Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2004

Spalte:

317–319

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Eibach-Danzeglocke, Swantje:

Titel/Untertitel:

Theologie als Grammatik? Die Wittgensteinrezeptionen D. Z. Phillips' und George A. Lindbecks und ihre Impulse für theologisches Arbeiten.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. 214 S. 8 = Beiträge zur Theologischen Urteilsbildung, 11. Kart. Euro 35,30. ISBN 3-631-39447-0.

Rezensent:

Klaus von Stosch

Diese bei G. Sauter in Bonn entstandene Dissertation versucht Rezeptionsmöglichkeiten Wittgensteinscher Philosophie für die Theologie dadurch auszuloten, dass sie die Ansätze des walisischen Religionsphilosophen D. Z. Phillips und des amerikanischen Theologen G. A. Lindbeck analysiert und deren auf Wittgenstein gerichtete Rezeptionsbemühungen herausarbeitet. Die Besonderheit der Dissertation innerhalb der Vielzahl neu entstandener Arbeiten zur theologischen Wittgensteinrezeption besteht darin, dass sie einerseits einen Ansatz zu würdigen sucht, der in neueren deutschsprachigen theologischen Ansätzen durchgehend als Fideismus verurteilt und als verfehlte Wittgensteinrezeption kritisiert wird (Phillips). Andererseits beschäftigt sie sich mit Lindbeck mit einem kontrovers diskutierten Theologen, dessen Wittgensteinrezeption in der Regel zu wenig beachtet wird. Insofern stellt die Arbeit schon von ihrer Konzeption her einen innovativen Beitrag für die gegenwärtige theologische Debatte um Wittgenstein dar.

Die Vfn. betont allerdings bereits in ihrer Einleitung (13- 18), dass Wittgensteins Verhältnis zum Christentum und insbesondere seine Einstellung zur Theologie äußerst zwiespältig ist. Auf Grund einiger theologiekritischer Äußerungen Wittgensteins meint sie dabei - vielleicht etwas voreilig -, die Möglichkeit einer "Theologie mit Wittgenstein" ausschließen zu müssen, und will stattdessen lediglich Anregungen und Anstöße aus Wittgensteins Philosophie aufnehmen.

Methodisch geht sie dabei so vor, dass sie zunächst auf recht konventionelle Weise einige Grundbegriffe von Wittgensteins Spätphilosophie erläutert (19-40), um dann die Wittgensteinrezeptionen von Phillips und Lindbeck zu konturieren (41- 115). Im Rahmen ihrer Phillipsdarstellung macht die Vfn. zu Recht darauf aufmerksam, dass verschiedene Sprachspiele keineswegs hermetisch voneinander abgeschlossen sind, so dass die Parallelisierung von Sprachspielen und Religionen (gerade auch angesichts ihrer Lebensformgebundenheit) nicht zu einer Immunisierung religiöser Diskurse führen muss. Anstatt philosophisch genauer zu prüfen, wie die epistemische Konzeption der Wittgensteinianer zu beurteilen ist und unter welchen Umständen sie philosophisch und theologisch gerechtfertigt ist, nimmt die Vfn. befremdlicherweise an, dass die "epistemischen Differenzen zwischen sog. Wittgensteinschen Fideisten und deren Kritikern ... sich ... als solche [nur; Rez.] beschreiben" lassen (67). Hier und an anderer Stelle wären einige Hinweise auf die Gründe für unterschiedliche philosophische Grundpositionen hilfreich gewesen, zumal die Vfn. am Ende der üblichen theologischen Kritik an Phillips zumindest teilweise Recht zu geben scheint (168).

Anhand der Begriffe Kultur und Rationalität bemüht sich die Vfn. in einem weiteren Schritt ihrer Arbeit die bei Phillips und Lindbeck enthaltenen Rezeptionsmöglichkeiten exemplarisch offen zu legen und miteinander zu vergleichen (117-138). Um in diesem Zusammenhang die Perspektivierung durch Wittgensteins Philosophie einer näheren Prüfung unterziehen zu können, wendet sie sich darüber hinaus noch einmal Wittgenstein selbst zu und sucht einen Schlüsselbegriff des Wittgensteinschen Philosophierens als Angelpunkt für theologisches Arbeiten einzuführen (139-176). In diesem Schlüsselbegriff der Grammatik, der von Wittgenstein an prominenter Stelle auch zur Kennzeichnung der Theologie verwendet wird, sieht sie nämlich einen Ansatzpunkt, um die theologische Wittgensteinrezeption insgesamt verorten und beschreiben zu können.

So sehr dabei der Versuch einer mikrologischen Analyse des entsprechenden Abschnitts aus den Philosophischen Untersuchungen zu loben und als gründlichste Textuntersuchung der gesamten Studie zu würdigen ist, scheint mir die Fokussierung auf diesen geringen Textumfang und einige bunt zusammengewürfelte, zusätzliche Bemerkungen Wittgensteins eine zu starke Einschränkung für eine so grundsätzliche Fragestellung darzustellen, wie sie die Frage nach Wittgensteins Haltung zur Theologie darstellt. So kommt die Vfn. zu einigen recht apodiktisch vorgetragenen, m. E. einer näheren Überprüfung nicht standhaltenden Behauptungen wie der, dass "Gott" und der "Glaube" aus Wittgensteins Sicht kein Gegenstand der Philosophie sein können (164). Der Grund für die Unterschätzung von Wittgensteins konstruktivem Potential für die Theologie scheint mir dabei darin zu liegen, dass die Vfn. den Bruch zwischen Wittgensteins Früh- und Spätphilosophie nicht genügend berücksichtigt und wiederholt Bemerkungen aus der frühen Periode als Quintessenz der Haltung auch des späten Wittgenstein zu religiösem Glauben, Ethik und Ästhetik ins Feld führt, in jüngster Zeit publizierte Tagebuchnotizen des mittleren und späten Wittgenstein aber nicht berücksichtigt.

Im letzten Schritt ihrer Arbeit bemüht sich die Vfn. (u. a. in kritischer Auseinandersetzung mit R. Munz, C. Sedmak und D.Ritschl) um einige für die Theologie konstruktive Perspektiven, die sich aus der Beschäftigung mit Wittgenstein, Phillips und Lindbeck ergeben (177-195). Alle dabei zur Sprache kommenden "fünf Perspektiven" sind in ihren Augen "im Vorfeld der Erstellung eines theologischen Begründungszusammenhangs anzusiedeln" (194). Während Phillips aus Sicht der Vfn. zu sehr in der Gefahr steht, die Frage "nach dem Externum der Theologie" zu vergessen, und Lindbeck "ein eher funktionalistisches Denken in der Theologie" befördern könnte (193), scheint Wittgenstein selbst auch bei dem Bemühen um eine Glaubensbegründung für die Vfn. als Gesprächspartner im Blick zu sein. Allerdings räumt sie ihm und seinem philosophischen Grundansatz dabei lediglich eine propädeutische Funktion ein, was die Frage aufwirft, ob und wie ein genuin theologischer Begründungszusammenhang gegenüber Wittgensteins philosophischen Grundeinsichten zu verteidigen und näherhin zu profilieren wäre.

Auch wenn die Arbeit derartige wichtige Fragen nicht mehr in den Blick nimmt und insofern gerade auf philosophischer Ebene einiges zu wünschen übrig lässt, stellt sie einen wertvollen Beitrag für die Aufarbeitung der theologischen Wittgensteinrezeption dar, der einige ungerechtfertigte Vorurteile gegen Wittgenstein zu entkräften und in der deutschsprachigen Theologie zu wenig beachtete Zusammenhänge ins Bewusstsein zu rücken vermag.