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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

374–376

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gisin, Walter

Titel/Untertitel:

Hosea. Ein literarisches Netzwerk beweist seine Authentizität.

Verlag:

Berlin-Wien: Philo 2002. VI, 332 S. gr.8 = Bonner Biblische Beiträge, 139. Geb. Euro 49,80. ISBN 3-8257-0320-7.

Rezensent:

Aaron Schart

Die im Wesentlichen bereits im Jahr 1994 fertig gestellte und für den Druck vor allem um den Abschnitt "Konsequenzen" (298- 300) erweiterte Arbeit verteidigt die literarische Einheitlichkeit der Hoseaschrift, der ersten Schrift des Zwölfprophetenbuchs. Nach einem Forschungsbericht (11-18) und methodologischen Überlegungen (19-35), untersucht Gisin Abschnitt für Abschnitt auf formale Integrität und inhaltliche Stimmigkeit (37- 287). Wo die bisherige Forschung literarkritische Brüche diagnostiziert hat, überprüft G. die Tragfähigkeit der angeführten Argumente. Zum Schluss (289-300) wird der historische Prophet Hosea als Autor identifiziert. Unter den Anhängen (301- 332) finden sich auch Listen mit hebräischen Worten und Phrasen sowie mit stilistischen Eigenheiten.

Wenn man den historisch-kritischen Arbeitsschritt der Literarkritik nicht grundsätzlich ablehnt, sondern sich den Argumenten, wie G. das tut, im Detail stellt, ist es höchst verwunderlich, dass man eine 14 Kapitel umfassende Prophetenschrift, die über Jahrhunderte hinweg überliefert wurde und dabei mit neu auftretender Prophetie und geschichtlichem Wandel konfrontiert war, für literarisch vollkommen einheitlich hält. Eine Grundentscheidung fällt bereits im Rahmen der methodologischen Überlegungen. Als neuen Begriff für einen bisher vernachlässigten Aspekt der Textkohärenz führt G. die Bezeichnung "Induktion" ein, womit er meint, dass ein Autor im Laufe der Textproduktion dazu tendiert, bereits verwendete Formmerkmale (z. B. ein Wort, eine Phrase, eine syntaktische Struktur) zu wiederholen (21). G. illustriert dann die Anwendung seiner Textintegrationskriterien an den Paralleltexten Jes 2,1-5 und Mi 4,1-5. Weil Mi 4,1-5 viel besser in seinen Kontext integriert sei als Jes 2,1-5, gehöre der Text ursprünglich in die Michaschrift und sei von dort sekundär in das Jesajabuch übernommen worden. G. geht dann noch weiter und folgert, dass das hohe Maß der Integration von Mi 4,1-5 in seinem Kontext nur verstehbar sei, wenn Mi 4,1-5 vom selben Autor wie Mi 3,9-12 stamme, also wohl vom Propheten Micha selbst. G. wird jedoch wenige literarkritisch arbeitende Personen finden, die ihm darin zustimmen würden. Die Zitierung von Mi 3,12 in Jer 26,18 spricht doch - gegen G. (34) - sehr dafür, dass man das Wort gegen den Zion in einem älteren Überlieferungsstratum als Aufruf zur Umkehr an den König überlieferte und nicht, wie in nachexilischer Zeit, als notwendiges Durchgangsstadium zu neuem Heil. Im Folgenden gehe ich auf einige wichtige literarkritische Problemlagen der Hoseaschrift ein.

1) Die Textabschnitte, die sich am wahrscheinlichsten als sekundär ausgrenzen lassen, sind diejenigen, die gar nicht beanspruchen, vom Propheten formuliert zu sein. Bereits die Überschrift Hos 1,1 soll aber laut G. zum ältesten literarischen Stratum gehören. Die Art der Verknüpfung der Überschrift mit dem folgenden Textkorpus beweise ihre Ursprünglichkeit: (1) Die Phrase debar YHWH begegne auch in Hos 4,1. (2) Auf den von der Wurzel yaschac "helfen" abgeleiteten Namen Hosea werde auch in Hos 1,7; 13,4.10 und 14,4 angespielt, so dass sich eine gewollte Rahmung der Schrift ergebe. (3) Die judäischen Könige werden deshalb vor Jerobeam genannt, weil schon Hosea selbst, und nicht erst ein späterer Redaktor, der judäischen Königslinie den Primat einräumte. Auch in 2,2 seien ja die Judäer vor den Israeliten genannt. (4) Die Überschrift 1,1 stelle keine unmotivierte Doppelung zur zweiten Überschrift in 1,2a dar. Vielmehr handele es sich um feierlichen Stil, wie er auch am Anfang altorientalischer Vertragswerke zu finden sei (56-57).

Dagegen ist zunächst zu sagen, dass man nicht mit Bezügen zu Stellen argumentieren sollte, die ihrerseits redaktionellen Ursprungs sind. So entstammt die Phrase debar YHWH nicht nur in Hos 1,1, sondern sehr wahrscheinlich auch in Hos 4,1 nicht dem Sprachgebrauch des historischen Propheten. Auch Hos 2,2 dürfte seinerseits sekundär eingefügt sein. Sodann zeigen die Anspielungen auf den Namen Hosea zwar, dass der Verfasser der Überschrift den Namen des Propheten noch kannte, nicht jedoch, dass Letzterer die Überschrift selbst verfasst haben muss. Schließlich sind die angeführten altorientalischen Parallelen nicht aussagekräftig. Dort kommen zwar Wiederholungen, aber keine doppelten Überschriften vor. Und endlich hätte G. berücksichtigen sollen, dass die Überschrift von Hos zusammen mit denen von Am, Mi und Zef ein durchdachtes System repräsentiert, das alle vier Prophetenschriften in eine fiktive geschichtliche Folge bringt.

2) Hinsichtlich der so genannten Juda-Glossen (z. B. Hos 1,7; 4,15; 8,14; 12,1.3), die in eine ansonsten durchgehend Nord-Israel betreffende Schrift sehr sporadisch, sozusagen als "Seitenblicke" (290), eingestreut sind und deshalb in aller Regel als sekundär eingestuft werden, argumentiert G., dass sie ebenfalls gut in ihren jeweiligen Kontext integriert seien. Die Frage ist aber, ob die angeführten Verknüpfungen ausreichen, um die thematische Isoliertheit dieser Stellen und die sich gerade in ihnen häufenden Bezüge auf die Amosschrift als "hoseanische Gepflogenheit" (253) zu verstehen, mit der Hosea ganz nebenbei seinen Vorgänger Amos bestätigen will, oder ob nicht doch eine literarkritische Lösung erheblich näher liegend ist.

3) In Blick auf die Textabschnitte, die die heilvolle Zukunft Israels nach dem Vollzug der Strafe ins Auge fassen, ist im Falle von Hos 2,1-3 offensichtlich, dass eine starke Vernetzung mit dem vorangehenden Kontext vorliegt, insofern die grausamen Begründungen für die Kindernamen heilvoll zurückgenommen werden. Aber auch G. fällt auf, dass Hos 2,2 dem Vers 1,7 widerspricht, insofern auch für Juda ein Exil vorausgesetzt wird (71). Diese "Informationslücke" könne aber dadurch entstanden sein, dass verschiedene mündliche Worte unausgeglichen nebeneinander stehen blieben (72). Ist die Annahme eines Redaktors da nicht einfacher?

4) Bei der Ausgrenzung von dem Deuteronomismus nahe stehenden Bearbeitungsspuren (z. B. Hos 8,1b) plädiert G. dafür, Hosea zuzutrauen, entsprechende Phrasen erstmals gebildet zu haben (eine Liste solcher Formulierungen ist angefügt, 299). Das deuteronomistisch oft belegte Wortpaar berit "Bund" und torah "Gesetz" (Hos 8,1b) soll demnach ursprünglich sein. Dagegen ist es aber doch erheblich näher liegend anzunehmen, dass an der Stelle, an der in der Hoseaschrift, nach dem Verständnis des D-Redaktors (!), dem Tempel in Jerusalem (bet YHWH) der Untergang angedroht wird, ein knapper, aber umfassender Schuldaufweis nachgetragen wurde.

5) Zu Recht trennt G. die Untersuchung der literarischen Einheitlichkeit der Hoseaschrift von der Frage nach dem Autor (294-296). Da die in den Sprüchen vorausgesetzte politische Konstellation hervorragend in die Zeit der assyrischen Bedrohung Israels passe, gebe es keinen Grund, der Autorenzuschreibung in Hos 1,1 zu misstrauen. Ein weiterer Grund sei die als anstößig empfundene Darstellung der Ehe Hoseas: Hosea "leidet zusammen mit Jahwe, und dies in seiner eigenen Ehe. So kann doch kein Aussenstehender, nicht einmal ein Prophetenschüler, reden und schreiben!" (298) Hosea habe, kurze Zeit vor der Eroberung Samarias durch die Assyrer, das Volk durch eine zusammenfassende Darstellung seiner sich etwa über 25 Jahre erstreckenden mündlichen Verkündigung zur Umkehr rufen wollen. Obwohl Hosea als Autor festgehalten wird, ist zu betonen, dass G. das Interesse an den originalen mündlichen Auftritten komplett verloren hat (216).

Insgesamt hat G. eine respektable, wenn auch letztlich nicht überzeugende Verteidigung der literarischen Einheitlichkeit der Hoseaschrift vorgelegt. Auch wenn das Buch sicherlich leichter zu lesen wäre, wenn es rein sprachlich in einem besseren Zustand wäre, steuert es viele Einzelbeobachtungen bei, wie die Textabschnitte stilistisch untereinander zusammenhängen, und lohnt aus diesem Grund die Lektüre.