Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2004

Spalte:

330 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Noll, Bernd:

Titel/Untertitel:

Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. XIV, 206 S. m. 9 Abb. gr.8. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-17-016598-4.

Rezensent:

Daniel Dietzfelbinger

Schon wieder - mag man sich fragen - eine Einleitung in die Wirtschafts- und Unternehmensethik, wenn man Nolls Buch in den Händen hält. Doch wer glaubte, der Markt sei gesättigt, soll mit dem 2002 erschienenen Buch vom Gegenteil überzeugt werden. Wird das der Leser oder die Leserin?

N., Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsethik an der Fachhochschule Pforzheim, geht nach klassischem Muster vor: Im einleitenden Kapitel stellt er sich der Frage, warum Wirtschaftsethik als Fach betrieben wird. Dabei kommt N. kaum über Bekanntes hinaus, schon hier wird die Euphorie des Lesers und der Leserin gebremst. N. bleibt gelegentlich auf der Ebene der Behauptungen: "Unternehmen [kommen] - ob sie wollen oder nicht - gar nicht umhin, stärker in ihre moralische Kompetenz zu investieren. Es reicht nicht, dass ihr Handeln legal ist, offensichtlich muss es auch moralisch legitim sein. Unternehmen wird inzwischen von der Öffentlichkeit, den Medien oder Non Government Organisations (NGOs) vermehrt eine Rolle als moralischer Akteur zuerkannt oder gar zugemutet, auch wenn sie danach nicht drängen mögen" (3). Der Verweis auf die Auseinandersetzung zwischen Shell und Greenpeace um die Versenkung der Bohrinsel Brent Spar (hätte es nicht aktuellere Beispiele gegeben?) dient dabei als Begründung. Doch auch im internationalen Rahmen sieht N. die Unternehmen immer mehr in die Rolle des moralischen Akteurs gedrängt, da die "... Regelungs- bzw. Steuerungsmacht der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung ab[nimmt], S[sic!]taatliche Wirtschaftspolitik ... an Bedeutung [verliert]" (6). Deswegen müssen Unternehmen in die Rolle zurückgehender staatlicher Regelungspolitik eintreten, "weil diese Rolle ansonsten niemand ausfüllt bzw. ausfüllen kann" (6). Leider bleibt dieses häufig hervorgeholte Defizitkriterium unbegründet. Die Frage, warum, wenn sich Nationalstaaten aus der Regelung zurückziehen, gerade die Unternehmen diese Lücke füllen sollen, bleibt unbeantwortet. Schließlich: Liest man dazu S. 102 des Buches, auf der N. schreibt, man dürfe Unternehmen nicht in die Rolle drängen, gesellschaftspolitische Defizite auszugleichen, bleibt man ein wenig ratlos darüber, ob denn nun Unternehmen moralische Akteure sind oder nicht.

Im zweiten Kapitel geht N. auf die Grundlagen der Ethik ein. Die klassischen Begriffe der Ethik wie Moral, Norm sowie die Unterscheidung zwischen deontologischer und teleologischer Theorie werden in kurzen Schlaglichtern erhellt. N. bietet in diesem Kapitel wenig Neues, vieles ist Wiederholung bereits vorliegender Einführungen. Das dritte Kapitel widmet sich den Grundlagen und Begrifflichkeiten der Wirtschaftsethik. Vieles muss an der Oberfläche bleiben, aber das macht den Charakter von Einführungen aus, die einen lesbaren Umfang haben sollten.

Anschließend wendet sich N. den Themen Marktwirtschaft und Moral zu. In diesem Kapitel will N. "den moralischen Gehalt einer marktwirtschaftlichen Ordnung heraus[...]arbeiten, dabei berechtigte von unberechtigten Einwänden gegen die Marktwirtschaft [...] scheiden und nach dem angemessenen Verhältnis von Markt und Demokratie [...] fragen" (39). Das nächste Kapitel wendet sich dem Verhältnis von Marktwirtschaft und Gerechtigkeit zu. Hier stehen Verteilungs- und Vertragstheorien im Mittelpunkt. N. mahnt das in seinen Augen ausgreifende Prinzip an, die Gewinne des wirtschaftlichen Handelns zu privatisieren, die Schäden aber zu sozialisieren, auch dieses ist nicht neu. Diese Fehlkonstruktion einer eigenwilligen, liberal orientierten Theorie bezieht N. nicht nur auf die großen wirtschaftlichen Akteure, sondern sieht sie auch im Verhältnis von Individuum zur Sozialfürsorge gegeben.

Kapitel 6 schließt den wirtschaftsethischen Teil des Buches ab, indem es sich den Fragen von Wirtschaftspolitik, Demokratie und Moral zuwendet - in den Augen des Rez. der interessanteste Teil des Buches, weil hier - jedenfalls was die Einführungsliteratur in die Wirtschaftsethik betrifft - in gebotener Kürze neue Fragen und Probleme aufgeworfen werden, aber auch interessante Verknüpfungen erstellt werden.

Der zweite Teil des Buches (ab 87) widmet sich der Unternehmensethik. Zunächst in einigen grundlegenden Skizzierungen, dann in der Bestimmung der Aufgaben (105 ff.), schließlich in der Konkretion von Ethikmanagement (115 ff.). Die letzten beiden Kapitel beschreiben die individualethische Ebene, zunächst auch hier wieder grundsätzlich, dann am Beispiel der Korruption. Das Buch schließt mit einigen Seiten (187 ff.), die noch einmal die ganze Problematik wirtschaftsethischer Fragen anhand einiger Konkretionen aufwerfen und für mehr Altruismus werben.

Das Problem von Einführungen ist, dass sie - wie erwähnt - an der Oberfläche bleiben müssen. Aber manchmal reicht das eben nicht. So finden sich in N.s Buch wieder und wieder die immer repetierten, aber deswegen nicht unbedingt richtigen Vorurteile und Zitate.

Dazu ein Beispiel: Man mag es nicht mehr lesen, wenn das mehr als 800 Seiten dicke Buch von Adam Smith "Der Wohlstand der Nationen" auf das in jedem Buch, das sich mit Marktwirtschaft beschäftigt, typische Seite 17-Zitat ("Nicht vom Wohlwollen ...") reduziert wird (44) und dabei noch die "Theorie der ethischen Gefühle", die Smith immer wieder parallel zu dem "Wohlstand der Nationen" aufgelegt hat, ganz unter den Tisch fällt. Hier nämlich, in der "Theorie der ethischen Gefühle", führt Smith den Eigennutz auf die Eitelkeit zurück und das lässt die Marktwirtschaft und ihre ethischen Implikationen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Dieser von Smith konstatierte Hintergrund gäbe auch den entscheidenden Schlüssel für die aufgeworfene Frage ab, warum der Mensch in der Marktwirtschaft dazu neigt, die Gewinne für sich in Anspruch zu nehmen, die Schäden aber auf die Gesellschaft abzuwälzen. Doch auf diesen Reflexionsgrad lässt sich N. nicht ein. Und man muss nicht lange warten, bis auch das Zitat von Franz Böhm herbeigeholt wird, dass der Wettbewerb "das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte" sei (46).

Es ist schlicht verkürzend, wenn N. in dem Kapitel über Marktwirtschaft und Moral den Staat als denjenigen Akteur beschreibt, der die moralische Frage in der Marktwirtschaft steuern müsste (das von ihm auf S. 48 vorgetragene Beispiel vom Fußballspiel mit den festen Spielregeln und den freien Spielzügen hat Karl Homann schon in seinem Buch von 1992 beschrieben). Im Abschnitt über die Rolle von internationalen Unternehmen beklagt er dann, dass internationale Sanktionsmöglichkeiten fehlen. Und es ist keineswegs so eindeutig, wie es N. in einer Fußnote auf S. 99 benennt, dass es mit der Internationalen Handelsorganisation und dem Internationalen Währungsfonds wirksame Sanktionspotentiale gäbe, um international Regelverstöße zu ahnden. Das mag allenfalls in der Theorie stimmen.

Fazit: Das Buch bringt Lesern, die sich schon mit Wirtschaftsethik befasst haben, nichts Neues. Anfängern mag es zur Orientierung helfen. Ob sie das Gefühl haben, richtig in das Thema eingestiegen zu sein, bleibt die Frage.