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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

309–311

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weeda, Robert:

Titel/Untertitel:

Le Psautier de Calvin. L'histoire d'un livre populaire au XVIe siècle (1551-1598).

Verlag:

Turnhout: Brepols 2002. 229 S. m. zahlr. Abb. gr.8. Kart. Euro 40,00. ISBN 2-503-51343-3.

Rezensent:

Jan R. Luth

Robert Weeda hat der Literatur zum Genfer Psalter ein Buch hinzugefügt. Es bezieht sich auf die zweite Hälfte des 16. Jh.s und dabei nicht nur auf den kirchlichen Gebrauch des Psalters, sondern auch auf den Gebrauch außerhalb der Kirche. Das Buch gehört zu den Publikationen, die in die Rezeption zur Zeit des Entstehens des Genfer Psalters und nach seiner Fertigstellung Einblick verschaffen.

Wertvoll sind die detaillierten Fakten über die Mitarbeiter am Genfer Psalter, die zumeist nicht leicht zusammenzutragen sind. Wichtig ist auch, dass nicht nur Informationen über Genf, sondern auch über andere Orte, an denen der Genfer Psalter eingeführt wurde, in den Blick kommen. Damit entsteht eine Übersicht der Psalmenkultur an verschiedenen calvinistischen Orten. W. informiert auch über den Ort der Psalmen in der Volkskultur, also außerhalb des Gottesdienstes.

Er beschreibt die Geschichte des Genfer Psalters von 1551 bis 1598 und widmet sein Buch Pierre Pidoux, dem bekannten Erforscher des Genfer Psalters. Dass er mit dem Jahr 1551 anfängt, erklärt W. damit, dass dieses Jahr eine große Bedeutung habe. Sein einziges Argument dafür ist ein Zitat aus dem Buch von Florimond de Raemond (1622), in dem die Geschichte der Ketzerei beschrieben wird, über den Gebrauch des Genfer Psalters in der Entstehungszeit. Dass im 4. Kapitel die Bedeutung Straßburgs für die Entstehung des Genfer Psalters hervorgehoben wird, geschieht vollkommen zu Recht. Daher wäre es besser gewesen, wenn W. im Titel nicht so sehr das Jahr 1551 betont hätte, besonders weil diesem Datum im Buch keine besondere Bedeutung zukommt.

W.s Buch enthält viele bekannte Informationen, die zum Teil neu interpretiert werden. Dem bekannten Ausdruck Calvins "pois et majestée" aus dem Vorwort im La Forme des Prieres et chantz ecclesiastiques (1542; 1543) schenkt W. relativ wenig Aufmerksamkeit und versucht nicht, die Herkunft des Zitats bei Augustin zu erforschen. Er übersetzt "pois" mit "l'esprit"/Geist, Seele, eine Übersetzung, die so bisher noch nicht in der Literatur zu finden ist und die merkwürdig erscheint im Licht der Übersetzungen aus dem 16. und 17. Jh., die alle mit "Kraft" übersetzen. In einer Fußnote erklärt Weeda, dass "pois" eine Wiedergabe von "pensum" sei und "Kraft" oder "Wert" bedeute. Die Übersetzung "l'esprit" ist auch deshalb problematisch, weil Calvin mit "pois" die Sprachmelodie im Blick hatte.

Auch an vielen anderen Punkten sind die Informationen in diesem Buch kurz und allgemein gehalten. So werden die Pläne, die man in Genf zu Grunde legte, um die Psalmen auf die Gottesdienste zu verteilen, zwar erwähnt, aber die Frage nach dem dahinterstehenden Prinzip wird nicht gestellt, obwohl die hier verwendeten Quellen nicht ausreichen.

Schwach ist W.s Annäherung an die Melodien. Darüber wurde schon ziemlich viel publiziert und diskutiert und die Forschung ist während der letzten Jahrzehnte auch bedeutend vorangekommen. Neben der Frage, was an den Melodien kennzeichnend ist, stellt sich die andere wichtige Frage nach der Herkunft. Im 19. Jh. hat O. Douen in seinem bekannten Buch über Clement Marot und den Hugenottenpsalter die Ansicht vertreten, dass die Genfer Melodien bekannte Chansonmelodien als Quelle haben. Seine Schlussfolgerungen basierten aber auf einer falschen Forschungsmethode und wurden von Forschern wie Emmanuel Haein und Pierre Pidoux korrigiert. Seitdem ist deutlich gemacht geworden, dass die Melodien zum Teil auf gregorianische Vorlagen (Ps. 80 hat zum Beispiel die Melodie von Victimae paschali laudes) zurückgehen, andere dagegen wurden neu komponiert. Dass es Melodien gibt, die auf Volkslieder zurückgehen, ist nicht nur deshalb unwahrscheinlich, weil Calvin unterscheidet zwischen Liedern, die man in der Kirche und die man außerhalb der Kirche singt. Auch die Kritik an Forschungsmethoden wie z. B. von Douen sollte zur Vorsicht mahnen. Es ist deshalb merkwürdig, dass W. in einem Buch, das Pierre Pidoux gewidmet ist, die Möglichkeit, dass einige Psalmen nach populären Melodien gesungen wurden, offen lässt. Er benutzt sogar dieselbe Methode wie Douen, wenn er auf S. 83 die Melodien der Psalmen 56, 89 und 118 mit dem Chanson Faulte d'argent c'est la puce en l'oreille in Zusammenhang bringt. Dennoch weist W. in Annexe 2 bei Ps. 104 auf den Hymnus Te lucis ante terminum (192) und bei Ps. 141 auf Conditor alme siderum (202.203) als Quellen für die Melodien hin. Jedenfalls scheint W. Douens Vorgehensweise nicht abzulehnen.

Dass das Buch neben positiven Aspekten in einzelnen Bereichen enttäuscht, hängt mit der eingeschränkten Verwendung von Literatur zusammen. So fehlt die wichtigste den Genfer Psalter betreffende Studie, die nach dem Handbuch von Pidoux erschienen ist: James Ross Miller, John Calvin and the Reformation of Church Music in the sixteenth Century (Ann Arbor, Michigan 1971) basiert auf einer grundlegenden Quellenstudie mit vielen neuen Daten. Auch fehlt eine Übersicht über den Stand der Forschung, wie er etwa in dem Artikel Calvinistische Musik in Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearbeite Auflage 1995, beschrieben wird.