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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

328–330

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Globokar, Roman:

Titel/Untertitel:

Verantwortung für alles, was lebt. Von Albert Schweitzer und Hans Jonas zu einer theologischen Ethik des Lebens.

Verlag:

Rom: Editrice Pontificia Università Gregoriana 2002. 602 S. gr.8 = Tesi Gregoriana. Serie Teologia, 92. Kart. Euro 32,00. ISBN 88-7652-945-4.

Rezensent:

Michael Basse

In dieser Arbeit, die 2001 von der Theologischen Fakultät der Universität Gregoriana als Dissertation angenommen wurde, werden die ethischen Theorien von Schweitzer und Jonas dargestellt, um sie für die theologische Ethik zu rezipieren. Im ersten Teil wird das Lebenswerk Schweitzers zunächst biographisch und theologisch eingeordnet, wobei zur Geltung gebracht wird, dass Schweitzer ein "Grenzgänger" (60) geblieben ist. Seine Jesus-Forschung wird als "eschatologischer Schlüssel" (25) für die Schweitzer-Interpretation aufgefasst, und zugleich kommt in den Blick, wie sehr Schweitzer aufklärerisch-rationalistische Zielsetzungen verfolgte. Anschließend wird der historische Kontext von Schweitzers Kulturphilosophie entfaltet, um dann vor diesem Hintergrund die ideellen und die materiellen Gründe, die Schweitzer für den Niedergang der Kultur verantwortlich gemacht hat, aufzuzeigen und sein Programm für deren Wiederaufbau darzustellen.

Danach wird Schweitzers Konzept der Ehrfurcht vor dem Leben analysiert, wobei deren Ausprägung einer spezifischen Welt- und Lebensanschauung ebenso herausgearbeitet wird wie die charakteristische Verknüpfung rationalistischer und mystischer Denkelemente. Der Versuch, Schweitzer vor dem Vorwurf eines naturalistischen Fehlschlusses in Schutz zu nehmen, vermag hierbei allerdings nicht zu überzeugen. In einem letzten Kapitel wird Schweitzers Konzept als Entwurf einer Ethik betrachtet, deren "Grenzenlosigkeit" (177) ebenso zu unterstreichen sei wie ihr individualethischer Ansatz. Liegt damit eine "Synthese von Hingebungs- und Selbstvervollkommnungsethik" (192) vor, so hebt der Vf. hinsichtlich der Anwendung der Grundprinzipien hervor, welche Konsequenzen sich daraus für den Umgang mit nichtmenschlichen Lebewesen und für die Friedensethik ergeben. Die abschließende Würdigung versucht einerseits die Aktualität von Schweitzers Konzept im Blick auf die ökologische Ethik und die Umwelterziehung aufzuzeigen, andererseits aber auch "notwendige Präzisierungen und Ergänzungen" (227) vorzunehmen. Hierbei geht es dem Vf. insbesondere um terminologische Klärungen sowie um die Einführung einer "Vermittlungsinstanz zwischen dem absoluten Grundprinzip des Sittlichen und der subjektiven Verantwortung des Individuums" (228). Wenn dann jedoch eine "Rangordnung der Lebewesen" (230) aufgestellt werden soll, ist zu fragen, inwieweit das noch Schweitzers Ansatz entspricht. Demgegenüber ist nicht zu bestreiten, dass angesichts der Unschärfe des religiösen Hintergrundes der Lehre von der Ehrfurcht vor dem Leben deren Relevanz theologisch anders bestimmt werden muss als bei Schweitzer.

Im zweiten Teil (235-510) kommt das Lebenswerk von Hans Jonas in den Blick. Auch hier wird zunächst der biographische Rahmen abgesteckt, denn die persönlichen und politischen Erfahrungen, die Hans Jonas vor allem im Kontext des Zweiten Weltkrieges gemacht hat, bestimmten auch sein philosophisches Denken. Im Anschluss daran wird sein von Heidegger beeinflusstes Programm einer "philosophischen Biologie" (253) dargelegt, mit dem Jonas den neuzeitlichen Dualismus zu überwinden suchte. Breiten Raum nimmt hier die Auseinandersetzung mit der mechanistischen Naturauffassung und der vorherrschenden naturwissenschaftlichen Methode ein, bevor aufgezeigt wird, wie Jonas eine "monistische Ontologie" (289) evolutionstheoretisch begründet hat. Von diesem Ansatz her wird die "Ethik als ein Teil der Naturphilosophie" (331) entfaltet und die "Versöhnung des Menschen mit der Natur" (332) als deren Leitperspektive verstanden.

Kritisch betrachtet der Vf. Jonas' anthropomorphistischen Lebensbegriff und sein teleologisches sowie religiöses Naturverständnis. Im nachfolgenden Kapitel wird der philosophisch-theologische Horizont dieses Denksystems näher beleuchtet, indem Jonas' "selbsterdachter Mythos der radikalen Selbstentäußerung Gottes" (354) im Zusammenhang mit der Unsterblichkeitsproblematik und der "Theodizeefrage nach Auschwitz" (358) in den Blick kommt. Hier wird die "Spannung zwischen der Irrelevanz der Religion für die Ethik auf der einen Seite und der Unbedingtheit der religiösen Kategorien für eine neue Ethik auf der anderen" (385) herausgearbeitet und kritisch gewürdigt, wobei der Vf. die "Gefahr einer Entpersonalisierung Gottes" (391) sieht und die Ausblendung der eschatologischen Perspektive bemängelt.

Nach dieser ausführlichen Darstellung des systematischen Zusammenhangs, in dem die "Ethik der Verantwortung für das zukünftige Leben" (401) bei Jonas steht, wird nun diese selbst betrachtet. Im Blick auf die grundlegende Korrelation von Macht und Verantwortung wird zunächst Jonas' kritische Analyse der Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie der modernen Zivilisation referiert. Vor diesem Hintergrund werden sodann die "wesentlichen Merkmale der neuen Ethik" (433) und deren "ontologische Begründung" (485) aufgezeigt. Zu den Merkmalen zählen die Verantwortung für die Zukunft in Abgrenzung insbesondere zur Utopie des Marxismus, die Relevanz von Wissen und Wissenschaft in der Ethik sowie eine neue Rolle der Gefühle, hier vor allem "wohlbegründeter Angst um die Zukunft" (448), weshalb auch der Prophezeiung von Unheil grundsätzlich der Vorrang bei ethischen Entscheidungen einzuräumen sei. In seiner Würdigung des Gesamtkonzeptes hebt der Vf. hervor, dass es Jonas damit gelungen sei, die "Brücke zwischen Natur und Ethik" (498) zu schlagen und Verantwortung als eine kollektive Aufgabe wahrzunehmen. Kritisch betrachtet er hingegen dessen undifferenzierten Naturbegriff und die "Heuristik der Furcht" (506), die diesen Entwurf bestimmt und der gegenüber ein eschatologisch begründetes Vertrauen geltend gemacht werden müsste.

In einer "Schlussreflexion" (511-565) entwickelt der Vf. sodann in Auseinandersetzung mit Schweitzer und Jonas eine "systematische Darstellung der Ethik des Lebens" (513). Hier wird die Forderung erhoben, "nach einem neuen ökologischen Naturverständnis zu suchen" und dabei die "Eigendynamik der natürlichen Prozesse" zu beachten (518 f.). Mit seinem Doktorvater Philipp Schmitz plädiert der Vf. dafür, dass sich die Ethik an dem "neue[n] Paradigma Leben" (526) an Stelle des Naturbegriffs orientieren solle. Dieses bleibt allerdings sowohl philosophisch als auch theologisch ebenso unscharf wie die Konzeption der Verantwortung, die zum "neuen Schlüsselbegriff" (530) erklärt wird. Was für den Vf. "letztendlich zählt, ist [...] das Staunen über das Wunder des Lebens und das Erlebnis des menschlichen Lebens inmitten von Leben" (541). Die abschließenden theologischen Ausführungen beschränken sich dann auf Reflexionen zum biblischen Schöpfungsverständnis.

Angesichts des Umfangs dieser Untersuchung bleibt zu fragen, ob nicht die Analysen der Positionen von Schweitzer und Jonas hätten gestrafft werden können, zumal hier nicht wirklich neue Einsichten vermittelt werden. Der Vergleich von Schweitzer und Jonas, der von größerem historischen und systematisch-theologischen Interesse sein könnte, kommt demgegenüber zu kurz, weil es dem Vf. in erster Linie darum geht, beide Entwürfe in ihrer Gesamtheit als Wegweiser für die theologische Ethik zur Geltung zu bringen.