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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

297–299

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Robinson, Ian S. [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Die Chroniken Bertholds von Reichenau und Bernolds von Konstanz 1054-1100.

Verlag:

Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2003. X, 645 S. gr.8 = Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum. Nova Series, XIV. Geb. Euro 60,00. ISBN 3-7752-0214-5.

Rezensent:

Gert Haendler

Die beiden Chroniken im Bodenseeraum gehören zu den ergiebigsten Quellen der deutschen Geschichte im 11. Jh. Darüber hinaus sind sie aber auch für die Kirchengeschichte - insbesondere für die Ereignisse des Investiturstreits - von recht erheblichem Interesse: Die beiden Chroniken bilden für die Jahre ab 1054 eine Einheit. "Sie bezeugen den Einfluß der päpstlichen Reformbewegung auf das Salierreich und geben beredte Auskunft über die Haltung der Reformklöster und des Reformadels im südwestdeutschen Raum" (2). 1844 war von Georg Heinrich Pertz erstmals eine kritische Edition in den MGH erschienen. Eine neue Edition war lange angekündigt worden, aber Überarbeitungen hatten zu Verzögerungen geführt. Das Vorwort schließt mit einem Dank an den Herausgeber dafür, dass er die nun publizierte Fassung überprüft und anerkannt hat, sowie auch "für seine jahrelange Geduld mit uns" (VII).

Die Chronik Bertholds von Reichenau liegt in zwei Fassungen vor. Von der älteren Fassung ist keine Handschrift erhalten, die Edition stützt sich auf einen Druck in Basel 1529. Die 2.Fassung liegt in fünf Handschriften vor (7-26). Vier Jahrhunderte Berthold-Forschung zeigen, dass Berthold und Bernold in den Texten des 16. Jh.s noch gar nicht unterschieden wurden. "Zu seinem vollen Recht als Chronist kam Berthold erst in der Edition von G. H. Pertz (1844)" (28). Dessen Editionskriterien wurden viel kritisiert, aber sein Text wurde allgemein benutzt. Man unterschied immer klarer einen ersten Entwurf und eine spätere Fassung: Der erste Entwurf klang relativ neutral, die zweite Fassung verstärkte die Kritik an Heinrich IV. Aber Berthold vertrat von Anfang an eine kirchenreformerisch-aszetische, gregorianische Haltung, die freilich in der zweiten Fassung viel klarer zur Geltung kommt (38).

Berthold gibt auch Hinweise über sich: Er war ein Schüler und Freund Hermanns des Lahmen (Hermannus contractus). Dieser vertraute ihm Texte zur Überarbeitung an. Berthold teilte das mit, "um sich als Hermanns Erben auszuweisen. Seine Rolle als Fortsetzer schloß auch die Rolle des Nachahmers ein; und diese Überlegung muß am Anfang jeder kritischen Analyse des Textes der Bertholdchronik stehen" (43). Die erste Fassung lehnte sich stilistisch "eng an das Hermann-Modell" an (49). Von Hermann übernahm Berthold zunächst die kritische Berichterstattung über Heinrich III. In der zweiten Fassung beurteilte er Heinrich III. jedoch positiver, weil er ihn mit Heinrich IV. verglich, der in offenen Gegensatz zu Papst Gregor VII. geraten war. Die zweite Fassung ist geprägt von "der Entfremdung von König, Reichskirche und Papsttum und der sich daraus ergebenden Nostalgie für die Reformbemühungen Heinrichs III." (53).

Eingriffe Heinrichs IV. in die Rechte des Klosters Reichenau spielen eine Rolle, aber "die Skandale 1069-1071 beschleunigten einen Prozeß, dessen Beginn schon in der Hermannchronik anklingt" (57). In der zweiten Fassung spielt die Papstgeschichte eine noch zentralere Rolle. Das gilt schon für Leo IX., aber dann noch besonders für Gregor VII. "Die detaillierte Kenntnis des Verfassers von den Reformsynoden Gregors VII. lassen auf häufige Anwesenheit von Reichenauer Mönchen in Rom schließen". Die Zitate aus Papstbriefen und römischen Synodalbeschlüssen legen es nahe, "daß die Reichenau ein Zentrum für die Abschrift und Verbreitung gregorianischer Propaganda war" (61). Die Vorgänge sind zu datieren: Wohl "bald nach April 1073 begann Berthold mit der Überarbeitung seiner Chronik. An die Stelle des kurzen Berichts über den Tod Hermann des Lahmen zu Beginn des Jahresberichts 1054 trat die Vita Hermanni, eine fast neunhundert Wörter umfassende Biographie" (65). Vermutlich reichte die erste Fassung bis ca. 1073 (66). Berthold behält die Form der Jahresberichte bei. "Das königliche Itinerar gibt das Grundmuster ab, die Aufzählung der königlichen Taten bildet den Hauptinhalt der meisten Jahresberichte" (67). Die Form verdeutlicht Bertholds Standpunkt: Kritik an Heinrich IV. wird schon am Ende des Jahresberichts 1056 erkennbar mit der Feststellung: Heinrich hat 20 Jahre regiert (182). "Die Regierung Heinrichs IV. endet für ihn 1076, als er von Gregor VII. abgesetzt und exkommuniziert wurde" (68).

Berthold kennt primär Süddeutschland. "Wenn der König in Sachsen weilt, kann Berthold nicht mehr das genaue Itinerar mitteilen" (70). Aber seine Darstellung reicht über die Diözese Konstanz hinaus, wenn es um die Kirchengeschichte geht. Er nennt zutreffend mehrere Bischofsfolgen in Deutschland. Berthold ist stark an der Papstgeschichte interessiert. Seine "Darstellung der päpstlichen Absolution in Canossa im Januar 1077 ist fast 900 Wörter lang; sein Jahresbericht 1078 besteht fast ausschließlich aus Berichten über die römische Fastensynode und die römische Herbstsynode mit jeweils 1200 bzw. 800 Wörtern, Letzterer umfasst auch das vollständig zitierte Synodalprotokoll. Mit gleicher Ausführlichkeit teilt er auch die päpstlichen Gesandtschaften mit, die Gregor VII. zwischen 1074 und 1079 nach Deutschland schickte" (72). Bertholds Quellen weisen "nur geringe Spuren klassischer Bildung auf" (74). Bibelzitate stammen aus Psalmen, Matthäus und Paulus. Vermutlich kann "alles Quellenmaterial für die polemischen Abschweifungen in der Bertholdchronik unmittelbar aus der zeitgenössischen Forschungsarbeit in der Konstanzer Dombibliothek, die von J. Autenrieth untersucht worden ist, hergeleitet wer- den" (74). Die zitierten Briefe Papst Gregors VII. sowie Protokolle römischer Synoden hat Berthold vermutlich "einer Romreise seines Abtes oder eines seiner Reichenauer Brüder zu verdanken" (76).

"Unproblematisch im Hinblick auf Verfasserschaft und Textgestalt ist die Bernoldchronik. Bernold, nacheinander Kleriker in Konstanz und Mönch in St. Blasien und Allerheiligen (Schaffhausen), war Polemiker, Kanonist, Liturgiker und Chronist - der Gelehrte des 11. Jahrhunderts, dessen Arbeitsweise sich am vollständigsten erforschen läßt" (80). Ein Exemplar seiner Chronik ist als Autograph Bernolds erwiesen (81-88). Er hat die Ereignisse bis 1074 in einem Zug niedergeschrieben, wobei sich spätere Änderungen zeigen lassen. Möglicherweise hat er auch die Ereignisse 1075-1083 im Zusammenhang geschrieben und erst ab 1090 seine Eintragungen jeweils nach Erhalt der Informationen gemacht (87). Bernold ist um 1050 geboren worden. Gut dokumentiert ist seine Ausbildung in der Konstanzer Domschule (104). Schon früh setzte er sich für die gregorianische Partei ein. Bernolds Arbeiten für mehrere gregorianische Forderungen wurden im Jahre 2000 neu ediert in der Reihe MGH: Ed. Doris Stöckly unter Mitwirkung von Detlev Jasper, Leges, Bd. 8 (vgl. ThLZ 127 [2002], 196-198).

Kardinalbischof Odo von Ostia, der spätere Papst Urban II., hat auf einer Reise 1084 Bernold zum Priester geweiht (106). Seine Chronik bringt auch "Nachrichten über die Unternehmungen des venerabilis Gebehardus Constantiensis episcopus, sedis apostolicae legatus" (107 bzw. 537). Briefe Urbans II. an Bischof Gebhard werden zitiert (108). "Die Bernoldchronik ist wie die zweite Fassung der Bertholdchronik ein durch und durch gregorianisches Werk, geprägt von den gleichen propäpstlichen Ansichten wie seine polemischen und theologischen Schriften" (111). Aber "Bernolds schmuckloser Prosastil" unterscheidet sich von der "überbordenden Streitbarkeit Bertholds". Bernolds Einsatz für die Autorität des Papsttums hat den Aufbau seiner Chronik verändert: Normalerweise beginnen die Jahresberichte mit der Weihnachtsfeier des Königs. Dieser Rahmen ändert sich "durch Bernolds wachsendes Bewußtsein von der Romani pontificis oboedientia" (118). Die letzten Jahresberichte widmen dem Itinerar Urbans II. ebenso viel Aufmerksamkeit wie die Chronik Hermanns dem Itinerar Heinrichs III. und die Bertholdchronik dem Itinerar Heinrichs IV. und dann des Gegenkönigs Rudolf (118).

Die Druckgeschichte jener Chroniken begann 1529 in Basel. Die Edition von Pertz 1844 wurde von Migne 1853 in zwei Bänden gebracht: Die Bertholdchronik in PL 147, die Bernoldchronik in PL 148. Die vorgelegte Neuedition bringt die beiden Fassungen der Chronik Bertholds in zwei Spalten S. 163-203, vom Jahre 1067 an folgt ein einheitlicher Text S. 204- 381 bis zum Jahre 1080. Die Chronik Bernolds füllt die Seiten 385-540. Es folgen Register (543-645). Insgesamt bietet die vorgelegte, lang erwartete Neuedition mit ihrer Einleitung den Stand der vielfältigen Forschung und sollte Anregungen bieten zu weiterführenden Arbeiten.