu knappen Verortung seiner Untersuchung in der Forschungsgeschichte (Kap. 2) wendet sich W. zunächst ausführlich den jüdischen Gottesdienstformen zu (Kap. 3-8). Entscheidendes Ergebnis ist dabei, dass die Kultzentralisation am Jerusalemer Tempel die Entstehung von Synagogen- und Hausgottesdiensten ohne jegliche kultische Dimension nach sich zog. Der frühjüdische Gottesdienst konstituierte sich demnach aus einem komplexen System dreier voneinander abhängiger, aber in Bezug auf ihre gottesdienstlichen Grundformen eigenständiger Größen, nämlich dem Tempelkult, der wortorientierten Synagogenversammlung und der häuslichen Mahlgemeinschaft.

Der eigentliche Hauptteil der Arbeit (Kap. 9-18) befasst sich dann mit dem Gottesdienstverständnis in den neutestamentlichen Schriften unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zum dargestellten jüdischen Gottesdienstsystem. Dabei bemüht sich W. um den Nachweis, dass das frühe Christentum als eine im Judentum wurzelnde Bewegung in recht unterschiedlicher Weise auf die von jüdischer Seite vorgegebenen Institutionen Tempel, Synagoge oder Haus zurückgegriffen hat. Der paulinische Gottesdienst etwa sei trotz struktureller Berührungen mit hellenistischen Gemeinschaftsmählern ein in jüdischer Tradition stehender charismatischer Hausgottesdienst, der keinesfalls den Tempelkult ersetzen wolle. Matthäus werbe für Anerkennung der jüdischen Institutionen Tempel, Synagoge und Haus, denen er den Gottesdienst seiner Gemeinde zuordne und zugleich spannungsvoll gegenüberstelle. Lukas fördere bewusst die Institutionalisierung der Gemeinde im Rahmen des Hausgottesdienstes, ohne dabei den Tempel in Frage zu stellen. Der Jakobusbrief hingegen zeuge von Gemeinden mit synagogaler Struktur und zeige, dass eine organisatorische Verlagerung des Gottesdienstes in das Haus für das frühe Christentum nicht die einzige Option gewesen sei. Im Hebräerbrief und den johanneischen Schriften spiegele sich eine charismatische Gestalt des Gottesdienstes, der eine Überbietung des Opferkultes impliziere. In diesem Zusammenhang besteht eine wesentliche Beobachtung von W. darin, dass auch Spätschriften des Neuen Testaments noch vom charismatischen Element geprägt sind und folglich im Hinblick auf den Gottesdienst keine derart lineare Entwicklung vom Charisma zum festen Amt stattgefunden hat, wie sie oft vorausgesetzt wird. Diese Einsicht verfestigt sich für W. bei seiner abschließenden Sichtung der gottesdienstlichen Entwicklung in Zeugnissen aus dem frühen 2. Jh., wobei u. a. die Didache, der Pliniusbrief an Trajan, die Ignatiusbriefe und der Barnabasbrief untersucht werden (Kap. 19).

Das Verdienst der Arbeit von W. besteht darin, dass sie das Gottesdienstverständnis der neutestamentlichen Schriften konsequent in den Rahmen der Gottesdienstformen des Judentums stellt, dabei eine Fülle von Querverbindungen aufzeigt und letztlich das Bewusstsein für die Verwurzelung des urchristlichen Gottesdienstes in jüdischer Tradition schärft. Wichtiges Nebenresultat ist die Einsicht in eine größere Vielfalt an frühchristlichen Gottesdienstformen, als gemeinhin angenommen wird (vgl. die Graphik S. 364). Bemühungen um eine Rekonstruktion des Gottesdienstablaufs aus neutestamentlichen Schriften treten dabei allerdings in den Hintergrund. Zudem werfen viele Urteile von W. Fragen auf oder sind zumindest nicht hinreichend abgesichert, so etwa die Zuweisung des Schweigegebotes 1Kor 14,33b-35 an Paulus oder die Betrachtung des MtEv als "einer der ahierarchischsten Schriften im NT", die jeder institutionellen Ämterbildung abweisend gegenüberstehe. Der entscheidende Schwachpunkt allerdings ist die Literaturverarbeitung, die durchgängig den an eine Habilitationsschrift zu stellenden Ansprüchen nicht genügen kann.

W. setzt sich in seinen Exegesen unbefangen über weite Teile der für ihn relevanten Sekundärliteratur hinweg. Einige Beispiele mögen dies illustrieren. Neuere Übersichten zum Thema wie die von E. Ferguson (Worship in Early Christianity, 1993) oder L. W. Hurtado (At the Origins of Christian Worship, 2000) fehlen. Bei seiner Analyse der paulinischen Gottesdienstaussagen von 1Kor 11-14 setzt sich W. im Grunde genommen nur mit M. Klinghardt (Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, 1996) auseinander. Zwei der wichtigsten Aufsätze zu 1Kor 11 (G. Bornkamm, Gesammelte Aufsätze 2, 31970, 138-176; P. Lampe, ZNW 82, 1991, 183-213) sucht man im Literaturverzeichnis vergeblich. Auch der 1999 erschienene dritte Band des Kommentars von W. Schrage hätte natürlich für die Drucklegung Berücksichtigung finden müssen. Sich mit der Didache zu befassen, ohne den Kommentar von K. Niederwimmer zu beachten, ist inakzeptabel. Bei Ignatius werden die Kommentare von W. Bauer/H. Paulsen und W. R. Schoedel ebenso ignoriert wie die wichtige Monographie von L. Wehr (Arznei der Unsterblichkeit, 1987). Von H. Lietzmann findet sich nur die "Geschichte der Alten Kirche" im Literaturverzeichnis, während seine für den frühchristlichen Gottesdienst grundlegenden Arbeiten (Die liturgischen Angaben des Plinius, 1916; Messe und Herrenmahl, 31955) fehlen.

Insgesamt gelingt W. ein eigenständiger, in sich geschlossener und über weite Strecken innovativer Entwurf zur Entwicklung des frühchristlichen Gottesdienstes, der allerdings eine ganze Reihe von Fragen offen lässt und es vor allem versäumt, seine Ergebnisse in hinreichendem Maße durch den kritischen Dialog mit der Sekundärliteratur abzusichern.