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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

376–378

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Neef, Heinz-Dieter

Titel/Untertitel:

Deboraerzählung und Deboralied. Studien zu Jdc 4,1-5,31.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. XII, 216 S. 8 = Biblisch-Theologische Studien, 49. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-7887-1890-0.

Rezensent:

Andreas Scherer

In der soliden kleinen Studie hat der Vf., der sich seit längerem mit den Problemen des Debora-Barak-Komplexes Jdc 4,1-5,31 beschäftigt, ältere Beiträge (vgl. bes. ZAW 101 [1989], 28-49; VT 44 [1994], 47-59; ZAH 8 [1995], 275-293) in aktualisierter Form zusammengestellt und durch neues Material ergänzt. Den Schwerpunkt der Darstellung bildet die exegetische Bearbeitung der Dichtung Jdc 5 und der Erzählung Jdc 4, die der Vf. zunächst je für sich untersucht, um sie dann miteinander zu vergleichen und einander entstehungsgeschichtlich zuzuordnen.

Schon im Aufriss der Studie verrät sich ein grundlegendes literarhistorisches Urteil des Vf.s. Er hält Jdc 5 für den älteren Text und setzt wohl auch deshalb mit der Besprechung des Liedes ein, dem mehr als die Hälfte des Buches gewidmet ist (3-115). Dass der Vf. wenig Neigung zeigt, den neueren und neuesten auf Jdc 5 angewandten Interpretationsparadigmen Folge zu leisten, hindert ihn nicht daran, einen materialreichen und instruktiven Bericht vorzulegen, der einen guten Überblick über die Trends der zurückliegenden und aktuellen Forschungsdebatte gewährt (3-19). Terminologisch und sachlich unscharf ist dabei m. E. nur seine Darstellung des Beitrags von B. Lindars (Judges 1-5. A New Translation and Commentary, Edinburgh 1995), der das Deboralied, anders als der Vf. meint, kaum unter der Rubrik "Familienerzählung" (15) eingeordnet hat. Von dieser Einschränkung abgesehen ist die Skizze der verschiedenen Interpretationsmuster sehr hilfreich, weil sie zeigt, wie stark die einzelnen Positionen auseinander streben und wie kontraproduktiv sich das Bemühen um Originalität auswirken kann. Demgegenüber ist der Vf. darauf bedacht, seine Deutung des Liedes eng an dessen Wortlaut zu orientieren. Deshalb eröffnet er seine Besprechung von Jdc 5 mit einer Übersetzung, Gliederung und Einzelexegese des Textes (20-53). Daran schließen sich Abschnitte zur Literarkritik (54-69), Stilkritik (70-98) und Datierung (99- 115) von Jdc 5 an. Der Vf. gliedert die Dichtung in insgesamt zehn Abschnitte (V. 1.2-3.4-5.6-8.9-13.14-18.19-23.24-27. 28-30.31), die er inhaltlich und sprachlich zu profilieren versucht. Bei der Literarkritik kommt er zu einem ebenso ausgewogenen wie zurückhaltenden Resultat. Lediglich die Verse 1.2-3.4-5.9-11a.21b.31 haben für ihn sekundären Charakter. Selbst dieses maßvolle Ergebnis wird man allerdings noch hinterfragen dürfen. So hält es der Rez. nicht für ausgemacht, dass V. 9-11a wirklich auf derselben Ebene wie V. 2-3 angesiedelt sind und von daher als Zusatz erscheinen. Auch über V. 21b ließe sich unter Umständen ein anderes Urteil fällen. Entscheidend bleibt aber in jedem Fall die Einsicht des Vf.s, dass nicht alle religiös konnotierten Partien der Dichtung eo ipso als Nachträge anzusprechen sind. Damit liegt m. E. die wichtigste literarische und zugleich religionsgeschichtliche Erkenntnis der Untersuchung vor. In Übereinstimmung mit diesem Befund steht außerdem die vom Vf. vertretene Datierung. Hier trotzt er dem aktuellen Trend, das Lied so spät wie möglich anzusetzen, und besteht darauf, den Inhalt des Textes bei seiner chronologischen Verortung zu Rate zu ziehen. Auch wenn nicht alle Argumente des Vf.s in gleicher Weise zu überzeugen vermögen - fraglich ist z. B., ob sich aus dem Zeitpunkt der Zerstörung Taanachs ein zuverlässiger terminus ad quem für das Datum der Deboraschlacht ermitteln lässt -, bleibt seine Datierung des Deboraliedes in die Phase kurz vor der Entstehung des Königtums eine sinnvolle und überzeugende Annahme.

Zu Jdc 4 äußert sich der Vf. sehr viel knapper als zu Jdc 5 (116-143). Auch hier folgt auf einen forschungsgeschichtlichen Abriss die eigene exegetische Bearbeitung des Stoffes. Erst aus dem Fazit am Ende des Abschnitts geht eindeutig hervor, wie sich der Vf. die Entstehung des Kapitels vorstellt. Er denkt an vier Entwicklungsstadien. In den Abschnitten über Barak (V. 10.12-16) und Jael (V. 17a.18-21) sieht er "überlieferungsgeschichtlich die ältesten Bestandteile des Kapitels" (142). Diese beiden Überlieferungen wurden zunächst je für sich bearbeitet, bevor sie durch Vorschaltung von V. 4a.6-9 und Einschaltung von V. 11.17b.22 miteinander verbunden wurden. Schließlich kamen noch die deuteronomistischen Rahmenelemente V. 1-3. 23 f. und die Angaben über Debora in V. 4b.5 hinzu. Redaktionsgeschichtlich unausgewogen erscheint mir dieses Konzept insofern, als der Vf. sowohl in Bezug auf die zweite als auch im Blick auf die vierte Entwicklungsphase die Vokabel deuteronomistisch verwenden kann (142 f.), ohne zu verdeutlichen, was der Begriff jeweils meint. Recht hat der Vf. zweifellos, wenn er die These U. Beckers (BZAW 192, Berlin-New York 1990, bes. 138 f.) zurückweist, der die Erzählung in toto als literarische Komposition von DtrH interpretiert hat.

Nicht ganz harmonisch korrespondiert der entstehungsgeschichtliche Entwurf des Vf.s zu Jdc 4 mit seiner anschließenden Zuordnung von Erzählung und Dichtung (144-158). Er sieht die Erzählung in Abhängigkeit von der Dichtung. Wenn die Erzählung aber tatsächlich auf zwei verschiedenen Überlieferungen fußt, lässt sie sich m. E. schwerlich auf eine einzige Vorlage zurückführen, die ja als gemeinsame Voraussetzung der unterschiedlichen Überlieferungen postuliert werden müsste.

Mit der vergleichenden Gegenüberstellung von Jdc 4 und Jdc 5 ist der exegetische Hauptteil des Buches abgeschlossen. Es folgen ein Abschnitt mit topographischen Angaben zu den in Jdc 4, 1-5,31 genannten Orten (159-172) und eine Übersetzung der Targum-Fassung des Deboraliedes mit anschließendem Kommentar (173-188). Das Statement am Ende der Studie betont nochmals den religiösen Charakter der Urfassung des Deboraliedes und stellt heraus, dass es bei allen Rückfragen zu Jdc 5 "nicht um das Verhältnis von Geschichte und Fiktion, sondern um das von Geschichte und Bekenntnis" (190) geht.

Dieser Beitrag zur Erforschung von Jdc 4,1-5,31 wird hoffentlich die ihm gebührende Beachtung finden. Gerade der unprätentiöse Arbeitsstil des Vf.s macht seine Studie so wertvoll.